2. April 2019

Flüchtlingsverein Ute Bock

Ute Bock Haus (c) Flüchtlingsverein Ute Bock

Leben am Limit

Wie lebt es sich in der Grundversorgung? STADTBEKANNT hat nachgefragt.

Seit vielen Jahren betreut der Flüchtlingsverein Ute Bock Menschen im Asylverfahren und unterstützt sie auch danach bei der Suche nach einer Unterkunft, beim Deutschlernen und bei der Ausbildung. Denn: Obwohl Asylwerber “grundversorgt” sind, werden sie im alltäglichen Leben doch ziemlich alleine gelassen.

Zur Erklärung: Die Grundversorgung steht Menschen während des Asylverfahrens zu und beinhaltet nebst einem kleinen Taschengeld vor allem Kost und Logis. Privat wohnende Einzelpersonen beziehen Mietzuschuss (max. 150,- Euro / Monat), Verpflegungsgeld (max. 215,- Euro) und gewisse Sachleistungen. Für Familien gibt es unwesentlich mehr.

Erst bei Erhalt des Asylstatus – Verfahren dauern oft lange Monate bis Jahre – ist man asylberechtigt, darf arbeiten und hat Anspruch auf Mindestsicherung, bekommt aber keine Leistungen der Grundversorgung mehr. Die jüngsten Neuerungen: Kann kein Deutsch auf Niveau B1 und kein Pflichtschulabschluss vorgewiesen werden, werden rund 300,- Euro abgezogen. Familien mit mehreren Kindern erhalten künftig pro Kind weniger Mindestsicherung. Gleichzeitig werden schulische Fördermaßnahmen für Kinder gekürzt. Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz sollen künftig nur mehr Grundversorgung erhalten. Für viele Menschen ist das ein massiver Einschnitt.

STADTBEKANNT hat mit Katja Teichert, der Geschäftsführerin des Flüchtlingsvereins Ute Bock, über Grundversorgung, Mindestsicherung, Armut und Bildungschancen gesprochen.

STADTBEKANNT Die Regierung plant, Asylberechtigten bei schlechtem Deutsch die Mindestsicherung zu kürzen. Was ist Ihre Sicht dazu?

Katja Kürzungen in der Mindestsicherung sind unvernünftig. Sie bringen letztlich niemandem mehr und führen nur zu Armut und Kriminalität. Von irgendwas müssen die Menschen ja leben. Schon Ute Bock hat gesagt: Natürlich werden die Leute kriminell, wenn sie kein Geld haben. Und man darf auch nicht vergessen: Wir nehmen vor allem den Kindern die Chancen.

STADTBEKANNT Stichwort Kinder: Wie geht es Kindern in der Grundversorgung im Vergleich zu Kindern mit Mindestsicherung?

Katja Schlechter. Der Staat verlässt sich da ganz auf die Vereine, dass sie das Defizit ausgleichen und helfen. Familien in der Grundversorgung werden immer auf die Hilfe von Vereinen wie dem Flüchtlingsprojekt Ute Bock angewiesen sein. Ein klassisches Beispiel etwa sind die Hortplätze in Kindergarten oder Schule. Zum Deutschlernen wären die wichtig, aber sie sind entweder zu teuer oder man bekommt keinen Platz. Es heißt, die Kinder sollen daheim mit den Eltern lernen – aber die sprechen kein Deutsch oder erlernen es selbst erst. Einige haben nicht einmal eine Schule besucht und können den Kindern nicht helfen.

Familie Ibrahimov
Familie Ibrahimov ist 2011 aus Tschetschenien geflohen und lebt seit 2013 von der Grundversorgung. Solange unklar ist, ob die Familie bleiben darf, ist es den Eltern nicht gestattet zu arbeiten. Die Familie lebt in einer Wohnung, die vom Verein Ute Bock zur Verfügung gestellt wurde – anders geht es sich finanziell nicht aus. Sohn Mohammed (11) strebert im Ute Bock Bildungszentrum gemeinsam mit anderen “Büffelböcken” für die Schule und macht gute Fortschritte.

STADTBEKANNT Wie ist es eigentlich, von der Grundversorgung zu leben? Wie viel bekommt man, und geht sich damit ein Überleben aus?

Katja In Wien läuft alles darauf hinaus, dass es den Menschen nicht mehr möglich ist, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Es handelt sich um ca. 10.000 Menschen, die nicht in einer Grundversorgungsunterkunft untergebracht sind. Das heißt, sie bekommen Geld und müssen damit für ihre Miete aufkommen – bei den Wohnkosten in Wien fast eine Unmöglichkeit. Als vierköpfige Familie bekommt man keine 1000,- Euro für Essen und Wohnen, da ist man schnell in der Armutsfalle.

STADTBEKANNT Wie kommen die Betroffenen mit der Situation zurecht?

Katja Mehr schlecht als recht. Wenn Menschen in der Grundversorgung keinen Verein finden, wie den Verein Ute Bock, der ihnen Kosten für die Unterkunft und Nahrungsmittel abnimmt, dann werden sie indirekt in die Illegalität und Schwarzarbeit getrieben. Ich meine, das sind 10.000 Leute. Im Ute Bock Haus sind 300 Leute untergebracht. Was machen die anderen 9.700 Menschen? Wie bestreiten die ihren Lebensunterhalt? Wie kriegen die ihr Mittagessen auf den Tisch? Für die Betroffenen ist das Leben ein täglicher Kampf.

STADTBEKANNT Mit welchen langfristigen Folgen der Armut ist zu rechnen?

Katja Es betrifft vor allem die junge Generation. Sei es nun die Mindestsicherungsreform oder die Grundversorgung, unter den Neuerungen leiden vor allem die Kinder. In Wien wurden die Hilfslehrerinnen und das Schulsozialangebot reduziert, einen Hortplatz können sich die Eltern selbstverständlich nicht leisten. Die Kinder bleiben auf der Strecke, die Eltern können ihnen nicht helfen und so entsteht unnötigerweise die nächste Generation an Sozialhilfeempfängern. Außer, jemand hilft.

STADTBEKANNT Wie konkret sieht eure Hilfe für die Kinder aus?

Katja Bildung ist unsere Antwort. Das sehe ich bei den Büffelböcken im Ute Bock Bildungszentrum. Es ist ein ganz herkömmlicher Hort. Dort arbeiten Freiwillige, die teilweise aus dem Bildungsbereich sind, und denen gelingt es durch konsequente Arbeit, dass die Kinder die Schule schaffen und teilweise sogar zu Klassenbesten werden. Ich meine, die Kinder sind ja nicht dümmer als andere – sie bekommen nur weniger Chancen.

STADTBEKANNT Danke für das interessante Gespräch!

Du willst helfen?

Der Verein Ute Bock sucht ständig engagierte Freiwillige für das breit gefächerte Basisbildungsangebot. Wichtig sind sehr gute Deutschkenntnisse, Basiskenntnisse im jeweiligen Unterrichtsfach (Mathematik, Englisch, EDV) und Zeit für zwei Doppel-Unterrichtsstunden in der Woche über mindestens 3 Monate. Wenn ihr euch aktiv im Bildungszentrum engagieren wollt, schreibt ein Mail an bildung@fraubock.at

Wer lieber Geld als Zeit spendet, kann das auch: Jetzt spenden!

 

Fotos: Flüchtlingsverein Ute Bock

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