27. Oktober 2019

Sibylle Hamann im Gespräch

Sibylle Hamann - Foto Karo Pernegger

Interview mit Sibylle Hamann

Bock auf Prosa hat sich etabliert. Heuer lesen bereits zum dritten Mal zahlreiche namhafte, engagierte, kritische und von der Notwendigkeit einer menschlichen Asylpolitik überzeugte AutorInnen für das Flüchtlingsprojekt Ute Bock. Wir haben mit Sibylle Hamann gesprochen.

Was können Ihrer Meinung nach Veranstaltungen wie „Bock auf Prosa“ und ein Festival wie „Bock auf Kultur“ gesellschaftlich bewirken?
Spaß haben, Leute treffen, die man schon länger nicht mehr gesehen hat, mehrere Gläschen miteinander trinken. Dabei merkt man hoffentlich, dass man nicht allein ist, mit dem, was man erlebt. Das gibt Kraft.

Wie nützen Sie das Medium Literatur, um für mehr Menschlichkeit und gesellschaftliches Miteinander einzutreten?
Ich mache keine Literatur! Ich war Journalistin und bin jetzt Politikerin. Dh ich beschäftige mich ausschließlich mit der Welt, wie sie ist, nicht mit erfundenen Welten. Mit Literatur beschäftige ich mich ausschließlich als leidenschaftliche Leserin von Romanen.

Wie kann es unserer Gesellschaft gelingen, wieder verstärkt miteinander, anstatt gegeneinander zu agieren?
Ich glaube fest an den Wert von persönlichen Begegnungen und persönlichen Erfahrungen. Die sind meiner Meinung nach das einzige Mittel, um festgefahrene Positionen ein bisschen lockern. Die gesellschaftspolitische Aufgabe, die daraus folgt, ist also: Räume zu schaffen, in denen Menschen einander kennenlernen, die sich ansonsten nicht begegnen würden. Das kann zB mit einer Wohnpolitik gelingen, die keine Ghettos erzeugt, sondern gemischte Wohnviertel ermöglicht und viel öffentlichen Raum hat. Mit einer Arbeitsmarktpolitik, die Menschen verschiedener Berufsgruppen und Hierarchieebenen zusammenbringt. Vor allem aber mit einer Bildungspolitik, die sich aktiv zum Ziel setzt, dass einander Kinder aus verschiedenen Milieus in einer gemeinsamen Schule begegnen, voneinander lernen, Freundschaften schließen und Routine darin entwickeln, mit Verschiedenheit umzugehen. Das ist zum Vorteil aller, und im späteren Leben kann man es sehr gut brauchen!

Rechte Hetze, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit werden auch politisch zunehmend salonfähig gemacht. Wie kann dieser politischen Angstmache entgegengewirkt werden?
Mit Klarheit, Gelassenheit, guten Argumenten und ohne Berührungsängste. Manchmal muss man auch mit Fremdenfeinden reden.

Wien ist eine der lebenswertesten Städte der Welt, Österreich eines der reichsten Länder – dennoch scheint die ständige Sorge zu existieren, dass Flüchtende den bereits hier lebenden Menschen etwas wegnehmen könnten. Wie können diese Vorurteile überwunden werden?
Ja, Wien ist reich und schön. Aber man muss schon so ehrlich sein und feststellen: Nicht alle sind reich und schön. Auch manche Abstiegsängste haben einen wahren Kern: Es ist z.b eine Tatsache, dass junge, neue Zuwanderer auf dem Arbeitsmarkt eine starke Konkurrenz für ältere, schlecht ausgebildete Zuwanderer sind, die schon lang da sind. Auch auf dem Wohnungsmarkt, speziell bei den schlechten, halbwegs billigen Wohnungen in den Städten, ist der Konkurrenzdruck zwischen verschiedenen armen Gruppen gewachsen. Das sind nicht nur Vorurteile, das sind reale Verdrängungskämpfe!
Schlimm finde ich es allerdings, wenn Privilegierte, die ohnehin keine Angst vor Konkurrenz durch Zuwanderer haben müssen, ihre Vorurteile kultivieren.

Besonders junge Generationen machen wieder verstärkt von ihrer Stimme Gebrauch, demonstrieren und setzen sich für eine bessere Zukunft ein – sehen Sie hier das Potential für eine zukünftig solidarischere Gesellschaft?
Da bin ich noch nicht sicher. Hauptsächlich geht es bei dieser Politisierung zuerst einmal um die Umwelt und den Klimaschutz. Ich sehe allerdings sehr wohl, dass junge Leute heute weniger Ellbogen ausfahren als unsere Generation in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Hoffen wir, dass sie ihre Eltern und Großeltern anstecken!

Foto: Sibylle Hamann – Foto Karo Pernegger

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