16. Januar 2015

Zwischen Steirischer Wurst und Wiener Kaffeehaus – wie tolerant ist Österreich wirklich?

Stephansdom Wienblick (c) STADTBEKANNT

Wie tolerant ist Österreich wirklich?

Forderung nach Gleichheit: Wenn ich im Prückel jedes Mal wie der letzte Dreck behandelt werde, dann soll es den Lesben auch nicht besser gehen

Rückblick 10. Mai 2014: Ein Land liegt sich vom Siegestaumel trunken in den Armen, nachdem der Song Contest Sieg überraschend nach Österreich gegangen ist. Unser Land war über Nacht zum neuen Zentrum der Toleranz geworden: Egal ob Transvestit, schwul, vom Mond stammend oder gar aus Afrika – im Land der Berge schienen seit Kopenhagen alle willkommen. Am verwundertsten darüber zeigten sich die Bewohner des Landes selbst: So wurde ein völlig verdutzter Alf Poier öffentlich abgewatscht für seine tiefgründige Analyse von Österreichs schönster Bartträgerin: „Wenn jemand nicht weiß, ob er ein Manderl oder ein Weiberl ist, dann gehört er eher zum Psychotherapeuten als zum Song Contest.“ Für so eine Aussage wäre ihm nur Wochen zuvor bei jedem Stammtisch noch freundlich zugeprostet worden. Wehe dem Schelm, der behauptet, dass der Verehrung von Conchita Wurst lediglich die dem Österreicher angeborene Sehnsucht danach, endlich wieder jemand zu sein in der Welt zugrunde liegt.

Es ghört mehr gschmust

Acht Monate nach Österreichs Outing als Toleranzhochburg wird ein sich küssendes lesbisches Paar des Cafe Prückels verwiesen. Was soll der Wirbel, fragen sich jetzt viele Stammgäste? Schließlich gilt es im Prückel nach alter Wiener Kaffeehaustradition eigentlich für jeden Gast als Schwerverbrechen, das Lokal überhaupt zu betreten – ganz egal mit wem man sich in seiner Freizeit sexuell vergnügt. Der Vorfall versetzte auch das Büro des Wien Tourismus in Panik, nachdem dieses sehr geschickt den Siegeszug von Conchita Wurst dazu verwendet hatte, das Bild des Landes im Ausland zu verbessern. Die Mitarbeiter müssen sich ein bisschen wie Sisyphus fühlen: Nachdem der Stein gerade erst mühsam an Fritzl, Haider & Co vorbeigerollt wurde, muss man nun wieder von vorne beginnen, denn die Geschichte hat sich schon bis nach New York herumgesprochen. Es ist wahrscheinlich gar nicht so schlecht, dass uns eine Wiener Kaffeehausbesitzerin wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat: Die tiefgehende Angst des Österreichers vor allem Fremden ist weder durch Songcontestsiege in Kopenhagen noch Demos vor Wiener Kaffeehäusern zu verleugnen. Vielleicht kommen wir ja einmal als Gesellschaft so weit, den betreffenden Kellner an Ort und Stelle zurechtzuweisen, anstatt erst darauf zu warten, dass Facebook zur Solidarisierung aufruft. Und vielleicht wird der bärtigen Tochter von Conchita Wurst auch einmal zugejubelt werden, wenn sie in ein paar Jahrzehnten nur den zehnten Platz beim Songcontest holt – man wird ja noch träumen dürfen.

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