Volksstimmefest 2014
Das Wiener Volksstimmefest gilt seit jeher als die größte Sause der heimischen Linken. Aller leidlichen Divergenz zum Trotz, trifft man sich einmal jährlich unter dem Motto „Solidarisch & Links“ zur Open-Air-Konferenz im grünen Prater, um ein friedliches Zeichen zu setzen.
Spätestens mit Verlassen des Linienbusses mündete meine erwartete Romantik in bittere Tristesse. Statt im roten Fahnenmeer empfangen und unter kampfeslustigem Choral in Richtung Jesuitenwiese spaliert zu werden, landeten meine Kapitalisten-Sneaker in einer Wasserlacke so tief wie der Neusiedlersee. Das lausig rasiert Karl-Marx-Double, das nach mir ausstieg, hoppte geschickt an der Gefahrenstelle vorbei und zwinkerte mir zu, die Revolution sei eben nichts für Schönwetterlinke. Ein tötender Blick.
Kaum am Areal, wird mir der Weg von drei in Rot gehüllten Zeitungsverkäufern versperrt, die allesamt völlig durchnässt waren und meiner Solidarität somit mühelos zwei Euro abzwackten. Erwartungsfroh kurvte ich mich an den zahllosen Teichen vorbei, bis ich die ersten Info-Standln erspähte – die eindeutig dagegen waren: Der angedachte 12h-Tag und der Sonntag als Arbeitstag sollen auf der Stelle wieder rückgängig gemacht werden. Kann man – auch ohne informiert zu werden – getrost abnicken. Schlapp wehende, mit Personenkult bedruckte Fahnen säumten den Weg zur Hauptallee, auf dem sich allmählich eine neue Ikone herauszubilden schien: wenn der Wasser-Abpumper der Gemeinde Wien all jene Biere annimmt, die ihm nach getaner Arbeit zugestanden wurden, muss morgen definitiv ein Ersatzmann her.
Eine Pljeskavica später ließ ich mich auf der Initiativenstraße beraten, wie ein perfektes Palästina auszusehen hätte („befreit und sozialistisch“) und ergatterte ein freies Exemplar eines deutsch-türkischen Kampfblattes, auf dessen Titelblatt ein mit Schweineschnute versehener Premierminister Erdogan illustriert ist. Auf dem Weg ins „Solidorf“ tippte mir jemand von hinten an die Schulter. „Hast du Bock auf die Befreiung?“ fragte mich ein in Springerstiefeln steckendes Mädchen und hielt mir eine Illustrierte mit dem gleichnamigen Titel unter die Nase. „Im Moment nicht.“
Mit Einbruch der Dämmerung verabschiedete ich mich von der Informationsstraße und bahnte mir meinen Weg zur Hauptbühne. Dort brachte sich Sigi Maron, der Godfather des Grantlerchansons gerade in Stimmung und setzte nach giftigen Eingangsworten zu einem Querschnitt seines musikalischen Schaffens an, wodurch das Gelände erstmals einen festival-ähnlichen Stimmungspegel erreichte.
Unterkühlt und unter schwimmenden Zehen trat ich dennoch recht zeitig die Heimreise an. „Regenschirme für Alle“ skandieren die beiden Bunthaarigen vor mir und recken die Fäuste in den Nachthimmel. Wie wahr.
Die STADTBEKANNT-Empfehlungen für Sonntag:
16:00 Raphael Sas Trio
18:30 Birgit Denk // Julia Swiess
19:00 Elektrofarmer // Hottensia and Marshariki Band (Afrika)
20:15 Elektro Guzzi // Luise Pop
Alle Informationen zu den Lesungen, Vorträgen, Diskussionen, Konzerten im Rahmen des Volksstimmefests finden sich unter www.volksstimmefest.at