Eine Hommage an den musealen Formaldehyd-Anachronismus

Wien ist trotz seiner langsam aufkeimenden, stetig stärker pulsierenden Kunst- und Kulturszene doch irgendwie ein antiquierter, anachronistischer Ort. Wien mit seinen gotischen Kirchen und ihren „memento mori“-Skulpturen, den Kaisergruften, der florierenden Friedhofskultur – eigentlich ist die ganze Stadt ein einziges urbanes Vanitas Stillleben. Genau dieser morbide Charme macht Wien ja auch irgendwo aus.

Der Ort, an dem all jene Morbidität monumenthaft zu gerinnen scheint, ist das Naturhistorische Museum. Während in Städten wie London auf Besucherinteraktivität und Erlebnischarakter gesetzt wird, Erdbeben simuliert und Dinosaurier zu scheinbaren Leben erweckt werden, setzt man in Wien auf eine historisch unveränderte Präsentationsweise.

1889 wurde der Zwillingsbau des spiegelverkehrten, gegenüber gelegenen Kunsthistorischen Museums eröffnet, um die überbordende Naturaliensammlung und Teile der Wunderkammer der Habsburger aus der Hofburg auszuquartieren und dort unterzubringen. Mit weit über 30.000 Exponaten ist es eines der größten naturhistorischen Museen der Welt. Diese ganzen Fossilien, Muscheln und natürlich Tierpräparate wurden dann in Schaukästen verstaut und wissenschaftlich kategorisiert. Seitdem dürfte sich dort nicht mehr viel verändert haben.

NHM Naturhistorische Museum Vögel
NHM Naturhistorische Museum Vögel

Taxiderme Freuden

Das Naturhistorische Museum ist vielleicht das langweiligste Museum der Welt. Für Kinder. Für Menschen, die einen Hang zum Bizarren haben, ist das Naturhistorische Museum ein taxidermer Spielplatz. Hier schlendert man durch die unendlich langen Korridore und Eingeweide des Museums, die Prunksäle. Es riecht nach Staub und Formaldehyd. Wenn die Sonne hereinfällt wird die Luft noch trockener und der Geruch von altem Holz macht sich bemerkbar. Oft ist begegnet man bei seinen Streifzügen durch die Korridore und Ausstellungsräumen lange keinem anderen Besucher.

NHM Naturhistorische Museum Schlangen
NHM Naturhistorische Museum Schlangen

Überhaupt trifft man hier eher tote Tiere als lebende Menschen an. In den uralten Schaukästen starren einen abertausende Glasaugen an, die Kärtchen, die erklären um welche Gattung es sich handelt, sind teilweise noch mit der Hand in Kurrentschrift verfasst. Special Effects oder Computersimulationen sucht man hier vergebens. Der „educatorial turn“ ist an diesem Museum jedenfalls spurlos vorüber gegangen: Erläuterungen oder Erklärungen zu Anatomie und Physiologie der einzelnen Tierpräparate gibt es schlichtweg nicht.

 

Schaulust der Jahrhundertwende

Was hier ausgestellt wird ist weniger wissenschaftliche Erkenntnis wie im Londoner Natural History Museum als viel eher die Schaulust der Jahrhundertwende: Bewundert wurde damals die Exotik der Exponate und Naturphänomene als ästhetisches Erlebnis, das wissenschaftliche Erklärungsmodell eines Ökosystems war damals von geringem Interesse.

NHM Naturhistorische Museum Krokodile
NHM Naturhistorische Museum Krokodile

Es ist jene Unzeitigkeit, die sich dem Innovationswahnsinn der zeitgenössischen Museen so behäbig wie trotzig zu widersetzen scheint, die den Charme des Naturhistorischen Museums ausmacht. Hier geht es ums Schauen und Staunen. Sicher auch um die makaberen Taxidermiepräparate und Dinosaurierskelette. Um all die antiquierte Jahrhundertwende-Wissenschaftlichkeit, die so gar nichts mehr mit unserer technoiden zu tun hat. Vor allem aber geht es um diesen morbid-skurrilen Charme, den dieses völlig antiquierte Museum versprüht. Im Naturhistorischen Museum ist irgendwie die Zeit stehen geblieben. Und das ist gut so.

Fotos

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    martha

    nhm
    während der langen nacht der museen gehe ich immer ins nhm, denn ich mag sehr gerne das ambiente dort – ein bissi muffig ist es aber schon 😉

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    Erich

    museum
    meines ist es ja nicht, aber einmal muss man auf jeden fall dortgewesen sein.

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    Oli

    Schulzeit
    bei den Fotos werden Erinnerung wach…. 😉

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    Lena

    kunst
    ich hab das kunsthistorische lieber.

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    Ronja

    Führungen
    Bei der schieren Größe des NHM kann man sich darin wirklich tagelang verlaufen. Die angebotenen Führungen sind aber echt klasse, und auch mal "etwas anderes" wie z.B die Nachtführung oder die Dachführung. Macht den Besuch gleich spannender :)Infos gibts auf der Seite vom NHM.

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    Anna

    die Steinesammlung…
    also ich mag ein seltsames Kind gewesen sein, aber ich hab – sehr zum Leidwesen meiner Wiener Oma, die ich immer im Sommer besucht habe – jedes Mal Stunden in den Räumen der geologischen Exponate verbracht und jeden einzelnen Stein angeschaut, bevor wir weitergehen konnten. Dort gabs aber auch einen "special effect": Man konnte bei einem oder zwei der Schaukästen auf einen Knopf drücken, der eine UV-Lampe einschaltete und die fluoreszierenden Steine "ins rechte Licht" rückte 😉

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