Freiluftgalerie Wien
Kunst- und Kultururlaub in Wien, das machen jeden Sommer Millionen von Menschen aus aller Welt. Warum nicht auch wir? Während in den kommenden Wochen nach und nach unsere schmerzlich vermissten Wiener Museen und Galerien wieder ihre Türen öffnen, haben wir vielleicht inzwischen auch schon das eine oder andere ästhetische Juwel in den Straßen Wiens und seinen Gemeindebauhöfen entdeckt.
Solche Juwele, historische oder auch brandneue, gibt es unglaublich viele. Beispielsweise im Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus.
Unsere Kunstreise dorthin beginnt mit einem Morgenkaffee auf der sonnigen Stiege der Hauptbücherei, urbane Bühne und Zuschauertribüne zugleich.
Kunst am Bau zwischen Stadthalle und Schmelz
Wir überqueren den Gürtel, lassen den regen Verkehr hinter uns und haben schon große Kunst vor uns: Fritz Wortruba und sein ebenso beeindruckender Schüler Wander Bertoni, einst als Zwangsarbeiter aus Italien nach Österreich verschleppt aber schnell in der hiesigen Kunstszene angekommen und doch ein Weltreisender geblieben, sind bei der Wiener Stadthalle vertreten: Wotruba mit der Skultpur aus Naturstein „Stehende Figur“ und Bertoni mit der Plastik aus Stahl „Bewegung“, reduziert der erste, dynamisch der zweite. Wir wandern westwärts weiter an den Kleingärten der Schmelz entlang zum Heinrich Hajek – Hof, der zeitgleich mit der Wiener Stadthalle in den 50er Jahren entstand, als Kunst am Bau blühte.
„Ruhende Frau“ und „Liegender Jüngling“
Hier an der Oeverseestraße finden wir Einlass unter einer Sopraporte, etwas, das wir aus den großen Museen kennen: ein Kunstwerk über einer Tür, hier über einem Tor, in den Wiener Gemeindebauten häufig anzutreffen. Hier stammt sie anders als in den Museen von einer Frau, Marijan Matijevic, und zeigt eine ruhende Frau aus Naturstein. Auf der Innenseite gleich dazu passend die zweite Sopraporte „Drei Kinder“, diesmal von der im Gemeindebau immer wieder vertretenen Künstlerin Luise Wolf. Das erinnert uns daran, dass das „Rote Wien“ und die dadurch ausgelöste bis heute nicht ganz verebbte Welle des Gemeindebaus den Familien mehr grünen Spiel- und Freiraum bringen wollte. Und wenn wir vor dem Jüngling aus Kunststein, der außer betrachtet werden zu sollen noch als Vogeltränke dient, wünschen wir uns, dass die im Laufe der Jahrzehnte in den Gemeindebauhöfen angebrachten das Spielen der Kinder stark einschränkenden Verbotsschilder wieder verschwinden.
Baum-Madonna und meterhohes Mural zwischen Auer Welsbach-Park und Schwendermarkt-Grätzl
Wir spazieren jetzt in den Bezirksteil jenseits der Westbahntraße, um uns im nördlichen Bereich des Parks bei einer Madonna mit dem spanischen Namen „Virgen del Tesoro“ niederzulassen, einer Natur/Kunstinstallation der österreichischen Künstlerin Johanna Honisch. In einen vier Meter hohen Schwarzkiefer-Baumstamm wurden, in Anklang an die gleichnamige Madonna-Darstellung in einer Kirche in Toledo, kleine Kupferplatten eingeschlagen. Bis September dieses Jahres nimmt dieser Baum Wünsche von Menschen entgegen, die mit einem Nagel eingeschlagen werden können.
Wir wünschen uns auf jeden Fall jetzt noch mehr zu sehen und wandern weiter in Richtung des in jeder Hinsicht bunt gestalteten und seit fast 200 Jahren bestehenden Schwendermarkts. Nicht weit von hier Nähe lockt an der Jurekgasse 34, einem sonst eher unattraktiven Haus ein überwältigendes Mural: eine haushohe, nackte Frau und ihr dunkler Schatten/Gegenpart u.v.m. – „Coexistence“ heißt es, stammt von @fitz_licuado und ist während des jährlich stattfindenden Street-Art-Festivals Calle Libre entstanden.
Scraffito, Graffiti und Co – Urbane Kunst in dörflicher Umgebung
Welten scheinen zwischen den vielen Wandbildern zu liegen, was Technik und Inhalt betrifft, die uns jetzt zwischen Schwender- und Reindorfgasse gehäuft begegnen: ob Sgraffito, Graffiti oder Stencil, dargestellt wird Mannigfaches: Marktszenen oder unter die Haut gehende Bilder gegen Hautkrebs auf einer 60 m langen Graffiti-Wand in der Schwendergasse, von der lokalen Plattform „Improper Walls“ kuratiert und von acht Street Artists für die Non Profit – Organisation „Spot the dot“ gegen Skin Cancer ausgeführt. Oder das in der Kunstgeschichte allpräsente Vanitas-Motiv der „Drei Lebensalter“ auf dem eindrucksvollen Wandbild am Paul-Richter-Hof in der Dadlergasse von Rudolf Heinz Keppel. Am Nebenhaus fast versteckt ein poetisches Stencil.
All diesen Wandwelten liegt eines zugrunde: Der Wunsch, das heutige Leben kritisch zu durchleuchten und gleichzeititg ästhetisch zu transformieren.
Straßenbilder im Kopf
Im pulsierenden und gleichzeitig still verträumten Zentrum von Fünfhaus angekommen: die Reindorfgasse, die sowohl im Namen als auch im Flair an das einmal hier bestehende Reindorf erinnert. Vorallem sie hat Rudolfsheim-Fünfhaus den Ruf eines kreativ verjüngten Bezirks gebracht. Vorbei am Buchcafé Mélange und an einer genähten Riesen-Maske in Form der Österreich-Fahne blickt uns ein Mural nach dem anderen entgegen. Da werden wir angeregt, unsere Gedanken jenseits von Werbe- und Politparolen wieder mäandern zu lassen, wie jene namenlose Frau von der Street Art Künstlerin „Nita“ im Rahmen von Improper Walls angefertigt.
Mit all diesen bunten Stadtbildern im Kopf halten wir zum Abschluss noch ein wenig am dörflich anmutenden Platz der josephinischen Pfarre Reindorf inne, in der wir unsere Kunstreise durch sakrale Kunst vom Feinsten – aus der Hand des Meisters Martino Altomonte (ein Österreicher, der sich einen italienischen Namen gab) – abrunden können.
Elke Papp
Die Stadtverführerin , begleitet euch gern durch die urbanen Kreativwelten von Rudolfsheim-Fünfhaus und bietet auch in anderen Bezirken inspirierende Spaziergänge an. Auch Wunschprogramme sind möglich.
mail@stadtverführerin.at
Wo wir waren
Hauptbücherei am Gürtel
Urban-Loritz-Platz 2A, 1070 Wien
Wiener Stadthalle
Roland-Rainer-Platz 1, 1150 Wien
Oeverseestraße
Oeverseestraße, 1150 Wien
Schwendermarkt
Schwendermarkt, 1150 Wien
Jurekgasse
Jurekgasse 34, 1150 Wien
Reindorfgasse
Reindorfgasse, 1150 Wien
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