Unterwegs mit Stefan Zweig

Der Schriftsteller Stefan Zweig zählt zu den bekanntesten AutorInnen Österreichs. Da er in Wien geboren wurde und hier auch lebte, begeben wir uns heute auf einen Spaziergang durch Wien auf Zweigs Spuren. Besonders sein 1942 posthum erschienenes Werk „Die Welt von Gestern“ wird uns dabei auf unserem Spaziergang begleiten.

Aufwachsen an der Ringstraße

Geboren wurde Stefan Zweig am 28. November 1881 am Schottenring 14, wo auch unser Spaziergang seinen Anfang nimmt. Das Haus steht auch heute noch hier und eine Gedenktafel erinnert an den Autor, der hier mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Alfred lebte. Später zog die Familie um, allerdings nicht weit entfernt in eine Wohnung am Concordiaplatz. Dass viele von Zweigs späteren Wiener Wohnorten sich in Gehdistanz zu seinem Geburtshaus befinden, wird der Verlauf unseres Spaziergangs zeigen. In „Die Welt von Gestern“ schwelgt er in den teils unbeschwerten und schönen Erinnerungen an seine Zeit in Wien, bevor die NS-Diktatur all dies zunichte machte. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten musste Zweig ins Exil fliehen und macht in seinem Vorwort zu „Die Welt von Gestern“ sein Gefühl der inneren Zerrissenheit und Heimatlosigkeit deutlich:

„Ich bin aufgewachsen in Wien, der zweitausendjährigen übernationalen Metropole, und habe sie wie ein Verbrecher verlassen müssen, ehe sie degradiert wurde zu einer deutschen Provinzstadt. Mein literarisches Werk ist in der Sprache, in der ich es geschrieben, zu Asche gebrannt worden, in eben demselben Lande, wo meine Bücher Millionen Leser sich zu Freunden gemacht. So gehöre ich nirgends mehr hin, überall Fremder und bestenfalls Gast; auch die eigentliche Heimat, die mein Herz sich erwählt, Europa, ist mir verloren, seit es sich zum zweiten Mal selbstmörderisch zerfleischt im Bruderkriege.“ (Stefan Zweig, „Die Welt von Gestern“)

Stefan Zweig Geburtshaus (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Stefan Zweig Geburtshaus (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Schule der bekannten Persönlichkeiten

Nicht weit von seinem Geburtshaus liegt die Schule, die Stefan Zweig besuchte. In der Wasagasse 10 war aber nicht nur Zweig Schüler des gleichnamigen Gymnasiums Wasagasse, zahlreiche Gedenktafeln erinnern an die Vielzahl an bekannten Persönlichkeiten, die das Gymnasium besuchten. Neben Stefan Zweig drückten hier u.a. auch Felix Salten, Friedrich Torberg, Erich Fried und Beate Meinl-Reisinger die Schulbank. Zweig selbst und einige seiner Schulkollegen langweilten sich allerdings bereits nach vier Jahren Gymnasium:

„Ein merkwürdiges Phänomen hatte sich in aller Stille ereignet: wir, die wir als zehnjährige Buben ins Gymnasium eingetreten waren, hatten bereits in den ersten vier von unseren acht Jahren geistig die Schule überholt. Wir fühlten instinktiv, dass wir nichts Wesentliches mehr von ihr zu lernen hatten und in manchem der Gegenstände, die uns interessierten, sogar mehr wussten als unsere armen Lehrer, die seit ihrer Studienzeit aus eigenem Interesse nie mehr ein Buch aufgeschlagen. Auch machte sich ein anderer Gegensatz von Tag zu Tag mehr fühlbar: auf den Bänken, wo wir eigentlich nur mehr mit unseren Hosen saßen, hörten wir nichts Neues oder nichts, das uns wissenswert schien, und außen war eine Stadt voll tausendfältiger Anregungen, eine Stadt mit Theatern, Museen, Buchhandlungen, Universität, Musik, wo jeder Tag andere Überraschungen brachte.“ (Stefan Zweig, „Die Welt von Gestern“)

Da auch wir nun, ganz im Sinne des jungen Stefan Zweig, noch mehr von der Stadt sehen wollen, verlassen auch wir das Gymnasium und spazieren weiter.

Gymnasium Wasagasse (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Gymnasium Wasagasse (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Zweig, der Kaffeehausliterat

Weiter geht es zur Währinger Straße und von hier aus zur Garnisongasse 10. Hier lebten die Eltern Stefan Zweigs und auch er übernachtete des Öfteren hier, als er bereits in Salzburg wohnhaft war. Wir spazieren in Richtung Universitätsstraße weiter. Hier, an der Hausnummer 11, ist heute das Café Stadtkind beheimatet. Früher befand sich an dieser Stelle jedoch das Café Beethoven, in dem auch Stefan Zweig regelmäßig zu Gast war. Zweig zählt zu den berühmten Wiener Kaffeehausliteraten, die angeregte Gespräche, inspirierende Gedanken und so manch hitzige Diskussion in den Kaffeehäusern der Stadt abhielten. So schrieb Zweig in seinem Werk „Die Welt von Gestern“ über das Wiener Kaffeehaus:

„Aber unsere beste Bildungsstätte für alles Neue blieb das Kaffeehaus. Um dies zu verstehen, muss man wissen, dass das Wiener Kaffeehaus eine Institution besonderer Art darstellt, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann.“ (Stefan Zweig, „Die Welt von Gestern“)

Café Stadtkind (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Café Stadtkind (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Vom Papier auf die Leinwand

Auf unserem Weg machen wir noch einen kurzen Abstecher in die Ebendorferstraße. Hier fanden zu Beginn diesen Jahres Teile der Dreharbeiten für die Neuverfilmung von Stefan Zweigs bekanntestem Werk „Die Schachnovelle“ statt, für die die Gasse in das Wien der Nazi-Zeit zurückversetzt wurde. Das Buch wurde bereits 1960 mit Curd Jürgens und Mario Adorf verfilmt, doch auch die Neuverfilmung kann durch Birgit Minichmayr und Oliver Masucci mit bekannten Namen aufwarten und soll voraussichtlich 2021 veröffentlicht werden.
Vom Filmschauplatz geht es nun weiter ums Eck in die Rathausstraße 17, wo uns ein ausgesprochen prunkvolles Gebäude erwartet. Heute befindet sich hier das Nobelhotel Rathauspark, zu Stefan Zweigs Zeiten hieß das Gebäude noch Haus Königswarter, das 1881 erbaut wurde – für den namensgebenden Freiherrn Moritz von Königswarter. Hier lebte Stefan Zweig einst mit seiner Familie, ein durchaus beeindruckender Wohnort. Der Erbauer des Gebäudes war übrigens der bekannte Architekt Wilhelm Stiassny.

Hotel Rathauspark (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Hotel Rathauspark (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Vom Prunk zur Studentenbude

Deutlich weniger prunkvoll gestaltet dafür sich unsere nächste Station. Über Landesgerichtsstraße und Josefstädter Straße gelangen wir zur Buchfeldgasse 2, in der Stefan Zweig als Student lebte. Durchaus passend, wie wir finden. Denn betrachtet man das Gebäude, so kann man sich auch heute noch deutlich vorstellen, dass hier junge Studenten wohnten. Zweig selbst war vom Universitätswesen nicht sonderlich angetan, bekrittelte die große Menge an Studierenden und den geringen persönlichen Austausch mit Professoren – eine Kritik, die auch StudentInnen von heute nach wie vor nur zu gut kennen. Er schrieb daher über die Wahl seines Studiums:

„An sich interessierte mich, der ich meine Seele längst der Literatur verschrieben, keine einzige der fachmäßig dozierten Wissenschaften, ich hatte sogar ein geheimes, noch heute nicht verschwundenes Misstrauen gegen jeden akademischen Betrieb. Für mich ist Emersons Axiom, dass gute Bücher die beste Universität ersetzen, unentwegt gültig geblieben, und ich bin noch heute überzeugt, dass man ein ausgezeichneter Philosoph, Historiker, Philologe, Jurist und was immer werden kann, ohne je eine Universität oder sogar ein Gymnasium besucht zu haben.“ Stefan Zweig, „Die Welt von Gestern“)

Buchfeldgasse 2 (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Buchfeldgasse 2 (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Stefan Zweig und die Josefstadt

Der 8. Bezirk war auch nach seiner Studienzeit für Stefan Zweig als Wohnort bedeutend, wie unser letzter Halt beweist. Denn zwei Parallelgassen von der Buchfeldgasse entfernt stehen wir nun in der Kochgasse, ebenfalls in der Josefstadt. An der Hausnummer 8 erinnert heute eine Gedenktafel daran, dass hier Stefan Zweig lebte und arbeitete, von 1907 bis 1919. Seine Bewunderung für künstlerische Größen wie Goethe und Beethoven wurde in dieser Wohnung auch anhand besonderer Reliquien deutlich, wie er in „Die Welt von Gestern“ schreibt:

„Nun war mir immer ein besonderer Sinn der Ehrfurcht für jede irdische Manifestation des Genius zu eigen, und außer jenen Manuskriptblättern trug ich mir an Reliquien zusammen, was ich erreichen konnte; ein Zimmer meines Hauses war in späterer Zeit – in meinem ›zweiten Leben‹ – ein, wenn ich so sagen darf, kultischer Raum. Da stand der Schreibtisch Beethovens und seine kleine Geldkassette, aus der er noch aus dem Bett mit schon vom Tode berührter, zitternder Hand sich die kleinen Beträge für die Dienstmagd geholt; da war ein Blatt aus seinem Küchenbuche und eine Locke seines schon ergrauten Haars. Eine Kielfeder Goethes habe ich jahrelang unter Glas gehütet, um der Versuchung zu entgehen, sie in die eigene unwürdige Hand zu nehmen. Aber wie unvergleichlich diesen immerhin leblosen Dingen war doch ein Mensch, ein atmendes, lebendes Wesen, das noch Goethes dunkles, rundes Auge bewußt und liebevoll angeblickt – ein letzter dünner Faden, der jeden Augenblick abreißen konnte, verband durch dies gebrechliche irdische Gebilde die olympische Welt Weimars mit diesem zufälligen Vorstadthaus Kochgasse 8.“ (Stefan Zweig, „Die Welt von Gestern“)

Gedenktafel Kochgasse 8 (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Gedenktafel Kochgasse 8 (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Die Begeisterung und Nähe, die Zweig zu seinen künstlerischen Idolen verspürte, können wir nach unserem Spaziergang auch ein wenig nachempfinden. Nur dass sich diese Begeisterung in unserem Fall nicht auf Goethe, sondern auf Stefan Zweig selbst bezieht. Besonders hier, wo er so viele Jahre lebte, stellen wir uns beim Betrachten des Gebäudes unweigerlich die Frage, wie er es denn empfunden haben mag, hier ein- und auszugehen und wie sein Arbeitsprozess und sein Alltag sich gestaltet haben mögen. Und so lebt für uns Stefan Zweig nicht nur in seiner Literatur, sondern auch an diesen Orten Wiens weiter, die er einst besucht und bewohnt hat. Und so wird Zweigs „Welt von Gestern“ ein Stück weit wieder zur Welt von heute.

    5.0

    Norbert Moser

    Sensibel, aber nicht spektakulär sind die “Wege” Stefan Zweigs beschrieben worden,
    ich werde in einem Spaziergang sie nochmals flanieren, sinnend promenierend.

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