Im Viertel der Weißgerber

Ein geschichtlicher Spaziergang der besonderen Art: Im Weißgerberviertel trifft bunte Gegenwart auf düstere Vergangenheit.

Heutzutage präsentiert sich der Bezirksteil des 3. Wiener Gemeindebezirks entlang der Weißgerberlände in seinem wohlbekannten, farbenfrohen Gewand: An zahlreichen Ecken hinterließ hier Hundertwasser seine hügeligen Kachelspuren und gab dem Viertel damit seinen fröhlich-bunten Anstrich. Wendet sich der Spaziergänger allerdings von dem mosaik-förmigen Touristenmagnet ab und lenkt seine Aufmerksamkeit auf die Details, so kann er noch Spuren der oftmals etwas düsteren Vergangenheit erkennen.

Hundertwasser Weissgerberviertel (c) STADTBEKANNT
Hundertwasser Weißgerberviertel (c) STADTBEKANNT

Die Geschichte der Verstoßenen

Beginnen wir am Anfang: Mit dem Namen des Viertels. Ein Weißgerber hatte es bei Gott nicht leicht. Nicht nur, dass sein Handwerk – das Bleichen von Leder mit ätzender Lauge – eine gesundheitsschädigende Tätigkeit war, sondern war sie zudem auch von starkem Gestank begleitet. 1802 schrieb ein Arzt namens Schaumburg: „Um sich in Wien hiervon auf eine freilich dem Geruche äußerst unangenehme Weise zu überzeugen, darf man nur in die Gasse, in welcher die Weißgerber wohnen, und an dem zunächst gelegenen Ufer der Donau spazieren gehen.“ Aus diesem Grund wurden die Weißgerber im 16. Jahrhundert aus der Stadt verdrängt und mussten sich in einer Vorstadt ansiedeln, die ab diesem Zeitpunkt als „Unter den Weißgerbern“ bekannt war.

Die Geschichte der Tierhetze

Der Stadtspaziergang beginnt recht unspektakulär im ehemaligen Zentrum des Viertels, in der Pfefferhofgasse. Denn vom einst schlossartigen Pfefferhof, auf dessen Areal sich der Gasthof „Zum goldenen Adler“ befand, ist heute nicht mehr viel zu sehen. Nicht unweit davon befindet sich die Hetzgasse, die ebenso heute kaum einen Abstecher mehr wert ist. Im Gegensatz dazu galt sie vor über 200 Jahren als Hotspot: Bei der Hausnummer 2, einem dreistöckigen Holzbau, kamen tausende Menschen zusammen, um in den zweifelhaften Genuss einer grausigen Attraktion zu kommen: Im Tierhetztheater wurden Bär, Wolf, Wildschwein und Co. von Hunden oder Menschen zu Tode gehetzt. Der Bau brannte 1796 ab. Dem heutigen Spaziergänger präsentiert sich an seiner statt lediglich eine schmutzige Häuserfassade.

Essenspause

Um den finsteren Geschichten vorerst zu entfliehen, führt unser Weg nun die Radetzkystraße entlang, die bald in den gleichnamigen Platz mündet. Dort wird ausreichend fürs leibliche Wohl gesorgt: Wer es traditionell und alteingesessen mag, ist im Gasthaus Wild gut aufgehoben – oder idealerweise davor, wenn es das Wetter erlaubt. Kontrastprogramm dazu lässt sich gleich nebenan finden, das Harlem.Hood.

Radezkyplatz Weissgerberviertel (c) STADTBEKANNT
Radezkyplatz Weissgerberviertel (c) STADTBEKANNT

Gut gestärkt marschieren wir nun in Richtung Kolonitzplatz, der von der neugotischen Pfarrkirche St. Othmar unter den Weißgerbern dominiert wird. Wir heben den Blick, um den fünfthöchsten Kirchturm Wiens zu bestaunen und setzen unseren Spaziergang auf den dunklen Pfaden des Weißgerberviertels in der Löwengasse fort.

Othmarkirche Weissgerberviertel (c) STADTBEKANNT
Othmarkirche Weißgerberviertel (c) STADTBEKANNT

Die Geschichte der Hinrichtungen

Wir bewegen uns parallel zur Weißgerberlände entlang architektonisch ansprechender Bauten. Früher war die Lände bekannt als Gänseweide, da hier stets große Gänseherden anzutreffen waren. Klingt idyllisch, war jedoch Schauplatz grausiger Ereignisse. Mit dem Abbiegen links in die Kegelgasse riskiert man zwar einerseits, von den Touristenmassen verschluckt zu werden, die sich vor dem Hundertwasserhaus zwischen sanften Hügeln aus Pflasterstein dem Selfie-Rausch hingeben. Andererseits ermöglicht es aber gleichzeitig einen weiteren Blick in eine dunkle Vergangenheit: Eine Gedenktafel verkündet, dass die wohlklingende Gänseweide in Wahrheit eine Hinrichtungsstätte war. 1421 wurden hier 200 Juden verbrannt, auch Hexenverbrennungen fanden an diesem Ort öffentlich statt.

Gänserelief Weissgerberviertel (c) STADTBEKANNT Zohmann
Gänserelief Weissgerberviertel (c) STADTBEKANNT Zohmann

Um diese Geschichten und die zuvor eingenommene Mahlzeit zu verdauen, kann zuletzt noch dem Café Zartl ein Besuch abgestattet werden. Dabei riskiert man auch keinen Kulturschock, scheint doch auch hier die Zeit etwas zurückgedreht worden zu sein. Ein Kaffee im geschichtsträchtigen Ambiente rundet den Spaziergang durch die Weißgerber-Vergangenheit ab.

STADTBEKANTN meint

Das Weißgerberviertel ist facettenreich. Gelingt es dem geschichtsbegeisterten Spaziergänger, das touristische Treiben rund um die Hundertwasser-Sehenswürdigkeiten auszublenden, so lässt sich so manch dunkles Geheimnis des Viertels entdecken: Ursprünglich ein Ort für die verstoßenen Weißgerber, erzählt es außerdem von früheren Attraktionen der Tierhetzte und prominenten Hinrichtungsstätten. Um bei solchen Geschichten bei Laune zu bleiben, muss allerdings der ein oder andere Besuch in einem der Restaurants eingeplant werden.

Gasthaus Wild
Radetzkyplatz 1

Harlem.Hood
Radetzkyplatz

Café Zartl
Rasumofskygasse 7

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