1. Oktober 2013

Wieviel Rücksicht muss sein?

U-Bahn Station Rossauer Lände (c) STADTBEKANNT

Die Wiener Linien Kampagne

Seit Mitte September begleitet die Wiener und Wienerinnen eine Kampagne der Wiener Linien mit dem Namen „Rücksicht hat Vorrang“. Ziel ist, Frieden und Respekt unter den 2,5 Mio. Öffi-Nutzern Einzug halten zu lassen und dabei werden schwere Geschütze aufgefahren: Plakatwände, Durchsagen über „vergessenen Müll“ und als überlebensgroße Tschikstummel verkleidete Mitarbeiter. Die großen Aufreger sind Klassiker wie Essen, Hunde und Fahrräder. Doch geht das nicht zu weit?

Haben wir ein Recht auf Essen und Lachen in der U-Bahn, oder jenes, davon verschont zu bleiben? Wir haben ein paar Pros und Contras für euch zusammengetragen.

PRO

– Regeln müssen sein

Respekt und gegenseitige Rücksichtnahme scheinen momentan ziemlich „out“ zu sein. Überall wird gepöbelt und jeder ist sich selbst der nächste. Wo also keine Einsicht herrscht, sind Regeln eine Notwendigkeit. Denn so ungern man es zugibt, aber ohne Regeln und Verbote würden wir nackt mit dem Auto in den Supermarkt fahren, uns dort das Essen klauen und dann unseren Müll auf die Straße kippen.

– Ich bezahle dafür

Es ist ja eigentlich das Mindeste, dass man in einem öffentlichen Verkehrsmittel keine Verunreinigungen ertragen muss und dass für die Sicherheit der Fahrgäste gesorgt wird. Immerhin zahlen wir auch dafür!

– Minimalkomfort in der Holzklasse

Die Wiener Öffis sind ja kein sibirischer Güterzug – ein wenig Komfort darf man sich also auch erwarten. Wie komme ich eigentlich dazu, mir die Kebab-Fahne von meinem Sitznachbarn antun zu müssen? Und für das Mitanhören hirnloser Telefonate, deren Inhalt einem Schmerzen bereitet, müsste man eigentlich eine Fahrtkostenrückerstattung erhalten. Fremdschämen kann ich mich auch wo, wo’s gratis ist.

– Zivilcourage ist nicht mehr möglich

Nun meinen vielleicht einige: Dann muss man einfach den Mund aufmachen und sagen, was einem nicht passt. Aber mal ehrlich: Wenn ich ein paar in die Goschen bekommen möchte, kann ich mich auch in lila Uniform in die Rapid Kurve stellen.

CONTRA

– Willkommen in der Kontrollgesellschaft

Die zehn Gebote waren gestern, heute fährt man Straßenbahn. In einer sicher nicht billigen Kampagne läuten die Wiener Linien die nächste Stufe der Kontrollgesellschaft ein. Denn es gibt eigentlich keinen Bereich mehr, wo einen nicht Sermone an Verboten und Handlungsanweisungen in der eigenen Freiheit – auch zu entscheiden, was angemessen ist – beschneiden.

– Ich bezahle dafür

Die öffentlichen Verkehrsmittel sind nicht umsonst – wir zahlen also dafür, dass wir sicher und pünktlich ans Ziel gebracht werden. Aber wo beginnt Belästigung und wo die Grantscherm? Wer entscheidet, ob die Musik aus meinen Kopfhörern eine Belästigung ist? Welche Sprechlautstärke ist angemessen? Wer einmal im Leben mieselsüchtige Nachbarn hatte, weiß, dass es in derlei Fragen keine objektive Antwort aber viele Beschwerden geben kann.

– Friss oder stirb

Wie viele Menschen essen gerne in einer U-Bahn? Vielleicht tun sie das auch, weil ihnen die Zeit fehlt, sich in Ruhe hinzusetzen! Bevor ich in der Arbeit vom Fleisch falle, esse ich lieber neben jemandem, der es nicht riechen will.

– Wir werden für dumm verkauft

Glaubt man wirklich, lächerliche Gestalten in Hot-Dog-Kostümen halten erwachsene Menschen davon ab, sich schlecht zu benehmen? Noch dazu verbreiten die zahlreichen Durchsagen ein Klima wie in Nordkorea, wo man auch das Radio nie ausschalten kann und zwangsbeschallt wird.

– Das ist ein Fass ohne Boden

Die vielen Dont’s bringen einen richtig auf den Geschmack: Raus mit den Hässlichen, das tut in den Augen weh! Und Kinder sind gleich als nächste dran, vor allem die mit vollen Windeln. Danach sollte man sich in den Sommermonaten den Stinkenden zuwenden – endlich einmal leere Waggons! Auch alte Menschen bewegen sich viel zu langsam und schreien einander beizeiten an – bitte haltet euch von den Öffis fern, Omis und Opis! Wenn es endlich eine 100 Seiten starke Hausordnung gibt, löst sich alles von alleine…

Nadja Pospisil

2 Kommentare

  1. Killer-Candy

    1. Oktober 2013

    öffiwahn
    Hab selbst schon oft in den Öffis gegessen, niemals weils so viel Spaß machr ,… wenn man arbeiten muss und nach dieser in die Abendschule fährt und genau so viel Zeit hat wie die Fahrt dauert auch anständig zu essen … was bitte soll Mann oder Frau den dann sonst tun !?!
    Und ganz ehrlich das die penetranten Zigeunermusiker in diversen ubahnganituren sind doch wirklich störend und nicht jemand der "walkman" hört … aber da wir uns sowieso schon fast wie in Georg Orwells "1984" befinden …. ein Hoch der totalen Bevormundung!!!!

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  2. hafenjunge

    1. Oktober 2013

    verbotswahn
    minimale rücksicht auf einander wird wieder mal in einem verbotswahn umgesetzt.
    bin auch sicher, dass es meistens nicht der geruch von speisen ist der belästigt, sondern der neid auf den andren, dass der etwas ist und man nicht, dass der freunde am telefon hat und man nicht usw.
    Neid ist eine der größten Untugend der Wiener.
    Gleiches zeigt sich auf der Mariahilferstraße, die hauptsächlich nicht funktioniert, weil keiner den andren achtet. radler zu schnell, fußgänger, die keinen milimeter weichen, taxler die durchpressen, verirrte die einfach weiterfahren und die schnapsidee mit der busspur.
    wenn jeder auf den anderen mehr achten würde und respektvoller miteinander umgehen würde, würde das alles funktionierten.
    Dann reib ich dem nächsten auch nicht das Kebab unter die nase, darf aber trotzdem in der bahn essen …

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