15. Oktober 2019

Hotspot der Donaunekropole

Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT

Wer in Wien über den Jordan geht, landet oft am Zentralfriedhof. Das war nicht immer so. Neongelbe Jogger, eine Konditorei sowie das Sitzbankerl beim Grab des Falken gibt es dort auch noch nicht so lang. Nur der Ferdl, das „Kripplgspü“ liegt dort schon seine 15 Jahre herum. Ein Stimmungsbericht vom „Zenträu“, dem „Aphrodisiakum für Nekrophile“.

Alle haben sie die Potschn g’streckt, a Bankerl grissn, den Löffel abgebn, sich niederglegt, ausghuast, de Bock aufgstööt und den Hoizpütschama anzogn. Einige davon haben tragischerweise sogar die Gas aufdraht, sich die Kugel gebn, ins Hangerl gschmissn oder ins Pendel ghaut. Gestorben sind sie alle, die rund drei Millionen am Wiener Zentralfriedhof zu Grabe getragenen Menschen. Das ist unerfreulich, aber durchaus üblich. Ihr aller Glück: Sie haben in der Donaunekropole ins Gras gebissen. Wo der Sensenmann Heimvorteil hat. Dass der Tod selbst ein Wiener war, weiß seit Georg Kreisler ja sowieso jedes Kind. Und weil zu Tode gefürchtet bekanntlich auch gestorben ist, bemüht der Wiener gern den Schmäh, wenn er sich ins Hemd macht. Eine schlaue Strategie, die wohl dazu beigetragen hat, dass stattliche Begräbnisse hier fast schon zum guten Ton gehören. Nur in Wien macht die schöne Leich‘ einen so elaborierten und todschicken Abgang. Klar, dass auch die Geschichte der Friedhöfe hier alles andere als sterbenslangweilig ist.

Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT
Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT

„Pestialisch“: Verbannung der Friedhöfe aus der Innenstadt

Vom Mittelalter weiß man, dass die WienerInnen ihren Verblichenen stets nahe sein wollten. Daher lagen die größten Friedhöfe auch im Zentrum der Stadt – etwa um die Stephanskirche. Im Laufe der Historie wanderten die Gottesäcker jedoch in die Vorstadt. Die Gründe: mangelnde Hygiene und Platzmangel aufgrund der Pest, derentwegen allein im Jahr 1679 rund 12.000 WienerInnen das Zeitliche segneten. Joseph II, Sohn Maria Theresias und von 1765 bis 1790 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, erließ eine Seuchen- und Hygieneverordnung, die vorsah, sämtliche Friedhöfe innerhalb des Linienwalls, der etwa dem heutigen Gürtel entspricht, aufzulassen. Mit Ausnahme der Reste des jüdischen Friedhofs in der Rossau gibt es seither in den inneren Bezirken keinen Friedhof mehr.

Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT
Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT

Effiziente Verwesung, einfaches Buddeln, blutleere Promis

Am 1. November 1874 wurde dann auch der Wiener Zentralfriedhof in Simmering eröffnet. An diesem Standort deshalb, weil der hier vorherrschende Lössboden dem Verwesungsprozess so richtig Beine macht. Sogar der Aushub ging dort immer schon locker vom Hocker, was den WienerInnen aber einigermaßen blunzn war. Ihre Begeisterung über die morbide Liegewiese hielt sich nämlich sehr in Grenzen. Ein bisschen Leben würde dem neuen Friedhof vermutlich tatsächlich guttun, reflektierte man deshalb 1881 im Gemeinderat, der bald darauf die Verlegung namhafter, auf anderen Friedhöfen blutleer Dahinmodernder auf den Zentralfriedhof und die Zuerkennung von Ehrengräbern in Simmering beschloss. Wie nachhaltig dieser Schritt war, manifestiert sich noch heute in den BesucherInnenzahlen. Als „Aphrodisiakum für Nekrophile“ bezeichnete André Heller den Zentralfriedhof einst. Kann man schon mal so sagen.

Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT
Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT

Am „Zenträu“ liegst in bester Gesellschaft

Nicht nur zu Allerheiligen und Allerseelen, wenn der Toten gedacht wird, strömen Tausende zum Zentralen. Vor allem die zahlreichen Ehrengräber und ehrenhalber gewidmeten Gräber werden ganzjährig gern besucht. Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Hans Moser, Erwin Ringel, Fred Adlmüller, Curd Jürgens und natürlich sämtliche Bundespräsidenten des Landes – sie und viele, viele weitere berühmte Persönlichkeiten wurden am Zentralfriedhof beigesetzt. Und natürlich der Hölzel Hans, der vor 21 Jahren mit seinem Mitsubishi Pajero in den Legendenstatus abgebogen ist und dessen schiacher Grabstein ihn wohl gleich noch einmal in den Erdboden versinken hätte lassen. Und dennoch: Des Falken Grabstätte ist seit jeher auch Pilgerstätte, weshalb man ihr vor wenigen Jahren auch eine eigene Sitzbank verpasste, was dem Hölzel Hans unterirdisch sicherlich getaugt hat. „A Bankerl fia meine Leit? Leiwaund, Oida!“

Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT
Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT

Unten liegt ein „Kripplgspü“, oben wird gesportelt

„Wia laung liegt da Ferdl jetzt scho do?“, wollte eine betagte Dame unweit des Ehrenhains von ihrem etwa gleich alten Begleiter wissen. „Na fuffzehn Joahr sicher, des Kripplgspü, des elendigliche“, antwortete der, was einen im Friedhofssetting schon zusammenzucken lässt und darauf hindeutet, dass es nicht das Grab vom Ferdl war, das die beiden eben besucht haben. Zwar hätte ich diesem durchaus stark beginnenden Dialog gerne weitergelauscht, aber die zwei neongelben Jogger mit Stirnlampe gaben auch was her. Am Zentralfriedhof gibt’s nämlich jetzt auch zwei offizielle Laufstrecken, was einige Stammtrauernde auch ein bisserl wütend macht. Dass sie selbst in der Filiale der „Kurkonditorei Oberlaa“ am Areal des Friedhofs beim Verspachteln ihrer Malakoff oft nicht unbedingt todernst schauen, finden sie seltsamerweise nicht komisch. Dennoch: Zwei Laufstrecken sollten reichen, um keine Eventlocation „Zenträu“ aus dem Friedhof werden zu lassen, die dann vielleicht auch noch Schule macht. Wir wollen ja künftig nicht im Palmenhaus slacklinen oder im Donnerbrunnen apnoetauchen. Der Ferdl dürfte jedenfalls ein veritables Oaschloch gewesen sein.

Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT
Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT

Wo der Zentralfriedhof keinen Mucks macht

Nichts, absolut gar nichts ist am Zentralfriedhof beeindruckender und schöner als der alte jüdische Teil, mit dessen Belegung 1879 begonnen und in dem bis 1916 rund 80.000 Menschen ihre letzte Ruhe fanden. Gleich hinter „Tor 1“ ist alles wie ausgestorben, führen die Wegerl in alte Zeiten und prägen mit Efeu überwachsene Grabsteine, melancholische Steinskulpturen, eindrucksvolle Grabdenkmäler jüdischer Familien sowie Rehe, Füchse und Igel die Szenerie. Maximal ein, zwei Kerzen brennen in diesem großen Unterschlupf der Seligen und imposanten Naturrefugium. Es herrscht Totenstille, die keinesfalls gestört werden darf. Die Gräber gehören den schlafenden Dahingegangenen, die ihre Ruhe brauchen.

Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT
Zentralfriedhof (c) STADTBEKANNT

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt