10. Mai 2019

Wie gut lügst du?

Wie gut lügst du - Fake News (c) STADTBEKANNT

Die Lüge ist allgegenwärtig!

Die Unwahrheit zu sagen für den eigenen Vorteil ist eine schlechte Angewohnheit, die auf der ganzen Welt grassiert – in den höchsten Kreisen ebenso wie in den tiefsten. 

Kreative G’schichtln, frisch gedruckt

Klassischerweise findet man offene Lügen(geschichten) in der Politik. Diese ist seit jeher ein dreckiges Geschäft: Schon in der Antike inkludierte die Kunst der Rhetorik auch die kunstvolle Täuschung. Anno 1358 nutzte der Habsburger Rudolf IV. das Instrument der Fake News und gab fünf gefälschte Urkunden in Auftrag, die seine Rechte als Herrscher untermauern sollten. Die als Privilegium Maius bekannten Dokumente wurden anerkannt – und bildeten schließlich die staatsrechtliche Grundlage für ein Land, das sich heute Österreich nennt.

Auch Jahrhunderte später erfinden Politiker gerne unwahre Geschichten, um sich selbst in ein besseres und die Gegner in ein schlechteres Licht zu rücken. Meister im Gewerbe der berufsmäßigen Dichtkunst ist beispielsweise Norbert Hofer (FPÖ): Er behauptete u.a., nie ein NLP-Training gehabt zu haben, verkaufte die Kornblume – einst Erkennungszeichen der illegalen Nationalsozialisten – als “Europablume”, unterstellte Alexander Van der Bellen im Wahlkampf, ein Spion gewesen zu sein und erfand ein Terror-Attentat, das er in Jerusalem bezeugt haben will. Alle vier Behauptungen sind erwiesenermaßen falsch. Als Verkehrsminister belog er zuletzt die trauernden Schulkollegen eines bei einem LKW-Unfall getöteten Jungen: Er versprach, sich für ihr Anliegen einzusetzen, obwohl er bereits zuvor mit der Transportunternehmer-Lobby Gegenteiliges vereinbart hatte.

Der Lüge schuldig machen sich aber nicht nur Politiker. Auch wir – ja, wir alle – lügen gelegentlich, um uns Ärger zu ersparen oder einen Vorteil zu generieren. Aber heiligt der Zweck wirklich alle Mittel? Was macht die Lüge mit der Politik? Und wie kommt es, dass wir notorische Lügner dennoch ernst nehmen können?

Lügen haben kurze lange Beine

In einer perfekten Demokratie gäbe es einen Wettstreit an objektiv richtigen Informationen, die mit fairen, sachlichen Mitteln um die Gunst der Wählerschaft rittern. Die Wähler könnten abwägen und anhand von Fakten frei entscheiden, was sie für besser halten.

Die perfekte Demokratie existiert aber ebensowenig wie der perfekte Partner: In der Realität wird dreckig und mit allen Mitteln um das begehrte Gut gekämpft, das sich “Kontrolle der öffentlichen Wahrnehmung” nennt. Schließlich sind Lüge und Manipulation meist erfolgversprechender im Meinungskampf als komplexe, teils unbequeme Wahrheiten. Vor allem in einer Zeit, in der Gefühl und Empörung mehr zählen als das Argument.

Genau hierin liegt aber ein fundamentales Problem. Die Demokratie mit ihrer Meinungs- und Wahlvielfalt führt sich selbst ad absurdum, wenn Unwahrheiten sie bis aufs Mark durchdringen. Die deutsche Philosophin Hannah Arendt bringt es auf den Punkt, wenn sie schreibt: “Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.“ (1963)

Somit ist es auch in einer Demokratie möglich, dass Lügen gigantischen Ausmaßes sich durchsetzen und irrationale politische Entscheidungen auslösen, die ganze Gesellschaften betreffen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Brexit. Obwohl gegen das Brexit-Lager zahlreiche Ermittlungen und Gerichtsverfahren laufen – die Vorwürfe reichen von Überziehung der Wahlkampfkosten über bewusste Manipulation und Lüge bis hin zu Datenmissbrauch – müssen nun alle Briten den EU-Austritt ausbaden.

Aber wie konnte es überhaupt soweit kommen? War der Bürger hier nicht mündig genug, gewisse Themen selbst zu reflektieren und Lügen als solche zu erkennen? Haben wir das Denken verlernt?

Das Problem bei Fake News ist, dass sie uns ähnlich wie Werbebotschaften unter die Haut und in unser Bewusstsein kriechen, ohne dass wir es bemerken. Stetig wiederholte Behauptungen färben ab. Selbst dann, wenn die Lüge nicht oder nicht zur Gänze geglaubt wird – irgendetwas bleibt hängen, und sei es nur die diffuse Angst vor Fremden, der latente Neid auf Sozialleistungsbezieher oder das gewisse Unwohlsein vor der Impfung. Auch die haarsträubendsten Verschwörungstheorien, die rational leicht widerlegt werden könnten, erzielen durch unablässige Wiederholung eine Wirkung. In der Filterblase wird aus der Lüge langsam Wahrheit: Emotionale Aufladung verleiht ihr scheinbares Gewicht, Wiederholung gibt ihr scheinbare Relevanz, und irgendwann wird aus einem G’schichtl eine anerkannte Wahrheit. So funktioniert unser Gehirn. Das Lernen durch Wiederholung, das uns beim Vokabelstrebern hilft, legt uns hier ein Ei – und zwar ein gewaltiges.

Wollen wir belogen werden?

Dass wir selbst notorische Lügner ernst nehmen können, scheint zwar auf den ersten Blick verwunderlich, ist aber größtenteils der eigenen Bequemlichkeit geschuldet: Statt trockener Wirklichkeit wollen wir leicht verdauliche Illusion, Emotion, Aufregung, Stimmung. Ex-Vizekanzler Strache bestritt beispielsweise, mit Identitären auf einem Foto abgebildet zu sein, und nannte das Bild eine empörende Fälschung. Das Bild war echt. Dennoch vertrauen ihm Menschen. Gegen jede Vernunft, gegen jede Rationalität, glauben sie jemandem, der offen lügt. Sie wurden dazu erzogen. Sie sind es gewohnt.

Für den Machtpolitiker selbst ist sein Handeln eine Selbstverständlichkeit. Wie schon der politische Philosoph Niccolo Machiavelli (“Der Fürst”, 1513) schrieb, darf ein Herrscher sein Wort brechen, um den schönen Schein vor dem Volk zu wahren und seine Macht zu vergrößern. Das Volk wird also – pardon ob des kommenden Wortes – plangemäß beschissen, wenn es der “richtigen” Politik dienlich ist. Zielgruppen-Marketing brutal.

Geschichtlich gesehen ist dieses Vorgehen wenig neu. Eliten jedweder politischen Richtung folgen der machiavellistischen Idee, die vom Untertanen bei Strafandrohung Ehrlichkeit und Anstand verlangt, während oben bei den “Fürsten” gelogen wird, dass sich die Balken biegen. So auch noch in Österreich anno 2019. Im Bierzelt gibt man sich bei Fahnengeschwenk und Schlagermusik volksnah. Die geladenen Massen werden mit dem belogen, was sie hören möchten. Sie klatschen Beifall, fühlen sich bestätigt. Die Fürsten wiederum feiern, dass ihre Untertanen so dankbar naiv sind und ihnen den Machterhalt sichern.

Sie brauchen einander, die Elite und das Untertanenvolk. Die einen belügen die anderen, die anderen belügen sich selbst. Emotionen, geschürt durch postfaktische Brandreden, halten sie zusammen. Fakten? Komplexe Zusammenhänge? Unnötig. Es reicht, den Rausch zu genießen, dazuzugehören, in Stimmung zu sein. An den Kater denkt man nicht.

Eine Annäherung an die Wirklichkeit

Was also können wir tun, um uns nicht von Unwahrheiten einwickeln zu lassen? Ist es überhaupt möglich, im Dickicht der Informationen und Aussagen so etwas wie Wahrheiten zu entdecken, oder ist die Suche danach ohnehin ein hoffnungsloses Unterfangen?

Eines vorweg: Es ist anstrengend und eventuell auch unbequem, sich ein umfassendes Bild zu machen. Wer sich jedoch dafür entscheidet, Dinge zu hinterfragen und zu reflektieren, anstatt einfach zu glauben, was andere behaupten, kann sich am Ende des Tages guten Gewissens in den Spiegel schauen und sagen: “Ich habe mich informiert und frei entschieden.”

Ein erster Schritt in Richtung mehr Durchblick ist jedenfalls, reale und virtuelle Wohlfühl-Filterblasen zu verlassen und sich offen mit jenen auszutauschen, die anders sind – sei es nun in Bezug auf Alter, Geschlecht, politische Präferenz, soziale Schicht, Herkunft, Religion oder Bildung. Nur wer tatsächlich mit verschiedenen Menschen Kontakt aufnimmt, begreift Demokratie und Pluralität am eigenen Leib.

Ein zweiter Schritt ist die Bereitschaft, faktenbasiert Neues zu lernen und, wenn nötig, alte Ansichten zu revidieren. Das kann wehtun, ist aber bei der Annäherung an die Wirklichkeit unerlässlich. Jeder Forschende im wissenschaftlichen Bereich kennt das.

In einem dritten Schritt gilt es, auch öffentlich laut zu werden und zu widersprechen, wenn blanke Lügen drohen, in der öffentlichen Meinung Wirklichkeitsstatus zu erlangen.

Denn, wie schon ein alter Satz besagt: Wer schweigt, stimmt zu!

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