11. November 2010

Ulrich Drechsler im Portrait

Concinnity“, die glückliche Zusammenfügung. Auch: Eleganz, Gelassenheit. Und nicht zuletzt der Titel von Ulrich Drechslers soeben bei Enja erschienenen Albums, das diesen Bedeutungen mehr als gerecht wird: hier trifft die Bassklarinette, Drechslers Hauptinstrument, auf zwei Celli und ein Schlagzeug – eine einzigartige und sich höchst homogen ineinander fügende Instrumentierung. Auf „Concinnity“ spielen sich Klarinette und Celli gegenseitig die Bass- und Melodielinien zu, übernehmen verschiedene harmonische Funktionen und führen uns, eingeleitet vom wunderschönen „Eternal“ über meinen persönlichen Favoriten „Dance If You Like To“ bis hin zu Drechslers melancholischem Solo-Spot „A Love Affair“ durch ein vielschichtiges, stimmungsvolles und sehr gelungenes Album mit durchwegs interessanten Kompositionen aus der Feder Drechslers.
 
Derzeit tourt Ulrich Drechsler mit dem Quartett durchs In- und Ausland, am 26.11 aber kommt er mit einem seiner anderen, nicht minder sehenswerten Projekte, dem Quintett DRECHSLER (sozusagen das Nachfolgeprojekt seines legendären Trios Café Drechsler) ins ORF Radiokulturhaus – die einzige Möglichkeit dieses Jahr das Quintett live zu erleben. Viele Gründe also, den charismatischen 41-jährigen bei ihm zu Hause für ein Gespräch über seinen Werdegang, seine aktuellen und vergangenen Projekte und die Liebe zur Musik zu treffen.
 
Mit dem Sound vom erwähnten Café Drechsler hat sein aktuelles Schaffen freilich denkbar wenig zu tun. Das hierzulande legendäre Trio, das er gemeinsam mit Oliver Steger und Alex Deutsch ins Leben rief, wurde im Jahre 2000 gegründet, kurz nachdem Drechsler aus Graz, wo er sein Musikstudium absolvierte, nach Wien kam. Aber der Reihe nach:

In Deutschland geboren und aufgewachsen hätte Drechslers musikalische Laufbahn auch anders verlaufen können: so war ein Klassik-Studium der Klarinette auf dem Konservatorium geplant gewesen, woran er aber recht bald das Interesse verlor.

 
Ulrich Drechsler: „Ich habe es dann gelassen, weil ich mir dachte dass mir die klassische Musik zu wenig Entfaltungsmöglichkeiten gegeben hätte, und ich auch den Eindruck hatte dass klassische Musiker zu wenig Spaß haben im Leben“.
 
Zwischenzeitlich wechselte er auch von der Klarinette zum Saxophon, ein Instrument dass er sich größtenteils selbst beibrachte. „Ich fand als Teenager, Klarinette ist nicht besonders sexy. (lacht) Sprich, bei den Mädels habe ich mir mit Saxophon mehr Chancen erhofft. Das hat sich dann auch bewahrheitet (lacht). Ich hab ja auch meine Frau über die Musik kennengelernt“.
 
Im Laufe der Zeit ist die (Bass)Klarinette aber wieder zum Hauptinstrument geworden und das Saxophon, wie er schmunzelnd meint, mehr so etwas wie sein Hobby – obwohl im Studium das Saxophon sein Hauptinstrument war.
Fertig mit dem Studium und frisch nach Wien gekommen, begann mit Café Drechsler recht bald seine Laufbahn als professioneller Musiker. Die Band sprach, so Drechsler, von Anfang an vor allem ein junges Publikum an, dass tanzbare Musik nur aus dem elektronischen Kontext kannte – dass dies in einer regulären Bandbesetzung passieren kann war damals hierzulande eher ein Novum. Das erste Jahr in Wien allerdings gestaltete sich etwas schwierig:
Es war mühsam. Nachdem ich nicht in Wien studiert hatte, habe ich hier relativ wenig Anschluss gehabt. In der Jazz-Polizei Szene läuft das ja so ab, dass man sich ja gegenseitig die Jobs zuschiebt. Ich bin dann auf eine Session gegangen, in den Tunnel, und da war so eine grauenvolle Stimmung dass ich dachte, ich hab da nix verloren, ich schau dass ich selber was auf die Reihe krieg. Im zweiten Jahr kamen dann die ersten Jobs und dann kam eh das Café Drechsler. Das hat mich einige Jahre gut über Wasser gehalten“:
 
Drechsler versteht sich als autark, nicht als Teil irgendeiner Szene. Diese Autarkie, so Drechsler, habe einerseits den Vorteil dass er kompromisslos arbeiten könne und sowohl Erfolge als auch eventuelle Misserfolge selbst zu verantworten habe, nachteilig sei, dass er eben recht wenig mit anderen Musikern zu tun hat. Drechsler arbeitet in Punkto Besetzungsfragen sehr projektorientiert, sucht sich seine Mitmusiker dem angedachten Projekt entsprechend im Vorfeld aus und komponiert die einzelnen Parts, ähnlich wie ein Regisseur der eine Rolle mit einer bereits feststehenden Besetzung im Kopf schreibt, dementsprechend auf die jeweilige Person und deren Eigenheiten hin.
 
So autark wie Drechsler arbeitet, so autonom läuft sein Musikerleben weitgehend. Bis auf die Label- und Vertriebsarbeit – mittlerweile ist er beim renommierten Jazzlabel Enja – bleibt sozusagen alles in der Familie: beim Booking hilft ihm seine Frau. Diese Autonomie, dieses „so wenig aus der Hand geben wie möglich“ bringt natürlich eine Menge Arbeit außerhalb des kreativen Prozesses mit sich. Schreibtischarbeit eben, und insofern, erzählt Drechsler, führt er, wenn er nicht auf Tour ist, ein sehr geregeltes Leben: 6 Uhr aufstehen, Frühstück für die Familie machen, Fitnesscenter und danach Büroarbeit.
„Es war ein sehr mühsamer Weg, den ich gegangen bin, weil ich gar nicht den Anschluss gesucht habe. Langfristig gesehen war es der richtige. Ich habe viele Entscheidungen alleine treffen können, und einige davon haben sich als sehr gut erwiesen. Und davon zehre ich jetzt und kann darauf aufbauen. Es ist in jedem Job so: wenn du dein eigenes Ding machen willst, dein eigener Herr sein willst, dann ist das eben schwer“.
Aus dem Café Drechlser Projekt wurde vorher noch DRECHSLER, das Quasi-Nachfolgeprojekt, mittlerweile ein Quintett. Der Unterschied zum Café Drechsler ist die Kontinuität Platte-Live Show, die in früheren Jahren nicht gegeben war. Waren die Café Drechsler Platten eher, und jetzt benütze ich zwei Termini die anno 2010 schon recht anachronistisch anmuten, chillig und loungig, waren die Live-Shows des Trios hochenergetisch:
 
„Das waren echte Sportveranstaltungen, am nächsten Morgen lag ich tot im Bett, konnte keinen Finger mehr rühren. Die Platten waren durchproduziert, waren – ich mag das Wort gar nicht – lounge-iger. Und die Leute, die uns von den Platten gekannt haben sind mit einer ganz anderen Erwartungshaltungen ins Konzert gekommen. Letztendlich war das eher irreführend…“.
 
Nachdem sich das Café Drechsler auflöste, trat er zum ersten Mal bei seinem Quartett sowohl als Bandleader als auch als Komponist in Erscheinung. Mittlerweile komponiert Drechsler auch Filmmusik, spielt mit diversen Formationen (für detaillierte Infos und Konzerttermine sei auf seine offizielle Homepage verwiesen). Das Projekt Drechsler gibt es nach wie vor, für Drechsler derzeit eine Abwechslung, einen Grund „mal wieder das Saxophon auszupacken“, sein musikalischer Fokus hat sich jedoch verändert, oder besser gesagt stetig weiter entwickelt.
 
„Die Musik die ich mache ist immer unmittelbar mit meiner eigenen Lebensweise verknüpft. Jetzt bin ich halt 41 Jahre alt, habe 2 Kinder und ziehe nicht mehr jeden Abend um die Häuser. Ich bin eben ruhiger geworden und bedachter, und das spiegelt sich eben in meiner Musik wieder. Und das geht sich mit Nu Jazz halt nur noch teilweise aus“.
 
Und die musikalische Reise von Drechsler, der nach wie vor eine geregelte Proberoutine auf seinem Instrument von bis zu vier Stunden hat , führte mit einer zweijährigen Vorbereitungszeit (Planung, Komposition, Organisation etc) zur neuen, wie gesagt fabelhaften Platte des Ulrich Drechsler Cello Quartetts. Dieses dürfte Drechsler weitaus mehr ins Ausland führen als vorherige Projekte: das nächste Jahr steht auch im Zeichen des Albums.
 
„Es ist eine sehr, sehr positive Platte. Die ganze Musik die ich mache, basiert immer darauf, wie ich mich als Mensch fühle. Durchs Musik machen hab ich auch viel darüber gelernt,wie ich als Mensch funktioniere. Wenn ich im Kämmerlein sitze und übe, zeigen mir meine Instrumente gnadenlos auf, wie ich mich fühle. Dadurch habe ich gelernt wie ich funktioniere, was mir gut tut. Und das spiegelt sich dann auch in der Musik wieder“.
 
An Plänen für zukünftige Projekte mangelt es ebenfalls nicht: so beginnen 2011, trotz einer stetig wachsenden Anzahl von Shows, auch wieder neue Aufnahmen. Filmmusik, das Quartett, das Quintett sowie Drechslers andere Projekte: langweilig dürfte es in nächster Zeit weder dem Künstler noch seinem Publikum werden.
 
Vielen lieben Dank an Ulrich Drechsler für das sehr sympathische Gespräch. Der Autor dieses Artikels empfiehlt den Kauf des aktuellen Albums „Concinnity“ sowie Konzertbesuche vom Quartett und  von Drechsler (26.11. Radiokulturhaus). Genaue Termine und mehr Infos wie gesagt auf www.ulrichdrechsler.com.

(Markus Brandstetter)

Fotocredit: Wolf Dieter Grabner.

 
 
 
 
 

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