27. Oktober 2010

Stadtbekannt-Filmtipp und DVD-Verlosung: Der freie Wille

Der freie Wille“ von Matthias Glasner

Theo (Jürgen Vogel) ist auf der Jagd. Ziellos steuert er mit seinem Auto über die engen Straßen an der Küste. Bis er ein Opfer findet, eine junge Frau. Er zerrt sie in die Dünen, schlägt sie, dringt in sie ein. Es ist Gewalt, Brutalität, Machtausübung. Theo ist ein Vergewaltiger.

Schnitt. Neun Jahre später. Theo kommt aus dem Gefängnis frei – aus der geschlossenen Anstalt. Er will „eine Art Vorbild sein“, sagt er zeigen, „dass es möglich ist ein gesundes, normales Leben zu führen, auch wenn man falsch angefangen hat“.
Er bekommt einen Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft, einen Job in einer Druckerei. Er beginnt seinen Körper zu trainieren, onaniert gegen den Trieb an. Den Trieb sich Sex einfach zu nehmen, auf die einzige Art die er kennt. Mit Gewalt.

Es frisst an ihm, trotzdem versucht er nicht aus seiner neuen, „normalen“ Rolle zu fallen – ebenso mit Gewalt. Eine Kellnerin die er anspricht und bittet mit ihm auszugehen lässt ihn abblitzen und dann zieht auch noch sein einziger Freund Sascha, der Bewährungshelfer, nach Berlin.

In der Druckerei lernt er schließlich Netti (Sabine Timoteo) kennen, die Tochter des Chefs. Auch sie kennt Missbrauch, jedoch als Opfer. Ihr Vater hielt sie in jahrelanger psychischer Abhängigkeit (die physische Komponente wird dabei nur angedeutet). Nach einem erneuten, zufälligen Treffen kommen sich die beiden bald näher. Doch die Hoffnung ist nur von kurzer Dauer. Netti beginnt ein Praktikum in einer belgischen Schokoladenmanufaktur und lässt Theo zurück. Der verfällt wieder in sein altes Muster. Er geht wieder auf die Jagd, lauert einer Verkäuferin in einem Kaufhaus auf, verfolgt sie in ihre Wohnung und schlägt erregt die Decke über der Schlafenden zurück. Im letzten Moment kann er sich doch noch beherrschen. Zuhause packt er seine Sachen und taucht unerwartet bei Netti in Belgien auf… (Die weitere Handlung wird nicht verraten)

„Der freie Wille“ von Matthias Glasner ist ein furchtbarer Film. Unsentimental und pseudodokumentarisch hält er einfach drauf. Besonders da wo es weh tut. Er schildert die Handlung weder aus der Perspektive des Täters, noch der Opfer. Trotzdem, oder gerade deshalb ist er nicht zynisch. Es wird nichts ästhetisiert, nichts aus seiner dreckigen Grauenhaftigkeit gewaschen um es dann dem Voyeurismus der ZuschauerInnen preis zu geben – ihnen unter die Nase zu halten.

Die Farben sind stumpf und verwaschen, wenn Theo seinem Opfer Gewalt antut, wenn er nachts durch die Straßen streicht, wenn er sich und seinen Wagen schleichend durch den Supermarkt schiebt, wenn er wie ein unnötiger Fleck vor dem Hintergrund eines sauberen Plakates für das schöne Leben sitzt. Theo ist ein Vergewaltiger, ein Täter und das weiß er. Er hasst sich dafür und kann seinem Trieb doch nicht widerstehen.

Der Film bewertet nicht und entschuldigt nicht, er nimmt keine klare Haltung ein und gerade das ist schwer zu ertragen. Das Grauen der Handlung paart sich mit der Ambivalenz der Erzählung zu einem Schlag der sich schleichend, Millimeter für Millimeter immer weiter in die Magengrube bohrt. Langsam, erschreckend langsam kommen die Bilder daher und hinter ihnen lauert die pure, unterdrückte Gewalt. Bereit, jederzeit wieder loszuschlagen.

Von Anfang an ist es unmöglich eine Identifikation mit Theo aufzubauen. Zu sehr wirkt seine Tat nach. Jürgen Vogel spielt einen Mann der andere brach und selbst gebrochen ist, der innerlich zerfressen wird. Er stellt den Theo in seiner vollkommenen Jämmerlichkeit dar.
Ohne Rücksicht auf irgendwelche Konventionen.
Nicht zu Unrecht erhielt Vogel für seine schauspielerische Leistung den Silbernen Bären bei der Berlinale 2006 sowie den Darstellerpreis des Tribeca Filmfestivals.

Regisseur Matthias Glasner sagte über seinen Film: „Der freie Wille ist kein Film ‘über’ ein Thema, in diesem Fall vielleicht physische und psychische Vergewaltigung. Es ist kein ‘Problemfilm’. Sondern eine Art Trip, bei dem wir mit zwei Menschen bis zum konsequenten Ende mitgehen. Im Guten wie im Bösen.“ Zum Horror der Taten gesellen sich der Horror der Einsamkeit und der Unentrinnbarkeit.

Dieser wird auch spürbar, wenn der Film sich oft unendlich langsam durch seine fast drei Stunden quält, um dann an anderen Stellen wieder rasant an Fahrt aufzunehmen. Nach der Einführung will man ohnehin schon immer das Schlimmste vermuten.

Trotzdem gelang Glasner ein gefühlvoller Film über zwei Menschen in ihren persönlichen Abgründen. Dies liegt vor allem an zwei fulminant aufspielenden SchauspielerInnen. Jürgen Vogel geht als Theo an die Grenzen des Erträglichen und teilweise darüber hinaus. Er schont weder sich noch andere in seiner Darstellung. Sabine Timoteo spielt als Netti fein und nuanciert einen Menschen, der durch ihren jahrelangen psychischen Missbrauch nur schwer Vertrauen zu irgendjemanden fassen kann. Es sind weniger die großen Gesten als vielmehr die feinen Details, in denen sie die innere Brache der Frau erahnen lässt.

Für einen Popcorn-DVD-Abend ist „Der freie Wille“, ganz abgesehen von seinem Inhalt, wohl nicht geeignet. Die oft schleichend langsame Erzählweise und die ungewohnte Länge (163 min) stellen ZuschauerInnen auf ein echte Probe. Wer es aber auch noch erträgt mit willentlicher Ambivalenz zu leben und mit mehr Fragen aus einem Film herauszugehen als hineinzukommen, für den/die ist ein besonderes Filmerlebnis garantiert.

Filminfos "Der freie Wille":

Regisseur: Matthias Glasner
DarstellerInnen: Jürgen Vogel, Sabine Timoteo
FSK: Freigegeben ab 16 Jahren
Produktionsjahr: 2006
Länge: 163 Minuten

Fotos: http://www.derfreiewille.de/downloads.htm

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Einsendeschluss ist der 12. November.

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