Ein Stadtspaziergang durch die Innere Stadt

„Ich fahre in die Stadt“, sagen wir heute, 170 Jahre, nachdem die Stadtmauer geschleift wurde, immer noch, wenn wir in die Innere Stadt, den ersten Bezirk, in das historische und heutige Zentrum von Wien fahren – hoffentlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln (damit der erste Bezirk wirklich endlich autofrei wird), dem Fahrrad oder vielleicht, wenn wir in einer der ehemaligen Vorstädte, also den inneren Bezirken wohnen, gehen wir sogar zu Fuß „in die Stadt“.

Viele tun dies gar nicht so oft, denn es gibt ja alles, was so im Leben gebraucht wird, auch außerhalb der Innenstadt, es sei denn, wir wollen ins Museum oder wir arbeiten in der Inneren Stadt, wenn wir zu den 144.000 Personen gehören, die dort beruflich tätig sind (bis vor kurzem zumindest noch). Wenn wir zu den vergleichsweise wenigen gehören, die dort leben, das waren bis vor kurzem noch nur 16.000, dann gehen wir aus dem Haus und sind schon mitten im alten Wien, wie es genannt wird, das zur Zeit leerer und stiller ist als sonst. Nutzen wir das und reisen wir von den ehemaligen Vorstädten und Vororten hinein in die 2.000 Jahre alte Stadt und erkunden sie als etwas Fremd-Vertrautes, dem wir vielleicht lange zu wenig Beachtung schenkten.
Ein großes Plus für die Innere Stadt: sie ist die fußgängerfreundlichste Destination in Wien.

Stephansplatz (c) STADTBEKANNT
Stephansplatz (c) STADTBEKANNT

Laute und stille Plätze

Immer noch ist Sonntag ganz früh am Morgen die beste Zeit, um den Stephansplatz (der sich übrigens bis in die 1970er Jahre fest im Griff des Autoverkehrs befand!) zu umwandern und dabei die heilig-heidnische Aura eines Platzes zu spüren, der im Mittelalter noch außerhalb der Stadt lag. Heute gilt er vielen als das Zentrum Wiens, auch wenn das geografische Zentrum erwiesenermaßen weit außerhalb des historischen Zentrums, am unteren Ende des Augartenspitzes liegt. Normalerweise frequentieren täglich hunderttausende Menschen diesen Platz. Keine Spur von Stille und Andacht. Vielleicht doch, wenn wir mit den Bildern des Aquarellmalers im Kopf unterwegs sind, der diesen Platz und seinen Dom an die hundert Male malte, immer aus einem anderen Winkel, zu verschiedenen Tageszeiten, in unterschiedlichem Licht. Dieser Maler war Rudolf von Alt und er blickt uns heute am stillen Minoritenplatz, früher Rudolf von Alt-Platz, an, wo er neben der wohl eigenwilligsten Kirche der Innenstadt, mitten im sogenannten Regierungsviertel sitzt.

Rudolf von Alt (c) STADTBEKANNT
Rudolf von Alt (c) STADTBEKANNT

 

Dort befinden sich nicht nur das Ministerium für Inneres und das für europäische und internationale Angelegenheiten, sondern auch jenes für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Ab 1891 war in diesem Gebäude der Sitz des Österreichischen Vereins der Friedensfreunde, der unter der Ägide von Bertha von Suttner gegründet wurde, die ihre letzte Wohnung wiederum ganz in Stephansdomnähe, in der Zedlitzgasse hatte. Die Pazifistin der frühen Stunde und erste weibliche Friedensnobelpreisträgerin hätte sich über die rotweißrote Fahne an den Ministerien gewundert, denn sie starb noch zu Monarchiezeiten, ein paar Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, vor dem sie unermüdlich warnte. Die blaue Flagge mit den gelben Sternen hätte sie freilich in Jubel ausbrechen lassen, denn allem, was helfen kann, den Frieden zwischen Ländern zu fördern, galt ihr unermüdliches Ringen.

Durchgang (c) STADTBEKANNT
Durchgang (c) STADTBEKANNT

Durchhäuser und Geheimgänge

In der Reiseliteratur als Geheimplätze geführt, sind sie wohl dazu verdammt, nicht geheim zu bleiben, die Höfe und Durchhäuser jenseits der Trampelpfade, die diesen Namen freilich nicht verdienen, denn wer will die Schönheit des Grabens und seines gründerzeitlichen Glanzes leugnen, gar, wenn wir uns dabei vorstellen, auf dem Graben des römischen Lagers Vindobona zu spazieren, seit kurzem naturfreundlich gepflastert, sodass auch Gras sich seinen Weg durch das Pflaster bahnen kann. Und erst, wenn wir nach oben blicken und uns ganz oben den grün/bunten Visonär Friedensreich von Hundertwasser vorstellen, der am Dach des von Otto Wagner erbauten multifunktionalen Ankerhauses sein gläsernes Malatelier hatte. Schnell überwältigt uns aber oft der Prunk von Orten wie dem Graben, der ursrpünglich ein Platz war (und nicht einmal den Blick auf den Stephansdom preisgab, so ändern sich Sichtachsen und -weisen in einer Stadt!) und wir sehnen uns nach jenem alten Wien, das ohne gründerzeitlichen Stuck stille, andächtige Räume zu schaffen vermochte. Rund um St. Stephan werden wir fündig: der Fähnrichshof zwischen Singerstraße und Blutgasse lässt uns nahezu immer ein und nach einem verwinkelten Auf- und Ab zwischen Stiegen und Pawlatschen stehen wir vor der uralten Platane, aus der, so will es die Sage, immer wieder die Schwerter der im 14. Jahrhundert vertriebenen Templerritter durchgeblitzt hätten.

Platane (c) STADTBEKANNT
Platane (c) STADTBEKANNT

Aber auch rund um eine andere Kirche herum finden wir beinahe unbetretenes Land: im Schottenhof, der uns neben guter Gastronomie auch biedermeierliche Ruhe, verzierungsberuhigte Fassaden und im kleinsten Hof, wo sich das Schottengymnasium befindet, sogar einen Feigenbaum bietet.
Durch den Melker Hof gleich gegenüber kommen wir direkt hinauf auf die zu jeder Jahreszeit verwunschen einsame Mölkerbastei, wo wir eine der besten Aussichten auf die Wiener Universität haben. Als sich statt dieser noch der freie Blick auf den Wienerwald bot, lief der ewig komponierende und sich nicht um gesellschaftliche Umgangformen kümmernde Beethoven auf- und ab, und Harry Lime trat im grau-düsteren Nachkriegswien aus dem Haus Nummer 8. Schnitt.

(Alt)Wiener Sagen und was sie uns heute noch sagen

Die Sagen Wiens spielen alle in der Inneren Stadt, denn sie allein war bis in die 1850er Jahre hinein Wien. Sie handeln von den Schwächen der hiesigen Menschen, die sie durch den Bund mit dem Teufel, den sie freilich nicht als solchen erkannten, zu überlisten versuchten, der ihnen jedoch zum Verhängnis wurde, sie im besten Falle läuterte: Demut statt Hochmut, sollte so die Frau lernen, nach deren Eitelkeit der Stoß im Himmel benannt ist, ein Gässchen bei der Kirche Maria am Gestade, wo sich einst auch die erste geistliche Mädchenschule, die Englischen Fräuleins befanden. Die Eitle dachte, schöner als die Gottesmutter zu sein und ließ sich von dem als Bettlerin verkleideten Teufel ein überirdisch glänzendes Kleid einreden, das sie schließlich nicht mehr vom Leib bringen sollte. Am Ende wird sie eine fromme Ordensschwester. Teuflisch konnten auch schöne junge Frauen sein, wie jene, die im nach ihr benannten Jungferngässchen vor der Peterskirche ihr Unwesen trieb, als sich dort noch ein Schwibbogen befand, auf dem die jungen Männer sich heimlich ihren nächtlichen Weg zu ihr bahnten. Die große Geschichte ist mitunter eine Ansammlung von vielen kleinen Geschichten und das führt uns die Innere Stadt auf jedem Schritt vor Augen. Diesen mystisch-magischen Blick für die Stadt können wir auch in unseren ehemaligen Vorstädten und Vororten beizubehalten versuchen. Im historischen Wien ist vieles konserviert, was es manchen als konservativ erscheinen lässt. Aber es beruhigt auch irgendwie, dass zum Beispiel die berühmte Stock-im-Eisengeschichte selbst die sehr konsumorientierte Kärntnerstraße plötzlich ins Reich der alten Bräuche und des Aberglaubens taucht: im mittleren Teil einer zweiwipfeligen Zwieselfichte aus dem Mittelalter, die über und über mit Nägel beschlagen wurde, wird unter schnödem Plexiglas ein Stück altes Wien bewahrt.

Maria am Gestade (c) STADTBEKANNT
Maria am Gestade (c) STADTBEKANNT

Die Vielfalt Wiens auf kleinstem Raum

Die Nationalitäten samt ihren Bräuchen, Religionen und Sprachen, die Wien prägten, unmittelbar hier oder von der Ferne reichen von A bis Z. Das zionistische Wien zum Beispiel: wir suchen die Theodor Herzlstiege auf und werden an den Begründer des Zionismus erinnert, der diesen leider nicht mehr erleben sollte und sind an dieser Stiege gleich neben dem römischen Quaderstein, wahrscheinlich aus einem römischen Bad an der Marc Aurelstraße. R wie römisches Wien, auf dessen Spuren ist man fast in der gesamten Innenstadt unterwegs, fast, weil das römische Militärlager doch um einiges kleiner war als die heute auch nicht wirklich große Innenstadt. A wie armenisch: das wohl erste Kaffeehaus war das des Armeniers Johannes Deodat (oder auch Diodato), der als erster das Privileg zum öffentlichen Ausschank von Kaffee bekam. Es befand sich im Wohnhaus des Armeniers im Hachenbergerschen Haus am Haarmarkt an der Rotenturmstraße 14. Das Kaffeehaus, eine Wiener Institution, nicht nur der Innenstadt, geht auf das arabische „Kaffa“ zurück, das sich wiederum auf die äthiopische Landschaft bezieht, in der der Kaffeebaum wuchs.
Armenien, stets ein Zankapfel zwischen den Osmanen und den Persern war vorwiegend katholisch und so fanden auch viele Armenier die Gnade des Barockkaisers Leopold, der ihre diplomatischen und Dolmetscherdienste gern in Anspruch nahm. Nicht so gut ging es den jüdischen BewohnerInnen, deren frühe Siedlung am heutigen Judenplatz im Mittelalter ausgelöscht wurde und die man lange Zeit aus der Inneren Stadt hinaus und über den Donaukanal (dem ältesten Donauarm) in die Leopoldstadt vertrieb. In der Seitenstettengasse soll einer der ersten jüdischen Bewohner sich niedergelassen haben, ein gewisser Schlom und in dieser Gasse wurde viel später der jüdische Stadttempel errichtet, die einzige jüdische Andachtsstätte in der Innenstadt. In den Novemberpogromen von 1938 wurde sie zwar im Inneren verwüstet, blieb aber weitgehend unzerstört. Wer sie noch nicht besucht hat, sollte sich unbedingt von ihrer Pracht überzeugen, die hinter der klassizistischen Fassade von Joseph Kornhäusl so gar nicht vermutet wird. Ihre Pracht durften eben lange nur die katholischen Kirchen zeigen und das tun sie. B wie barockes Wien. Wer dieses nicht mag, sollte die Reise in das Innere von Wien vielleicht besser nicht antreten. Das barocke Welttheater gibt es aber eh nur noch im Museum, zum Beispiel im Theatermuseum, wo wir die grandiosen Zeichnungen des Architekten, Theateringenieurs, Bühnen- und Kostümbildners Lodovico Ottavio Burnaccini bestaunen können, der unter anderem auch an der Pestsäule am Graben mitgewirkt hat, die wir uns jetzt vielleicht doch einmal ganz genau ansehen wollen.

 

Elke Papp

Die Stadtverführerin führt durch die Innere Stadt und durch viele andere Bezirke. Sie gibt euch ganz besondere Ein- und Ausblicke, mit viel Literatur und Leichtigkeit aber auch die Tiefen und Untiefen der Stadt auslotend. In Kleinstgruppen, auch individuell buchbar. Ihr wollt wissen, wann und wo? Mailt an: mail@stadtverführerin.at.
Gemeinsam mit den Austria Guides For Future®, bietet sich auch Spaziergänge zu Umwelt- und Klimaschutz in Wien an. Anfragen an:info@austriaguidesforfuture.at

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