Warum gäbe es die Votivkirche ohne einen bestimmten Fleischhauer nicht?

Das Leben des gelernten Fleischhauers Josef Ettenreich war 1853 schon ein recht gemütliches, er hatte es mit Getreidehandel zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Aber als der damals 52-Jährige am 18. Februar desselben Jahres zu seinem gewohnten Spaziergang zur Kärntnertor-Bastei aufbrach, nahm sein Leben eine Wendung. Er beobachtete, wie der Schneidergeselle János Libényi mit einem Dolch auf Kaiser Franz Joseph I. losging. Gemeinsam mit dem kaiserlichen Begleiter Oberst Maximilian Graf O’Donnell überwältigte Ettenreich den Schneider. So kam der Fleischhauer zur Ritter-Adelung, später zu einem Direktoren-Posten der Ersten Österreichischen Spar-Casse und nach seinem Tod zu einer eigenen Gasse (Ettenreichgasse im 10. Bezirk). Außerdem wurden er und Graf O’Donnell auf dem Heldenberg verewigt.

Wien kam durch das missglückte Attentat zu einer neuen Kirche: Erzherzog Ferdinand Maximilian, der Bruder des Kaisers und spätere Kaiser von Mexiko, rief das Volk auf, zum Dank „für die Errettung Seiner Majestät“ für den Bau eines „Doms der Völker und Nationen der Donaumonarchie“ zu spenden. Obwohl der junge Franz Joseph zu dieser Zeit nicht besonders beliebt war, leisteten 300.000 Bürger einen Beitrag. 1856 wurde mit dem Bau der Votivkirche – vom lateinischen „votum“ im Sinne von Gelübde, Dankgabe – nach Plänen des erst 28-jährigen Architekten Heinrich von Ferstel (der später auch die Universität und das Palais Ferstel, in dem das Café Central ist, baute) begonnen. Als der Ringstraßendom, eines der bedeutendsten neogotischen Sakralbauwerke der Welt, am 24. April 1879 am Tag der Silberhochzeit des Kaiserpaares geweiht wurde, war vieles anders: Franz Joseph war zwar beliebt, in der Monarchie herrschte aber eher der Nationalliberalismus denn völkerverbindendes Denken vor. Daher wurde die Votivkirche statt des „Dom der Völker und Nationen“ schon ein Jahr später zur schlichten Pfarrkirche.

Der patscherte Attentäter János Libényi wurde zum „Tod durch den Strang“ verurteilt und starb acht Tage nach dem Mordversuch bei der Spinnerin am Kreuz. Er brachte es durch ein Schmählied, in dem der Irrtum verbreitet wurde, der Schneider sei auf der Simmeringer Haide hingerichtet worden, zu einiger Berühmtheit:

Auf der Simmeringer Had’,
hat’s an Schneider verwaht,
es g’schicht ihm schon recht,
warum sticht er so schlecht.
Auf der Simmeringer Had’,
hat’s an Schneider verwaht,
mit der Nadel samt dem Öhr,
samt dem Zwirn und der Scher’.
Auf der Simmeringer Had’,
hat’s an Schneider verwaht,
allen sei es a Lehr,
er lebt nimmermehr.
Und Leut’ln hurcht’s auf,
der Wind hört schon auf,
gang er allerweil so furt,
war ka Schneider mehr durt.

„Darf’s a bisserl mehr sein?“

Weitere Fragen zu Wien und deren interessante Antworten findest du in Wann verlor das Riesenrad seine Waggons? von Axel N. Halbhuber erschienen im Metroverlag.

Fotos

Keine Bewertungen

Bewertung “Votivkirche”

Bewertung
Bewerten