Stadtspaziergang durch den 20. Bezirk

Der Brigittenau wird nachgesagt, dass sie sich in den nächsten Jahren zum hippen Trendbezirk entwickeln könnte. Beim Stadtspaziergang um das Wallensteinviertel besuchen wir den Hannovermarkt, essen ausgezeichnete Calamari und stellen die These von „Wiens next Bobobezirk“ auf den Prüfstand.

 

Ottakring oder die Leopoldstadt haben sich trotz ihres schlechten Rufes, der ihnen noch vor Jahren vorauseilte zu schmucken Bezirken entwickelt: Hie und Da ein nettes Frühstückslokal, schöner aber leistbarer Wohnraum und multikultureller Charme sind Teil des Rezepts für eine Entwicklung wie diese. Eigentlich nichts, woran es zumindest in Teilen des 20. Bezirkes fehlt. Für viele, die die Brigittenau vielleicht nur aus der Serie „Kottan ermittelt“ in Erinnerung haben, gilt sie oft als schmuckloser Arbeiterbezirk mit hohem Migrationsanteil und heruntergekommenen Ecken. Tatsächlich mag sich dieses Vorurteil mancherorts noch bestätigen lassen. Spaziert man allerdings in der inoffiziellen „Alt-Brigittenau“ zwischen Donaukanal und Augarten, wird man von den vielen charmanten Facetten des Grätzls überrascht.

Jägerstraße (c) STADTBEKANNT Kantner
Jägerstraße (c) STADTBEKANNT

Bouldern und Marktgetümmel

Unser Spaziergang beginnt unweit der U6-Station Jägerstraße, wo wir von weitem den Lärm des Hannovermarkts hören. Seinen Namen hat er wie auch der Sachsenplatz, die Dresdner Straße oder der Leipziger Platz den verbündeten des Kaisertum Österreichs im Deutschen Krieg gegen Preußen 1866 zu verdanken. Rund 35 Jahre später wurde die Brigittenau ein eigener Bezirk, der zuvor mit dem, aus der Donauregulierung entstandenen Dorf „Zwischenbrücken“, als Teil der Leopoldstadt in Wien eingemeindet wurde. Seit dieser Zeit war sie beliebt bei der Arbeiterklasse, vorwiegend auch bei zugereisten Tschechen oder Juden, die vor 1938 noch etwa 19 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Heute stehen wir auf dem Hannovermarkt, wo vor allem der Einfluss der türkischen Bewohner zu entdecken ist. Es duftet nach Fleisch und Fisch, im lauten Getümmel werden Obst und Gemüse feilgeboten. Dazwischen gibt es alte Beisl, in deren Gastgärten Wiener Originale ihren G’spritzen genießen und den einen oder anderen Stand, wo es Grammelknödel oder Rahmfisolen zu kaufen gibt. Jeden Tag werden mobile Flohmarkt-Stände auf- und abgebaut, an denen es allerlei Ramsch zu erstehen gibt. Es mag ansehnlicher Märkte in Wien geben, der Hannovermarkt zählt wohl zu denen, die ohne Glanz und Touristenandrang auskommen.

Hannovermarkt (c) STADTBEKANNT Kantner
Hannovermarkt (c) STADTBEKANNT

Wir queren den Markt und biegen in den Innenhof eines unauffälligen Wohnhauses, wo nicht nur die Filiale eines türkischen Supermarktes untergebracht ist. Passend zum Trendsport Bouldern, der sich in den letzten Jahren herausgemausert hat, gibt es für Klettermaxis die Gelegenheit an die Decke zu gehen. 2013 hat hier die Boulderbar eröffnet, die nicht nur Anlaufstelle für sportliche Betätigung ist. Den Abend kann man gemütlich mit einem Bier in ihrem Innenhof ausklingen lassen kann.

Boulderbar (c) STADTBEKANNT Kantner
Boulderbar (c) STADTBEKANNT

Rund um die heilige Brigitta

Wir ziehen weiter entlang der Jägerstraße und werfen einen Blick auf den Brigittapark, in dessen Mitte sich die neugotische Brigittakirche erhebt. Hier findet sich nicht nur die Community zu den polnischsprachigen Messen in der Kirche ein. Ringsum trifft man viele, die sich auf den schattigen Bänken am Blühen des Blumenmeers erfreuen. Weiter geht es in Richtung Wallensteinplatz. Auf der Jägerstraße haben sich zahlreiche Lokale angesiedelt, auf denen bunte Reklamen internationale Schmankerl anpreisen. Vor der jüngsten Niederlassung des türkischen Lokals Kent wird für ein Frühstücksbuffet geworben. Ein paar Häuser weiter ist Saphire für Grillspezialitäten und Linsensuppe bekannt.

Brigittaplatz Brigittapark (c) STADTBEKANNT Kantner
Brigittaplatz Brigittapark (c) STADTBEKANNT

So weit das Auge reicht entdeckt man kleine, türkische Friseurläden, einer voller als der andere. An der Ecke zum Wallensteinplatz fällt ein Gebäude auf, in dem die Brigittapotheke untergebracht ist. In dieser Gegend gibt es zwar mehrere Gründerzeithäuser, doch dieses ist ein besonderes. Zum einen weil ein Großteil der Apothekeneinrichtung noch im Originalzustand erhalten ist. Zum anderen weil es das „Apothekerhaus“ ein zweites Mal in Wien als „Haus zur Weltkugel“ am Stock-im-Eisen-Platz gibt.

Apothekerhaus (c) STADTBEKANNT Kantner
Apothekerhaus (c) STADTBEKANNT

Zu Gast bei Adriano

Am Wallensteinplatz angekommen bleiben wir kurz stehen. Im Zuge der EU-Förderungen, die dem Hannovermarkt und dem Grätzl um den Wallensteinplatz in den 2000er Jahren zu Gute kamen, wurde hier saniert. Sonnenanbeter verweilen vor dem Cafè des Kabarett Vindobona, wo man den Kaffee vormittags um einen Euro bekommt. Kleine Kinder erfreuen sich an den Wasserstrahlen, die aus der in den Platz eingelassenen Brunnenanlage schießen.

Beim Spazieren werden wir hungrig und beschließen, dass es Zeit für eine Mittagspause in der klassischen Pizzeria Adriano ist. Im Gastgarten, aus dem wir den Trubel auf der Wallensteinstraße gut beobachten können, lassen wir uns nieder und entscheiden uns dieses Mal für gebratene Calamari und bereuen es nicht.

Adriano Calamari (c) STADTBEKANNT Kantner
Adriano Calamari (c) STADTBEKANNT

Ab in den Augarten

Nach den vielen Eindrücken und einem ausgiebigen Mittagessen, wollen wir uns noch weiter die Beine vertreten und ein wenig Sonne tanken. Unser Weg führt zurück über den Wallensteinplatz zum Gaußplatz und von dort in Richtung Augarten. Dass wir nun im Eck der Genießer gelandet sind, wissen wir seit unserem Genussspaziergang. Auch die 24-Stunden-Bäckerei Prindl erstrahlt hier seit kurzem in neuem Glanz. Von weiten sehen wir schon die Flacktürme in Mitten der malerischen Szenerie, die der Augarten im Frühling zu bieten hat. Kommt man über den 20. Bezirk in den Augarten, ist es nicht weit zum Familienbad. Als eines der wenigen, übrigen Bäder, in denen nur Familien mit Kindern Zutritt haben, erfreut es sich in der Badesaison großer Beliebtheit.

Wallensteinplatz (c) STADTBEKANNT Kantner
Wallensteinplatz (c) STADTBEKANNT

STADTBEKANNT meint

Der Aufschwung, den man der Brigittenau prognostiziert, ist vielleicht noch nicht überall wahrzunehmen, dennoch kann man nicht sagen, dass sich hier nichts tut. Das Viertel um den Wallensteinplatz ist den Besuch auf alle Fälle wert. Wir kommen gerne wieder und sehen nach, ob hier in ein paar Jahren der nächste Bobobezirk aus dem Boden gewachsen ist. Wenn es dann weiterhin nur für einen gemütlichen Kaffee auf dem Wallensteinplatz oder köstliche Calamari bei Adriano reicht, ist das auch in Ordnung.

 

Adriano – Wallensteinstraße 54
Mo – So 11:00 – 23:00 Uhr

Hannovermarkt
Mo – Sa 6:00 – 19:30 Uhr, Sa 6:00 – 18:00 Uhr

Boulderbar
Mo–Fr 9:00 – 23:00 Uhr, Sa,So und Feiertage 9:00 – 22:00 Uhr

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Bewertung “Vom Hannovermarkt, Bobopotenzial und der alten Brigittenau”

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