Ein Stück Wiener Medizingeschichte

Wien und der Wahnsinn – ein historisches Kapitel, das auch jenseits von Narrenturm und Sigmund Freud prall gefüllt ist mit spannenden Geschichten …

In der Leonhardgasse 3-5 im Dritten steht ein Gebäude, das einst die „Privatheilanstalt Svetlin für Nerven- und Gemütskranke“ beherbergte.
Das Haus war eine für damalige Verhältnisse durchaus illustre Nervenklinik. Viel haben das Gebäude und seine Protagonisten miterlebt, auch den einen oder anderen gesellschaftlichen Skandal. Aber beginnen wir von vorne.

Aus Irrenhaus wird Heilanstalt

Für psychisch Kranke war das frühe 19.Jahrhundert eine wahrlich schlechte Zeit. Meist bestand die Behandlung aus Wegsperren in Kombination mit heute folterartig anmutenden Praktiken. Von Festbinden, Zwangsjacken und Einsperren über Stromschläge bis hin zu experimentellen Therapien – die junge Wissenschaft namens Psychiatrie richtete wohl ähnlich viel Schaden an, wie sie zu kurieren vorgab, vielfach ohne es besser zu wissen.
Nur sukzessive änderte sich der Anspruch der „Irrenhäuser“: Vom reinen Verwahren der „Verrückten“ gelangte man zum Ziel einer „Heilanstalt“, wo Menschen geheilt und von ihren Leiden befreit werden sollten.
Der Weg zu heutigen Therapieansätzen war allerdings immer noch so weit, dass kaum jemand freiwillig in Behandlung ging. Viele Patienten wurden von Wärtern festgenommen und gegen ihren Willen eingewiesen.

Svetlins Klinik und ihr Publikum

Im Wien des 19. Jahrhunderts gab es mehrere privat geführte Anstalten für Geisteskrankheiten. Im Jahr 1833 gründete die Arztwitwe Therese Pabst eine solche „Privatirrenanstalt“ auf der Mölkerbastei, mit welcher sie 1848 ins Rasumowski-Schloss in der Erdberger Hauptstraße 7 übersiedelte.
Als Pabst 1878 starb, übernahm der Wiener Psychiater Dr. Wilhelm Svetlin gemeinsam mit Berufskollegen Dr. Johann Zimmermann die Einrichtung und drückte ihr seinen Stempel auf. Der junge Arzt veranlasste den Neubau in der Leonhardgasse 3-5, in dem das Institut von 1883 bis 1925 bestehen blieb. Bis zu 70 Patienten konnte das neue Haus bald unterbringen; außerdem hatte das Gebäude sogenannte „Isolierzellen“ für „unruhige Kranke“.
Über die Jahrzehnte machte sich die Klinik einen Namen – auch deshalb, weil Persönlichkeiten aus Hochadel, Kulturbetrieb und politischer Prominenz vermehrt dort unterkamen. Nach Svetlins Pensionierung übernahm Franz Angerer 1903 die Heilanstalt, 1925 wurde sie aufgelassen.

(c) STADTBEKANNT
(c) STADTBEKANNT

Prominente Patientengeschichten

Eine der tragischsten mit der Svetlin’schen Anstalt verbundenen Schicksale ist jenes des Komponisten Hugo Wolf (1860-1903). Er wurde 1897 eingeliefert, weil er sich im Wahn als neuer Direktor der Wiener Hofoper (heutige Staatsoper) ausgab – tatsächlich litt er aber an den neurologischen Symptomen einer Syphilis.
Dr. Svetlin erkannte die damals unheilbare Krankheit, erklärte dem Patienten allerdings nach kurzem Aufenthalt, er sei geheilt. Ob Lüge oder Kunstfehler, das Ergebnis war fatal: Nachdem er 1898 versucht hatte, sich im Traunsee zu ertränken, ließ Wolf sich schließlich in eine andere Heilanstalt einweisen, wo er 1903 verstarb.
Weitere prominente Patienten waren der Wiener k.u.k. Hofschauspieler Karl Wilhelm Meixner (1815-1888) oder der weitgereiste Maler Carl Schuch (1846-1903). Schuch starb in Svetlins Anstalt – laut Totenschauprotokoll an „paralytischem Blödsinn“, wahrscheinlicher aber wie so viele andere auch an Syphilis-Spätfolgen.

„Bist amal drin beim Svetlin, dann bist hin.“

Dass Svetlins Anstalt aber nicht nur mit tragischen, sondern mitunter auch schrägen Skandalgeschichten verknüpft ist, zeigt der Fall Alexander Girardi (1850-1918), der an aktuelle Promi-Rosenkriege á la Johnny Depp vs. Amber Heard erinnert:
Der Komödiendarsteller und Operettensänger ist ein Star seiner Zeit und verheiratet mit Schauspielerin und Sexidol Helene Odilon. Ihr Glück bröckelt schnell: Bald schon beginnt Odilon ein Affärchen mit Baron Rothschild. Der eifersüchtige Girardi wird bitter, sucht Trost im „Cocainflascherl“. Immer öfter eskalieren Streitereien zwischen den beiden.
Der Krieg zwischen den Eheleuten gipfelt darin, dass Girardi irgendwann mit Nachttopf in der Hand und spöttischer Verkleidung vor seiner Frau niederkniet, um der „großen Künstlerin“ zu huldigen. Odilon will nun die Scheidung und versucht mit Hilfe eines befreundeten Psychiaters, dem verhassten Mann „Cocainwahnsinn“ anzulasten und ihn via polizeilichen Fahndungsbefehl in Svetlins Klinik einweisen zu lassen.
Girardi flieht mit Hilfe der Salonière Berta Zuckerkandl zu seiner Schauspielkollegin und alten Freundin Katharina Schratt. Diese wiederum ist mit Kaiser Franz Joseph verbandelt und erwirkt bei diesem, die Fahndung zu beenden und Girardi durch gerichtlich beeidete Fachärzte für geistig normal zu erklären.
Girardi zeigt sich schwer erleichtert über das missglückte Komplott und meint: „Bist amal beim Svetlin drin, dann bist hin.“ Und: „Wie ich sie geheiratet hab, hätten’s mir den Zellenwagen bringen sollen. Jetzt bin ich nicht mehr narrisch!“
Mit dabei bei all den Vorkommnissen um das (Alb-)Traumpaar ist natürlich auch die Skandalpresse. Für sie sind Geschichten wie diese gefundenes Fressen – damals wie heute.

Und heute?

Inzwischen ist es fast 100 Jahre her, dass Svetlins Klink für immer ihre Pforten schloss. Das Gebäude in der Leonhardgasse 3-5 dient heute einem anderen Zweck: Touristen nächtigten hier in modern hergerichteten Appartements. Zur Zeit wird es umgebaut.
Sie ahnten nicht, welche Geschichten sich hinter diesen Mauern abspielten – doch würden sie es wissen, wer weiß, vielleicht würde der eine oder andere Albträume bekommen von der Vorstellung, was sich vor knapp einem Jahrhundert hier ereignete.

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