Mariahilf jenseits der „Mariahü“ …

Die Mariahilfer Straße oder von den in Wien Lebenden auch liebevoll „Mariahü“ genannt, bildet seit der Trennung von Neubau, die Bezirksgrenze von Mariahilf, die bis zum Wienfluss hinunterreicht. Das bleibt freilich oftmals jenen verborgen, die nach einem arbeitsreichen Tag oder am verdienten Wochenende auf der „Mariahü“ lustwandeln, sprich (auf Neudeutsch) „shoppen“ oder auch einfach nur die Begegnungszone genießen, die unter typisch wienerischem Protest entstand, die sich mittlerweile aber als eine im Sommer herrlich beschattete Flaniermeile behauptet hat, wo sich VerkehrsteilnehmerInnen unterschiedlichster Natur zumeist friedlich nebeneinander bewegen. Da von dort meist der sehr praktische 13A genommen wird, seit 1990 leider kein Doppeldecker oder Stockbus mehr, der viele zur Pilgramgasse hinunter oder auch weiter bis zum Hauptbahnhof bringt, wird vieles übersehen, was Mariahilf seit langem schon und seit Neuem besonders ausmacht: Stiegen aller Bauart, Street Art und begrünte Fassaden, seit mehr als einem Jahrhundert wachsend oder seit kurzem erst angelegt und die im Kampf gegen die Hitzeinseln helfen sollen.

Mariahilfer Straße (c) STADTBEKANNT
Mariahilfer Straße (c) STADTBEKANNT

Von den Barnabiten aus zu Fuß durch den bunten Bezirk

Wird nicht besagter Bus genommen, schlendert es sich am besten durch die Barnabitengasse hinunter, die an die Barnabiten erinnert, welche im 17. Jahrhundert ihren Friedhof von St. Michael in der Innenstadt hierher in die damalige Vorstadt verlegten, woraufhin eine Kapelle und eine erste Siedlung rundherum entstand, die schnell nach einem von St. Michael hierher mitgenommenem Mariabildnis den Namen Mariahilf bekam. Damals war, heute kaum mehr vorstellbar – die Gegend von Weinbau und Landwirtschaft geprägt, und natürlich auch vom Fischfang – der Wienfluss floss ganz in der Nähe und das nicht so gezähmt, wie wir ihn heute kennen. Allerlei Mühlen gab es auch, die heute nicht mehr zu sehen sind, aber noch in zahlreichen Gassenbezeichnungen wie Hofmühl- oder Windmühlgasse weiterleben. „Caritashilf“ könnte dieser romantische Stadtfleck hier auch heißen: die Caritas – Einrichtung „Die Gruft“ zu linker Hand führt uns nach dem geschäftigen Treiben auf der „Mariahü“ vor Augen, dass es viele gibt, die es sich gar nicht leisten können, dem Kaufrausch zu verfallen, die es sich schon gar nicht leisten können, sich in diesem beliebten Bezirk niederzulassen und die seit über 30 Jahren in der Gruft Unterkunft und Verpflegung finden, idealerweise auch mithilfe eines Winterwärmepakets, das man mit 50,- Euro Spende finanzieren kann.

Barnabitengasse (c) STADTBEKANNT
Barnabitengasse (c) STADTBEKANNT

Wie aus einem Schloss ein Cooling Park wird – auf den Spuren der Familie Esterházy

Die Esterházys sind als große Haydnförderer in die allgemeine Geschichte eingegangen, haben aber auch – etwas weniger bekannt – Menschlichkeit bewiesen, indem sie vielen aus Wien in der Zeit Leopold I. vertriebenen Juden Zuflucht in Eisenstadt gewährten, wo sich eines ihrer prächtigen Schlösser befand. Ein weiteres Schloss der Familie stand dort, wo seit 1944 einer der 6 FLAK-Türme 47 Meter in die Höhe ragt – immer weniger als solcher erkennbar, weil seit den späten 50er Jahren des letzten Jahrhunderts aus einem kleinen idealistischen Verein der Meeresbiologen das international renommierte Haus des Meeres geworden ist, wo man nicht nur über 10.000 Tiere sehen, sondern auch seit kurzem gratis vom Roof Top Café die sensationelle Aussicht über Wien genießen kann. Rund um den Turm befindet sich der Esterházypark, seit den 1970ern auch der durch die Initiative des damaligen Bezirksvorstehers Hubert Fellnreiter eröffnete Kinderpark, an der der erst vor wenigen Jahren in Hubert Feilnreiter Hof umbenannte Gemeindebau in der Magdalenenstraße erinnert. Zu den zwei Kletterwänden, im Besitz des Alpenvereins, ist nun ein Glasvorbau dazugekommen, vor dem uns ein Cooling Park empfängt, mit neu gepflanzten Bäumen, einer begrünten Pergola mit geschwungenen Bänken zum beschwingten Verweilen, Kiesbeeten und an der Nordwand die derzeit höchste Fassadenbegrünung Wiens.

Haus des Meeres Cooling Park (c) STADTBEKANNT
Haus des Meeres Cooling Park (c) STADTBEKANNT

Vom Haus des Meeres zu Street Art Fischen auf Mariahilfer Mauern

An der Matejkastiege vorbei, nach dem widerständigen Volksbildner, Schriftsteller und Kulturstadtrat Viktor Matejka benannt geht es die Kaunitzgasse hinunter in den Magdalenengrund seitlich das Apollokino im Blick, 1904 als Varietétheater errichtet, in dem unter anderem die legendäre Tänzerin Mata Hari auftrat, die leider schon in jungen Jahren wegen Spionage zum Tode verurteilt wurde.
Da blicken uns an einer seitlichen Hausmauer gesprayte Gesichter entgegen, eines davon steckt sogar im Maul eines Hundes, Fische strecken ihre Köpfe in die Höhe und im Körper eines Mannes stecken Pfeile, Mensch und Tier sind hier ineinander verwoben, daneben die Schrift: Calle Libre 2015. Calle Libre, Freie Straße, so heißt das Street Art Festival, das seit 8 Jahren während einer Woche im Sommer Hauswände quer durch Wien besonders viele im 6. Bezirk bunter werden lässt und mit neuen den Bezirk thematisierenden und reflektierenden Geschichten bereichert.
Nach diesem Gemeinschaftswerk dreier lateinamerikanischer Street Art- Künstler biegen wir in die Magdalenenstraße und entdecken hinter einer kleinen MA48 Garage ein Steinrelief, das an das ehemalige ärmliche aber oft von (Postkarten)Malern romantisierte Wohnviertel „Ratzenstadel“ erinnert, das wahrscheinlich wegen der hier lebenden als „Retzen“ oder „Raitzen“ bezeichneten Serben so genannt wurde, und das in den 1880er Jahren demoliert wurde. Und wieder ein Mann, mit einem Windhund zu Füßen, der auf ein Fischglas schaut auf die Mauer eines Hauses gesprayt.

Statue Apollo (c) STADTBEKANNT
Statue Apollo (c) STADTBEKANNT

Große Herzen – Bezirksrätinnen, Riesenknöterich und gerettete Frauennamen

Den Menschen dieses Bezirk, der sich von der heiligen Maria Hilfe erwartete, haben auch ganz irdische Frauen geholfen, Bezirksrätinnen u.a. wie die Grüne Helene Heppe, deren großes Engagement in den 80 Jahren ausgegrenzten Menschen besonders am HIV Virus Erkrankten galt. An dem ihr gewidmeten kleinen Helene-Heppe-Park spazieren wir an historischem Mauergrün und Riesenknöterich mit seinen großen Herzblättern vorbei, der in den letzten Jahren an der Rückseite des Familienzentrums der Stadt Wien angepflanzt wurde.
An der Hofmühlgasse reißt uns der Autolärm aus den Bezirksgeschichten heraus, sogleich wird unsere Aufmerksamkeit aber auf die Hausfassade gelenkt: dort leuchtet uns das Gesicht eines Kindes in der Art entgegen, wie es uns schon in der Kaunitzgasse anblickte, geschaffen von einem lateinamerikanischen Künstler, der sich seit seiner Jugend Stinkfish nennt. Das Kind sitzt auf den Schultern eines Mannes (seines Vaters ist anzunehmen) – ein wunderbareres Kommentar zum Familienberatungszentrum, wo vorwiegend Mütter ein- und ausgehen. Und was bedeuten die vielen (teils an Göttinnen erinnernden) Frauennamen weiter rechts an der Fassade des 1914 erbauten Gebäudes, in dem sich auch das Bezirksmuseum mit einem Modell des „Ratzenstadels“ befindet? Die Kulturinitiative „Stadtschrift“ hat es sich zur Mission gemacht, die mehr und mehr abhanden kommende Typographie Wiens für die Öffentlichkeit zu bewahren, hierbei handelt es sich um geschlossene Geschäfte quer durch Wien und deren Besitzerinnnen: Yasmin, Thalia …

StreetArt-Stinkfish Ruin Kand Waldemar Park (c) Austria Guides For Future®
StreetArt-Stinkfish Ruin Kand Waldemar Park (c) Austria Guides For Future

Grenzenüberwindendes Grün und Gemeindebau, der gar nicht grau ist

Die Natur wächst, wo und wie sie will. Viele Gartelnde können ein Lied davon singen. Freilich nur, wenn man sie lässt, ansonsten können sich nur die wirklich Hartnäckigen durch den Asfalt zwängen. In der Sandwirtgasse können wir einen seltenen Wildwuchs in einer sehr beschaulichen Umgebung beobachten. Veitchi, der sogenannte „Wilde Wein“ – usprünglich aus Asien stammend und wegen seines schnellen Wachstums hierzulande sehr beliebt, bahnt sich seinen Weg quer über mittlerweile schon drei Häuser und auch so manche Fenster.
Ganz anders ein paar Gassen weiter an der erst vor wenigen Jahren angelegten Fassadenbegrünung am Bürogebäude von Wiener Wasser, der MA 31 in der Grabnergasse, wo alles von ExpertInnen angelegt und überwacht wird.
„Fassadengarten“ nennt sich das Projekt, das von einer TU-Studie begleitet wird, mit dem Ziel den Mehrwert von Fassadenbegrünungen in der Stadt zu bewerten und auch um Fehler, die an anderen begrünten Fassaden passieren, zu vermeiden. Der Fassadengarten ist nicht nur in seiner Form an die ursprüngliche 60er Jahre Fassade angepasst, sondern auch so gestaltet, dass das ganze Jahr über immer etwas anderes blüht.
Der Einstein-Hof aus den 1950ern gegenüber offenbart die Widersprüche, in die der in den 1920er Jahren begonnene Gemeindebau in Wien mit den Jahrzehnten gekommen ist: eine kleine Wiese im Innenhof, die die spielenden Kinder aber nicht betreten sollen (es aber natürlich trotzdem tun).

Fassaden Sandwirt Verbindung (c) Austria Guides For Future®
Fassaden Sandwirt Verbindung (c) Austria Guides For Future

Wie Wien noch grüner werden kann

Durch die Mollardgasse geht es vorbei am schlimmen Pony Max, das nicht mit den anderen Kindern spielen darf, die als Ponys im Innenhof des Einstein-Hofs stehen zum Therese-Sip-Park einem von Lehrlingen der Gartenschule gestalteten Mini-Park als Abgrenzung zur befahrenen Wienzeile mit einem Mural, an der auch die Künstlerin Frau Isa mitwirkte.
Dort lassen wir uns auf einer Bank nieder mit unseren bunten Bezirkseindrücken, froh, in keinem der vorbeirauschenden Autos zu sitzen und planen vielleicht, mithilfe des Begrünungsmodells BeRTA (Begrünung, Rankhilfe, Trog, All in One) für das Haus, in dem wir wohnen, eine Fassadenbegrünung zu beantragen.

 

Elke Papp

Die Stadtverführerin ist Teil des Teams der Austria Guides For Future®, die Umwelt- und Klimaschutzspaziergänge und Radtouren in Wien anbieten, zum Beispiel auch entlang begrünter Fassaden in Mariahilf. Buchen unter: info@austriaguidesforfuture.at
Interessiert an anderen inspirierenden Herbstspaziergängen der Stadtverführerin? Mailt an: mail@stadtverführerin.at

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