Ein Stadtspaziergang durch den 9. Bezirk

Es braucht keine Weltreise, um medizinische Pioniere und eine bereits ab 1897 praktizierende Ärztin zu entdecken: Im neunten Wiener Gemeindebezirk lässt sich medizinische Geschichte ersten Ranges wunderbar mit einem mitunter auch naturnahen Rundgang verbinden.

Hier wurden Krankheiten so intensiv wie in keinem anderen Bezirk erforscht und an deren Heilung gearbeitet, hier fanden Anerkennung und Ablehnung medizinischer Erkenntnisse in typisch wienerischer Weise statt – das Beispiel von Ignaz Semmelweiss ist bekannt, der den hygienetechnischen Grund des Kindbettfiebers erkannte und, selbst von Kollegen bekämpft, in einer Irrenanstalt an einer Sepsis zugrunde ging.
Begeben wir uns auf die Spur von medizinischen Größen von Welt wie Theodor Billroth, Ferdinand von Hebra u.v.a. und der frühen und bis 1903 einzigen an einem k.k.Spital arbeitenden Ärztin, Freiin Gabriele Barbara Maria Possanner von Ehrenthal, der wir gedanklich ein Denkmal setzen wollen.

Am Anfang war das Alte AKH – Neue Zugänge zur Krankenversorgung im 18. Jahrhundert

Dieses trug den Zusatz „alt“ freilich nicht, als es Kaiser Joseph II., in negativer Weise vom Pariser „Hôtel-Dieu“ inspiriert, 1784 errichten ließ, obwohl es da eigentlich schon auf eine längere Geschichte als Siech- und Armenhaus verweisen konnte. Entlang der Spitalgasse floss die Als, worauf die Gegend dort gleich „Siechenals“ getauft wurde. Der Kaiser wollte – dabei auf die Errungenschaften des Leibarztes Maria Theresias, Gerhard van Swieten, aufbauend – eine strikte Trennung medizinischer Funktionen, was das Krankenwesen revolutionierte.

Gerhard van Swieten (c) STADTBEKANNT
Gerhard van Swieten (c) STADTBEKANNT

Das (nunmehr Alte) AKH, heute Campus der Universität, eine 96.000 m² grüne Oase in der Stadt, wo sich täglich 12.000 Menschen treffen, lässt sich durch dreizehn Höfe im klassizistischen Stile abwandern, die auf Isidor Canevale zurückgehen, der ein Jahr später die sich in der Währinger Straße befindende Medizinisch-Chirurgische Militärakademie, kurz „Josephinum“, mit seiner beeindruckenden Wachsmodellsammlung errichtete. In vielen Höfen begegnen uns Namen, die Wien den Ruf einer medizinischen Weltstadt einbrachten – in manchen Disziplinen wie der Dermatologie zum Beispiel bis heute. Wir treffen aber auch Namenlose und sogenannte „Narren“.

Wo Medizin Schule(n) machte – ein Ort für alle Organe

Im ersten, denkmalgeschützten Hof, der ansonsten von Gastrononomiegärten und familienfreundlichen Freizeitflächen geprägt ist und über das Jahr zahlreiche Veranstaltungen beherbergt, begrüßt uns die Statue Theodor Billroths, einem deutschen Chirurgen, berühmt für seine Errungenschaften in der Magenchirurgie. Berufungen in seiner Heimat schlug dieser aus und kam stattdessen nach Wien, wo er auch als Lehrer große Berühmtheit erlangte. Stichwort Lehren: Das Krankenhaus war von Anfang an auch als Klinische Lehranstalt gedacht, eine Wiener Erfindung, die sich auszahlen sollte: Hier wurde quasi am Krankenbett gelehrt. Anschaulicher geht es gar nicht. 1812 wurde hier die erste Augenklinik der Welt errichtet. Forschen und Heilen war also an einem Ort gebündelt und so entwickelte sich die sogenannte Zweite Wiener Medizinische Schule ab der Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Ägide des Pathologen Carl von Rokitansky und seiner „Anatomischen Klinik“, in der Krankenbefunde bei der Obduktion verifiziert wurden.

Theodor Billroth (c) STADTBEKANNT
Theodor Billroth (c) STADTBEKANNT

Wo Kinder forschen und heimliche Schwangere ihre Kinder zur Welt brachten

Im zweiten Hof wird nicht nur des Erbauers des Allgemeinen Krankenhauses Joseph II. in Stein und Spruch gedacht, sondern auch eines Pioniers der modernen Dermatologie: Freiherr Ferdinand von Hebra, der die Haut als eigenes menschliches Organ abgrenzte, ihre Krankheiten im Sinne Rokitanskys erforschte und in einer neuen, standardisierten Nomenklatur beschrieb. Hier in diesem Hof des Hautpioniers dürfen sich auch Kinder in den Ferienmonaten ins Reich der Forschung begeben, wenn die Kinderuniversität ihre Pforten öffnet. Aber auch zwei botanische Besonderheiten machen diesen Hof besuchenswert und zeigen wieder, wie Wien in allen Belangen immer schon eine mit der Welt vernetzte Stadt war: Ein sogenannter, auf 100 Jahre geschätzter denkmalgeschützter, „Gewöhnlicher Judasbaum“, dessen wunderschöne Blüten auch Einsatz im Salat finden können, weshalb in der Umgangssprache auch vom „Salatbaum“ (ohne das ewige Judasmotiv) die Rede ist. Dieser Baum ist ansonsten eher im Mittelmeerraum heimisch. Das zweite Exotikum ist ein kleiner japanischer Garten, der dem Japanologischen Institut gewidmet ist.
Und die heimlichen (ledigen) Schwangeren, wie kamen sie ungesehen ins Allgemeine Krankenhaus? Waren sie zahlungskräftig genug, konnten sie durch das inoffiziell so bezeichnete „Tor der heimlichen Schwangeren“ im 7. Hof schIüpfen und mussten nicht wie die sozial schlechter gestellten Mütter durch das Haupttor treten, um hier im Gebärhaus ihr Kind zur Welt zu bringen, um es dann im hiesigen Findelhaus zu lassen. Jenen zahlungsunfähigen Frauen ist aber die Entwicklung der modernen Geburtsheilkunde zu verdanken, denn sie mussten sich dem geburtshilflichen Unterricht zur Verfügung stellen.

Josef II (c) STADTBEKANNT
Josef II (c) STADTBEKANNT

Von ausgegrenzten PatientInnen und vertriebenen Ärzten

Werfen wir noch einen raschen, von Mitleid erfüllten Blick auf den ebenfalls von Canevale erbauten „Irrenturm“, die im Volksmund als „Narrenturm“ oder auch „des Kaisers Guglhupf“ genannte, in damaligen Zeiten durchaus als fortschrittlich geltende Aufbewahrungsstätte für geistig Kranke, in der sich heute die Pathologisch-Anatomische Sammlung des Naturhistorischen Museums befindet und die immer wieder auch als Theaterstätte diente.
Danach verlassen wir das Alte AKH, um in unmittelbarer Nähe auf jüdischen Spuren in der Medizingeschichte Wiens zu gehen. In der Mariannengasse befindet sich seit jüngster Zeit das Viktor-Frankl-Zentrum, Museum und Seminarzentrum, das dem Begründer der Dritten Wiener Schule für Psychotherapie, genauer der Logotherapie und Existenzanalyse, Viktor Frankl, gewidmet ist. Er, der 1937 seine eigene Praxis schließen hatte müssen, war von 1940 bis 1942 – das Euthanasiegesetz sabotierender – Leiter der Neurologischen Station am Rothschildspital in Währing, das einzige Spital, in dem Juden zu dieser Zeit noch behandelt werden durften. Sein Visum für Amerika ließ er verfallen, um bei seinen Eltern in Wien zu bleiben. Diese verlor er, so wie auch seine erste Frau und seinen Bruder im KZ. Ihnen widmete er das in neun Tagen geschriebene Jahrhundertbuch „…. trotzdem ja zum Leben sagen“, habilitierte sich mit der „Ärztlichen Seelsorge“ und wurde Vorstand der Neurologie an der Allgemeinen Wiener Poliklinik, deren Ursprungsbau heute noch ein Stück weiter hinauf in der Mariannengasse steht, in derem Führungsgremium einst auch eine stadtbekannte Frau saß: die Fürstin Pauline von Metternich.

Der Narrenturm (c) STADTBEKANNT
Der Narrenturm (c) STADTBEKANNT

Von einer alten Apotheke zu einer frühen Ärztin – die Alserstraße als Wohnstraße der Medizin

Kräuter waren nicht selten in weiblicher Hand, die Hebammen zum Beispiel benutzten sie einst zur Unterstützung der Geburt. Und so sind es auch heute vorwiegend Frauen, die wir als Apothekerinnen antreffen, auch in einer der alten Apotheken Wiens, der Tiger Apotheke, die ihren Tiger am Portal leider am alten Haus Nr. 8 lassen musste und, neubaubedingt, nun auf Nummer 12 beheimatet ist.
Wer sich mehr für das Mysterium des DrogistInnenberufs interessiert, sollte sich im Anschluss in die Währinger Straße 14 begeben, denn dort ist seit einigen Jahren das Pharma- und Drogistenmuseum untergebracht mit wunderschönen Naturselbstdrucken in vier großformatigen Bänden aus der Kaiserzeit, einer umfangreichen Kräutersammlung, einer homöopathischen Taschenapotheke und alten Fotoapparaten. Unsere letzte Station auf der Alser Straße ist unweit vom Wohnhaus des Chirurgen Billroth das mit einer Plakette versehene Haus, in dem die erste praktizierende Ärztin von Wien wohnte: Gabriele Possaner von Ehrenthal, die erste Frau, die 1897 in Wien promovierte, nachdem sie zuerst in der Schweiz studieren musste (mit doppelter Matura), und die keinen bürokratischen Weg scheute (ungezählt sind ihre Bittbriefe an die Herren der Politik und den Kaiser) um endlich als Ärztin in Wien arbeiten zu dürfen anstatt nach Bosnien geschickt zu werden, um dort muslimische Frauen zu behandeln, die einen männlichen Arzt verweigerten.
Ihr ist nur ein Ehrengrab am Zentralfriedhof vergönnt – der hoffentlich bald wieder geöffnete Arkadenhof der Universität Wien hätte doch bestimmt noch Platz für sie?

 

Elke Papp

Die Stadtverführerin zeigt auch die vielen Gesichter der Stadt. Spaziert mit ihr im August durch Wien! Das Programm gibt es unter mail@stadtverführerin.at zu bestellen bzw. auch bald auf www.stadtverführerin.at Weiters bietet sie seit neuem kulturelle Umwelt- und Klimatouren an: www.austriaguidesforfuture.at

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