Favoriten für Einsteiger

Fällt im Gespräch die Frage nach meinem Herkunftsbezirk, schlägt mir auf die Antwort “Favoriten” meist betretenes Schweigen entgegen. Einige murmeln etwas von “harter Gegend”, und selbst die Nicht-Wiener wissen um das Image des “Problembezirks”. Aber abseits von Straches traditionellen Wahlkampf-Reden am Viktor-Adler-Markt ist der zehnte Bezirk ein buntes, facettenreiches und lebenswertes Stück Wien. Natürlich ist der zehnte Wiener Gemeindebezirk als traditioneller Arbeiterbezirk vom Bobo-Feeling denkbar weit entfernt, aber vor allem Naturverbundene kommen hier voll auf ihre Kosten: Im Süden des sonst so dicht bebauten Bezirks befinden sich vor allem Grünflächen und Wälder. Ob im großteils unter Naturschutz stehenden Wienerberg mit seinen kleinen Teichen in denen sich sogar bedrohte Tierarten tummeln, oder am Laaer Berg, welcher sich mit seinen Weingärten auch vor Grinzing nicht zu verstecken braucht: Die Favoritner Naherholungsgebiete sind ideal zum Joggen, Spazieren oder einfach nur zum in der Sonne liegen. Die 68A-Fahrt an den Stadtrand fühlt sich beinahe an wie eine Reise in die Provinz, und wenn man an einem sonnigen Tag im Laaer Wald spaziert fällt es einem schwer zu glauben, dass man sich im bevölkerungsreichsten Bezirk Wiens befindet, der für sich genommen fast so viel Einwohner wie Linz beherbergt. Ein weiteres Grünflächen-Highlight ist der Kurpark Oberlaa, die riesige Parkanlage welche in verschiedene Themenbereiche gegliedert ist, hat von Allergiegarten bis zu Streichelzoo alles zu bieten was das Sommerfrischler-Herz begehrt.

Ebenfalls alle Stückerl spielt die unmittelbar benachbarte Therme Oberlaa, das einzige Thermalbad in ganz Wien. Der etwas hohe Eintrittspreis bietet dafür wirklich Wellness und Erholung auf hohem Niveau. Ein besonders interessantes Ausflugsziel in der Gegend stellt der Böhmische Prater am Rande des Laaer Waldes dar. Der vor über hundert Jahren von und für die dort ansässigen böhmischen Ziegelarbeiter aufgebaute Vergnügungspark ist den meisten nicht-Favoritnern gänzlich unbekannt. Schade, denn er spiegelt auf charmante Art und Weise ein Stück Wiener Geschichte wider. Viele von den alten Fahrgeschäften sind noch in Betrieb und an sonnigen Wochenenden kann man den Glanz der besseren Zeiten noch erahnen, selbst ein Riesenrad mit 21m Höhe dreht dort seine Runden, aber leider halten im Böhmischen Prater – wie bei seinem großen Bruder – in letzter Zeit verstärkt Automatencasinos Einzug.

Am Rande des Erholungsgebiets Wienerberg befindet sich weithin sichtbar ein sehenswertes Wahrzeichen von Favoriten: der opulente, 67m hohe Wasserturm, der vor hundert Jahren die höhergelegenen Gegenden des 10. Bezirks mit Wasser versorgt hat. Nicht weit davon, in der Neilreichgasse 96, bietet die klassische Wiener Bäckerei Groissböck mit angeschlossenem Caféhaus die wirklich besten Krapfen Wiens. Weiter unten im Bezirk, auf der Favoritenstrasse 156, zwischen bodenständigen Wiener Wirtshäusern, findet man ein eher untypisches Lokal wie man es dort nicht erwarten würde: The Loving Hut. Der Asiate serviert ausschliesslich vegane Gerichte, die nicht nur köstlich schmecken sondern auch schnell zubereitet werden. Die Preisgestaltung ist ebenfalls äusserst fair. Die Fotos und Devotionalien von “Surpreme Master Hai” die im gesamten Lokal verteilt sind erhöhen den Kuriositätenfaktor noch weiter. Selbst am berüchtigten Reumannplatz findet man zwei weit über die Bezirksgrenzen bekannte Institutionen. Zum einen: der Eissalon Tichy. Berühmt für die dort erfundenen Eismarillenknödel, geniesst auch das unglaublich kitschige “Palais de Glace” Legendenstatus. Das Eis selbst kann durchaus mit den grossen Namen mithalten und ist preislich in Ordnung. An schönen Sommertagen kann es durchaus vorkommen, dass die Menschenmassen bis auf die Strasse um Eis anstehen.

Der andere “Tipp” am Reumannplatz ist natürlich das Amalienbad, dominiert es mit seinem Uhrturm doch den gesamten Platz. Das 1924 im Art-Déco Stil gebaute Hallenbad wurde leider im zweiten Weltkrieg zerstört, aber selbst die Sparvariante die wiederaufgebaut wurde beeindruckt durch die weitläufige Architektur und das Glasdach, welches die gesamte Schwimmhalle mit Sonnenlicht durchflutet. Nicht weit vom Reumannplatz befindet sich noch ein grosses Highlight: Der Eingangs erwähnte Viktor-Adler-Markt. Eng drängen sich die gemauerten Marktstände aneinander, und in den dazwischen verlaufenden Gassen bieten viele österreichische und orientalische Händler ihre Waren an. Fleisch, Fisch, Imbisse wie die klassischen Duran-Pommes im Stanitzel, kleine Gastgärten unter schattenspendenden Markisen, und am Samstag der grosse Bauernmarkt, an dem die Landwirte aus dem Wiener Umland ihr Frisches Gemüse an den Mann und die Frau bringen. Ein Menschen- und Stimmengewirr das man unbedingt mal erlebt haben sollte.

Und zu guter Letzt: das ausserhalb Favoritens zumindest durch die “EKH BLEIBT” pickerln bekannte Ernst-Kirchweger-Haus sollte an dieser Stelle natürlich auch nicht unerwähnt bleiben. Das besetzte Haus in der Wielandgasse 2 wird von den dort ansässigen Punks mit Vehemenz verteidigt und ist in der linken Szene als Beisl und Veranstaltungsort eine Institution. Auch wenn es dort etwas bodenständiger zugeht, auch nicht-Punks können sich dort wohlfühlen. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ich hoffe dass er vielleicht dem einen oder anderen Lust gemacht hat, seine Vorurteile gegenüber dem “Ghetto Wien Zehn” mal zu überprüfen. Dafür sollte dieser Artikel erstmal einen groben Über- und Einblick in einen der unterschätztesten Bezirke Wiens geben.

Fotos

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    Jasmin

    nicht zu vergessen
    wir haben im 10. auch spitzengastronomie wie "meixners gastwirtschaft" und "der ringsmuth".

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    mich

    hmmm
    das entstand schon vor der entdeckungsreise in den böhmischen prater? – aufregend. und damals warst du nur gastschreiber, raphi?

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    boesner…


    ist doch im 11.?

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    AFavoritna

    @Lucienne: Na das seh ich nicht so!
    *) Das Jade kenn ich nicht.
    *) Warum man in der Panoramaschenke so viel Geld mitnehmen soll, versteh ich nicht. Preislich ist sie sicher nicht am untersten Level aber durchaus leistbar 😉
    *) Türkis? Also da gibt doch an fast jeder Ecke nen besseren Kebab. Hey, wir sin’ in Favoriten!

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    Sylvia

    10. Bezirk Nähe Wienerberg-See
    Servus. Hab diesen Artikel erst heute gelesen weil ich g´schaut hab was es in unserem Bez. heut gibt :-)erst einmal: gut geschrieben und sehr informativ-Danke! Ich lebe gerne hier weil auch die Infrastruktur in jeder Hinsicht passt. Was mich allerdings heuer ärgert: ich liebe meine Spaziergänge an und um den Wienerberg See. Natürlich gehört auch die Einkehr ins dortige Chadim dazu. Tja und heuer kommt man dort bis 17.00 Uhr vor VERSCHLOSSENE Türen aber nur bei SCHÖNEM Wetter. Verstehe wer will, ich nicht!! Einfach nur SCHADE!!

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