In den letzten Jahren hat der Winter in Wien nicht allzu oft Station gemacht. Dem berühmten Wiener Grant schien das ganz recht gewesen zu sein: „Der bleibt eh ned. Morgn ist ois wieda gatschig…“, war sein Kommentar, wenn es dann doch einmal hier zu schneien begann und sich Schneeverliebte darüber beglückt zeigten.

Diesen Winter erfreut sich selbst der pragmatischste Geist über das magisch märchenhafte Weiß, das die Stadt in ein paar Stunden nur verzaubern kann. Stiefel und Mantel an, (eventuelle) Kinder und Hund(e) warm einpacken und nichts wie hinaus! Bevor die fleißigen und zugegebenermaßen äußerst wortschöpferischen „(F)Lockenwickler“ und „Eisschmelzer“ der MA48 alles weggeräumt und überstreut haben! Unsere Winterreise führt uns quer durch Wien von den äußeren in die inneren Bezirke, wo der Schnee auch ab und an hintanzt, und wieder zurück. Musikalisches liegt auch am Weg.

Wald Bäume (c) STADTBEKANNT
Wald Bäume (c) STADTBEKANNT

Ottakring im Winter – wenn der Wiener Wald zu einem Wimmelbuch wird

Zu allen Jahreszeiten ist der Wiener Wald ein wahres Spazierparadies für die Stadt. Jetzt im Winter ergibt sich da ein besonders schönes Bild von Natur und Mensch: zwischen den (leicht) verschneiten Bäumen leuchten die bunten Jacken und Mützen der Wandernden. Und auch seine vielen Wiesen und Lichtungen verwandeln sich im Schnee zu kleinen Dorfidyllen. Das eine oder andere sehr verliebte Pärchen liegt sogar im Schnee und schaut verträumt in den Winterhimmel. Wimmelbücher oder auch Brueghels Winterbilder aus dem Kunsthistorischen Museum kommen uns da in den Sinn.
Endlich sind die Wege nicht mehr gatschig, wie so oft nach regnerischen Tagen oder auch sonst so oft und so lässt es sich nach Lust und Laune in alle Richtungen wandern. Hinauf und hinunter. Rund um den Wilheminenberg. Alle Wege führen wohin. Auch RadfahrerInnen sind unterwegs. Und Hunde in lustigen Mänteln ihre Menschen hinter sich herziehend.
Manch jemand hat sogar mehreres an der Leine.

Winterreise (c) Elke Papp

Die Kreuzeichenwiese – eine sagenumwobene Kreuzung im Schnee

Im Wienerwald hat jede Wiese ihren Namen. Eine der vielen heißt Kreuzeichenwiese und wie soviele andere Wiesen in Wien war sie einmal im Besitz des Schottenstifts. Heute erinnert noch ein Grenzstein mit den Buchstaben „BAZS“ an den Mönch Benno Abt zu Schotten. Auf der Kreuzeichenwiese im Ottakringer Wald stehen Eichen und kreuzen sich Wege und eine alte Sage spinnt sich auch um sie. So soll im 18. Jahrhundert ein Einsiedler, von vielen auch zum Verbrecher oder Irren abgestempelt dort versteckt gelebt haben und eines Tages nach der Schneeschmelze tot aufgefunden worden sein. Wer die Wiese im Sommer liebt, wird auch über ihr Winterantlitz schwärmen.
Rund um Holztische und Bänke wärmen sich Spazierende mit heißen Getränken aus der Thermoskanne auf, ein Stück weiter bauen andere Schneemenschen oder lassen ihre Kinder welche bauen oder ein paar Höhenmeter rodeln und rutschen und stehen selbst einfach nur in der weißen Landschaft und unterhalten sich.
Von der Kreuzeichenwiese aus geht es in diverse Bezirksteile des 17. Bezirks oder auch weiter hinauf zur Rieglerhütte. Die Entscheidung, wohin, fällt nicht immer allen leicht und so kommt es im Wald zu einem städtisch anmutenden Aufeinandertreffen wie an einer Verkehrskreuzung mit vielen Destinationen, was nicht der Komik entbehrt.

Winterreise Kreuzwiese (c) Elke Papp
Kreuzeichenwiese (c) Elke Papp

Schlitten Fahren damals und heute zwischen Ottakring und Neubau

Die schon seit vielen Jahren existierende Jugendrodelbahn, die im Ottakringer Wald parallel zur Johann Staud Straße bis zur Feuerwache Steinhof verläuft wird von Leuten allen Alters genutzt – auf Rutschutensilien aller Art, dem traditionellen Schlitten oder auch Rodel genannt, Bobs oder Kombinationen daraus oder einfach einem Sackerl. Manch ein Kind rutscht auch auf seinen Knien.
Viele fahren aber auch neben der Bahn, denn sie ist leider meist mit Laub bedeckt.
Schlitten haben als Transportmittel eine lange Geschichte und waren auch in der Habsburgermonarchie im Einsatz. Im 15. Jahrhundert haben wohlhabende Bürger den Vergnügungsaspekt der Pferdeschlittenfahrt entdeckt und ab dem 17. Jahrhundert waren auch selbstständige Talfahrten mit Schlitten (ohne Zugtiere also) bekannt. wie soviele Vergnügen ursprünglich aus Nützlichkeit geboren: böhmische Bergarbeiter benutzten sie zur Talfahrt.
Die herrschaftliche Schlittenvariante waren die von Pferden gezogenen Prunkschlitten der Habsburger, die heute in der Wagenburg im Schlosspark Schönbrunn zu bewundern sind. Dafür wurde der Innere Burghof genutzt, wohin Schnee aus der Vorstadt und den Vororten gebracht wurde, damit sich die feine Gesellschaft zu zweit und durchaus mit unterschiedlichen PartnerInnen schlittenfahrend vergnügen konnte.
Zur Hofburg kommen wir später auf unserer Winterreise, denn auch dort zeigt sich die Stadt immer wieder einmal angezuckert, wie es in der Stadt der Zuckerbäckerei so schön heißt.

Schneemann (c) STADTBEKANNT
Schneemann (c) STADTBEKANNT

Eine Ahnung wie früher vor der Asphaltierung und der Dominanz des Autoverkehrs auf vielen Straßen in allen Teilen der Stadt gerodelt wurde, bekommen wir am Ulrichsberg, dem ältesten Teil des Bezirks Neubaus. Dort, wo im Sommer die StudentInnen von Wien um die Kirche herum in diversen Lokalen sitzen, zeigt sich uns plötzlich ein kleiner Rodelberg, den eine Mutter und ihr Kind gerade entdeckt haben. Bei diesem Rodelberg handelt es sich im strengeren Sinn aber um eine der zwei in Wien noch existierenden „Rodelstraßen“ (neben der Schwenkgasse in Meidling), die aus Sichheitsgründen immer wieder geschlossen werden sollen, wobei sich am Ulrichsberg die Bezeichnung Straße dem Verständnis entzieht.

Sommerpalais im Schnee – Die Josefstadt in Weiß

An manchen Wintertagen wird auch die Josefstadt mit Schnee verwöhnt, was ihr, die nicht durch öffentliche Grünflächen glänzt, aber an vielen Ecken und Plätzen ihren dörflichen Chrarakter behalten hat, besonders gut steht.
Der Schönbornpark empfängt uns plötzlich in Weiß: ein ehemaliger einst für seine Tulpen berühmte Barockgarten des Sommerpalais der Familie Schönborn, seit 1917 Museum für Volkskunde, unter dessen abertausenden Alltagsgegenständen sich auch wahre Prachexemplare an Schlitten aus der cisleithanischen Monarchie aber auch beispielsweise aus dem Engading befinden. 2002 widmete das Museum der winterlichen Schlittenfahrt eine Ausstellung. Wer sie damals nicht besucht hat, kann sich nachträglich einen kleinen Einblick verschaffen.
Vorbei an der ebenfalls leicht angezuckerten Sommerlinde, eines der vielen Naturschutzdenkmäler in Wien, geht es zu dem einst gefeierten in der Josefstadt ansässigen Operettenkünstler, dem in Wien viel Ehre verliehen und in der NS-Zeit wieder genommen wurde und dem jetzt ein kleiner Schneemann zur Seite gestellt wurde: Edmund Eysler. Seine Büste wurde erst Jahrzehnte nach seinem Tod, angeregt durch Privatinitiativen, im Park aufgestellt.
Möge er sich an diesem kleinen Schneegruß erfreuen!
Durch das schmiedeeiserne Tor geht es auf die Florianigasse und hinunter aufs ehemalige Glacis. wo wir den Rathaus platz überqueren, der sich auch in diesem Winter in einen Eistraum verwandelt hat und begeben uns am Ring entlang Richtung Burgarten.

Burggarten (c) STADTBEKANNT
Burggarten (c) STADTBEKANNT

Kaiserliches Weiß

Den erst seit dem Ende der Monarchie für die allgemeine Bevölkerung geöffneten Burgarten haben wir voller in Sommertagen auf den Wiesen lagernder Leute im Kopf, was vor einigen Jahrzehnten noch schwerst verboten war, bis dort stellvertretend für alle anderen Bundesgärten und öffentlichen Parks das Recht erkämpft wurde, die Wiese zu betreten und vor allem sich auf ihr genussvoll niederzulassen.
Zum Glück müssen die 500 Schmetterlinge nicht frieren, sondern haben es in ihrem Jugendstilglashaus fein warm, dessen Ruhe schon Kaiser Franz Joseph genossen haben soll, der jetzt in seinem kleinen Alpengärtchen wie eh und je in Uniform dasteht. Kalt wäre ihm aber wohl dennoch nicht, denn er hat wahrlich kalte Tage im Schloss Schönbrunn erlebt. Hinter dem Burggarten führt eine Rampe zur Albertina hinauf, ließe sich auf dieser gar ein wenig rodeln?
Wer sich nun doch noch aufs Eis begeben möchte, dem oder der steht der Wiener Eislaufverein offen, in den warmen Wintern um die vorletzte Jahrhundertwende geschaffen, in denen die Natureisplätze an der Donau nicht zufroren und der sich rasch zum größten künstlichen Eislaufplatz in Europa entwickelte. In den 1960er Jahren musste sein Jugendstilensemble leider einem Hotel weichen, aber er, der sich in den letzten Sommern immer zu einer Beachbar wandelte, ist ein atmosphärischer Ort geblieben.
Zur Inspiration ein historisches Bild.

Winterreise Wiener Eislauf Vereinsplatz gemeinfrei
Wiener Eislauf Vereinsplatz gemeinfrei

Zurück in Ottakring – ewige Ruhe unter der weißen Decke

Wem der Trubel im verschneiten Wienerwald oder am Eislaufplatz zuviel ist, betrete ein zu allen Jahreszeiten Ruhe spendendes Terrain: den Ottakringer Friedhof.
Auch hier ließe sich Schlitten fahren. Die freundlichen Friedhofsgärtner hätten wohl nichts dagegen und die Toten schlafen friedlich unter der weichen, weißen Decke.
Nur der Arbeiterführer Franz Schumeier scheint noch immer die Stadt von Notwendigkeit des Sozialismus überzeugen zu wollen, dessen (kurzen) Sieg er selbst nicht mehr erleben durfte. Auf seinem Mantel liegt ein wenig Schnee. Das rote Band des Ehrenkranzes leuchtet im Weiß.
Und das Schloss Wilheminenberg, das seine Tore in der Geschichte schon für Ideologien aller Richtungen öffnete, hüllt sich dort oben am Berg in flockiges Schweigen.

Beim Lesen dieser Zeilen ist der Schnee in Wien wahrscheinlich schon wieder geschmolzen und die Wege im Wiener Wald sind so gatschig wie eh und je. Aber die Bilder von der weißen Wunderwelt bleiben im Kopf. Und vielleicht kommt der Schnee ja bald wieder in Wien vorbei und dann heißt es wieder Stiefel und Mantel an und los geht die Winterreise durch Wien!

 

Elke Papp

Die Stadtverführerin spaziert mit Euch zu allen Jahreszeiten quer durch Wien. Durch seine Geschichte und seine Gegenwart. Mit Literatur und Leichtigkeit. Zur Zeit leider nur im Kopf und auf Papier. Aber hoffentlich bald wieder ganz real! Schreibt ihr, damit ihr wisst, wann es wieder losgeht! mail@stadtverführerin.at
Einen kleinen Vorgeschmack auf ihre Touren gibt es auf: www.stadtverfuehrin.at sowie auf www.austriaguidesforfuture.at, wo die Stadtverführerin ebenfalls aktiv ist.

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