Durch die Josefstadt mit Ödön von Horváth

Der österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth lebte zwar nicht allzu lange in Wien, während dieser Zeit war es aber besonders ein Bezirk, in dem er Inspiration für eines seiner berühmtesten Werke „Geschichten aus dem Wiener Wald“ fand – die Josefstadt. Wir begeben uns deshalb auf einen Spaziergang auf Horváths Spuren durch den 8. Bezirk.

Eine „stille Straße im achten Bezirk“

Unser Spaziergang nimmt in der Lange Gasse seinen Anfang. Das Haus mit der Nummer 29 erzählt hier eine ganz besondere Geschichte, diente es doch als Vorlage für „Geschichten aus dem Wiener Wald“. In Horváths Stück befinden sich in dem Haus die Fleischerei von Oskar und das Geschäft des Zauberkönigs, der auch die Wohnung samt Balkon im oberen Teil des Hauses bewohnt. Auch eine kleine Trafik ist hier eingemietet. In der heutigen Zeit und abseits der Fiktion sind hier weder Fleischer noch Spielwaren zu sehen. Stattdessen befindet sich heute das Beisl „Das Lange“ hier.

Lange Gasse 29 (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Lange Gasse 29 (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Horváth beschreibt die Szenerie rund um das Haus in seinem Stück folgendermaßen:

„Von links nach rechts. Oskars gediegene Fleischhauerei mit halben Rindern und Kälbern, Würsten, Schinken und Schweinsköpfen in der Auslage. Daneben eine Puppenklinik mit Firmenschild »Zum Zauberkönig« – mit Scherzartikeln, Totenköpfen, Puppen, Spielwaren, Raketen, Zinnsoldaten und einem Skelett im Fenster. Endlich: eine kleine Tabak-Trafik mit Zeitungen, Zeitschriften und Ansichtspostkarten vor der Tür. Über der Puppenklinik befindet sich ein Balkon mit Blumen, der zur Privatwohnung des Zauberkönigs gehört.“ – Ödön von Horvath, „Geschichten aus dem Wienerwald“

Steht man nun vor dem Haus, so fällt es nicht allzu schwer sich vorzustellen, dass hier die Figuren des Theaterstückes beheimatet sind, hat es doch tatsächlich ein bisschen was von einer malerischen Kulisse.

Zu Gast im Hotel Zipser

Wir bleiben in der Lange Gasse und gehen nur zehn Hausnummern weiter. Hier befindet sich auch heute noch das Hotel Zipser, in dem Horváth von Zeit zu Zeit wohnte, wenn er Wien besuchte. Damals noch Pension Zipser, existiert das Hotel nun schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Haus wurde 1904 erbaut und war zunächst ein Heim für junge Mädchen, ehe es zu einer Pension umgebaut wurde. Das Wappen, das noch heute an der Hausfassade prangt, ist jenes der französischen Stadt Orsay.

Hotel Zipser (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Hotel Zipser (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Ein Maturant in Wien

Über die Maria-Treu-Gasse geht es nun weiter in die Piaristengasse. Auch hier wohnte Ödön von Horváth einst – allerdings war er da noch ein junger Maturant von 18 Jahren. In der Piaristengasse 62 lebte nämlich sein Onkel Josef Prehnal, bei dem der junge Ödön wohnte, als er in Wien die Matura ablegte. Seinen Onkel verewigte er übrigens ebenfalls in seinen „Geschichten aus dem Wiener Wald“ – der ehemalige k. u. k. Leutnant soll Horváth nämlich als Vorbild für den Rittmeister aus seinem Stück gedient haben. Wir spazieren nun über die Florianigasse weiter bis zur Landesgerichtsstraße, wo sich unser nächstes Ziel befindet.

Piaristengasse 62 (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Piaristengasse 62 (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Eine wunderbare Entdeckung

Wir überqueren die Landesgerichtsstraße und begeben uns zum Wiener Rathaus. Hier, in der Wienbibliothek im Rathaus, befindet sich ein ganz besonderes Textdokument Horváths. Denn die Wienbibliothek erwarb vor gar nicht allzu langer Zeit, nämlich 2015, ein bislang unbekanntes Stück Ödön von Horváths, das den Titel „Niemand“ trägt. Dieses hatte sich zuvor in Privatbesitz befunden und war versteigert worden. Das Stück zählt zu Horváths Frühwerken und wurde von ihm bereits 1924 fertiggestellt. Da jedoch der Verlag, bei dem der junge Horváth das Stück ursprünglich eingereicht hatte, in Konkurs ging, wurde das Stück nie aufgeführt und galt als verschollen. Die späte Wiederentdeckung sowie der Kauf durch die Wienbibliothek waren deshalb eine Sensation.

Wienbibliothek im Rathaus (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Wienbibliothek im Rathaus (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Zauberladen und kulinarische Vielfalt

Zurück auf der Landesgerichtsstraße geht es für uns nun wieder in den 8. Bezirk. In der Josefstädter Straße 9 befand sich zu Horváths Zeiten einst ein Geschäft für Zauber- und Faschingsartikel. Dieses diente ihm als Inspiration für das Geschäft des Zauberkönigs. Heute gibt es hier zwar keine Zaubereiartikel, dafür aber allerlei an kulinarischem Angebot. Der Marienhof ist die richtige Adresse für all jene, die die klassische Wiener Küche bevorzugen, wohingegen das danebenliegende Lokal „Aloha Bowl“ die aktuell sehr beliebten hawaiianischen Poke Bowls anbietet. Im Restaurant Auwedo, das sich daneben befindet, kann man fernöstliche Küche genießen. Kulinarische Vielfalt in einem Haus vereint.

So ein Theater

Natürlich darf das Theater in der Josefstadt bei unserem Spaziergang nicht fehlen. Nicht nur wurden hier die Horváth’schen Stücke „Geschichten aus dem Wiener Wald“, „Jugend ohne Gott“ und „Kasimir und Karoline“ aufgeführt, das Theater in der Josefstadt war auch der Ort, an dem Horváths verschollenes Stück „Niemand“ am 1. September 2016 uraufgeführt wurde. Das von Horváth als Tragödie bezeichnete Stück behandelt die Geschichte der unterschiedlichen BewohnerInnen eines Mietshauses und dessen Besitzer, sowie deren Konflikte und Einzelschicksale. Auch wenn im Vergleich zu seinen größten Werken deutlich wird, dass es sich hierbei um ein Frühwerk des Autors handelt, so zeigt sich dennoch bereits sein Feingespür für die menschlichen Abgründe und der Bruch mit der Fassade der vermeintlich heilen Welt.

Theater in der Josefstadt (c) STADTBEKANNT Jungwirth
Theater in der Josefstadt (c) STADTBEKANNT Jungwirth

Schnulziges Kinoprogramm?

In Anbetracht dessen, dass Horváths Werke so unverkitscht und abgründig Menschenschicksale behandeln, mag unser nächster Halt tatsächlich ein wenig verwundern. Wir bleiben auf der Josefstädterstraße, allerdings sind wir nun bei Hausnummer 43-45 angelangt. Hier befand sich von 1913 bis zum Jahr 1978 das Palast Kino, eines von ehemals drei Kinos in der Josefstadt. Was hat ein Kino nun aber mit Ödön von Horváth zu tun? Nicht allzu bekannt ist, dass Horváth unter dem Pseudonym H.W. Becker Drehbücher verfasste. Da ihm durch den aufkommenden Nationalsozialismus das Publizieren erschwert wurde, musste er nach alternativen Einnahmequellen suchen. Er schrieb daher unter anderem die Drehbücher der Filme „Rendezvous in Wien“ und „Buchhalter Schnabel“. Inhaltlich könnten diese nicht konträrer zu seinem literarischen Werk sein, handelt es sich hier meist um kitschige Komödien und Schnulzen. Besonders „Rendezvous in Wien“, das 1936 ins Kino kam, war erfolgreich. Das lag sicherlich auch nicht zuletzt an der Star-Besetzung der Hauptrollen mit Magda Schneider und Wolf Albach-Retty, den Eltern Romy Schneiders. Es ist daher auch sehr wahrscheinlich, dass der Film im Josefstädter Palast Kino gezeigt wurde.

Ehemaliges Palast Kino (c) STADTBEKANNT
Ehemaliges Palast Kino (c) STADTBEKANNT

Ob nun Theater oder Kino, seine Klassiker oder spätentdeckten Frühwerke – Ödön von Horváths künstlerisches Repertoire ist umfangreich. Wien und besonders die Josefstadt dienten ihm als Inspiration für seine Werke, die bis heute ein bedeutender Teil der Literaturgeschichte sind.

Wo wir waren

Kulisse „Geschichten aus dem Wiener Wald“
Lange Gasse 29

Hotel Zipser
Lange Gasse 39

Wohnhaus Onkel
Piaristengasse 62

Wienbibliothek im Rathaus
Felderstraße 1

Josefstädter Straße 9

Theater in der Josefstadt
Josefstädter Straße 26

ehemaliges Palast Kino
Josefstädter Straße 43-45

    5.0

    Sofie Kordasch

    Es wurde vergessen. Es gibt eine Horvathgasse im 16. Bezirk.

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