STADTBEKANNT unterwegs im 9. Bezirk

Mit den Grätzeln in Wien ist es so eine Sache. Einige spiegeln die Stadt mit all ihren typischen Eigenheiten wider. Andere tun das Gegenteil. So fühlt man sich einen Moment lang, als sei man geradewegs in eine andere Stadt spaziert. Ein Streifzug entlang der Porzellangasse lädt zumindest an manchen Ecken zum Gedankenausflug nach Paris ein.

 

Mit Blick auf die Rossau

Bevor wir in die Ferne schweifen starten wir mit einem Stück Wiener Militärgeschichte, denn die Rossauer Kaserne ist ohne Zweifel der Blickfang am Kopf des Alsergrunds. Das Gerücht, dass die ehemalige Kronprinz-Rudolf-Kaserne ursprünglich ohne Toiletten gebaut wurde, hält sich hartnäckig. Ein Irrglaube, der uns heute nicht lange aufhalten soll. Stattessen werfen wir einen Blick auf das Erwin-Ringel-Denkmal am gegenüberliegenden Schlickplatz. Ein Zitat des Tiefenpsychologen erscheint geradezu passend als Vorbereitung auf das Treiben im Servitenviertel: „In einer echten Gemeinschaft wird aus vielen Ich ein Wir.“

Rossauer Kaserne (c) STADTBEKANNT Kantner
Rossauer Kaserne (c) STADTBEKANNT

Französischer Flair in der Servitengasse

Und tatsächlich wird das „Wir“ und der Stolz auf das eigene Grätzel bei vielen Bewohnern und Ladentreibenden hier großgeschrieben. Davon ein Bild machen werden wir uns gleich, wenn wir die Türkenstraße queren, dabei die exzellente Pizzeria Riva passieren und in die schmale Servitengasse einbiegen. Der erste Zwischenstopp erwartet uns direkt an der Ecke zur Berggasse, die wir nicht zum ersten Mal besucht haben. La Mercerie ist eine kleine gemütliche Boulangerie, die mit feinen Köstlichkeiten zwischen Apothekerschränken und Klängen à la Edith Piaf aufwartet.

La mercerie (c) STADTBEKANNT Kantner
La mercerie (c) STADTBEKANNT

Dicht aneinander gereiht säumen winzige Geschäfte und Lokale den gepflasterten Weg zur frühbarocken Servitenkirche. Von der Schokoladenmanufaktur bis zum Gewürzladen- es scheint als hätte das Grätzel all das zu bieten, was ein Feinschmeckerherz höher schlagen lässt.

Servitenkirche (c) STADTBEKANNT Kantner
Servitenkirche (c) STADTBEKANNT

„Gassel allwo der Juden Grabstätte“

Vorbei an prunkvollen Altbauten, die sich abseits des dichten Verkehrs an der Rossauer Länder erheben, geht unser Weg weiter bis zu einem Bau, der besonders hervorsticht – und das nicht durch Altbaucharme oder Stuckfassade. Das Haus Rossau in der Seegasse, ist ein unscheinbar klobiges Gebäude, das ein Seniorenheim beherbergt. Dahinter birgt sich jedoch etwas Besonderes ­– der ältesten jüdische Friedhof Österreichs.

Zwischen 1540 und 1783 wurde hier bestattet und nachdem die Grabsteine im Laufe der Jahre weggebracht wurden, konnte die ursprüngliche Stätte, zumindest teilweise, im Jahr 1984 rekonstruiert werden. Es mag vielleicht makaber wirken, dass die Senioren beim Blick in den Innenhof stets die verwitterten Grabsteine vor Augen haben. Dennoch strahlt dieser Ort etwas besonders Friedvolles aus.

Ältester jüdischer Friedhof (c) STADTBEKANNT Kantner
Ältester jüdischer Friedhof (c) STADTBEKANNT

Auf fürstlichen Pfaden zur Strudlhofstiege

Zurück auf der Porzellangasse ist es an der Zeit auch auf die andere Seite des Weges abzuschweifen. Vorbei an den Toren des Palais Liechtenstein, dessen Garten eine willkommene Abwechslung im Häuserdickicht des Alsergrund ist, geht es quer über die Liechtensteinstraße. Dort tut sich ein ungestörter Blick zur Strudlhofstiege auf. Über das architektonisch wie literarisch wertvolle Bauwerk gibt es mehrere Anekdoten. Zu verdanken sind diese vor allem der Literatur des Heimito von Doderer, der das Kunstwerk etwa in “Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“ verewigte.

Palais Liechtenstein (c) STADTBEKANNT Kantner
Palais Liechtenstein (c) STADTBEKANNT

Auf der Zielgeraden zum Julius-Tandlerplatz

Schlussendlich beenden wir den Spaziergang zurück auf den letzten Metern der Porzellangasse. Wie die zu ihrem Namen kann ist fast selbsterklärend. Neben Schmieden, Glasern und anderen Handwerkern, die sich in der Vorstadt ringsum des damaligen Donauarms angesiedelt haben, gesellte sich zwischen 1718 und 1864 die Wiener Porzellanmanufaktur. An jener Stelle in der Porzellangasse 51, wo zwischenzeitlich die Generaldirektion der Austria Tabak beheimatet war, erinnert heute nur noch die Straßenbezeichnung an das Schaffen vergangener Tage, in denen der offizielle k.u.k. Hoflierferant edelstes Porzellan produzierte.

Fürstenhof (c) STADTBEKANNT Kantner
Porzellangasse 51 (c) STADTBEKANNT

Am Weg gibt es mit dem so genannten Fürstenhof eine Besonderheit zu sehen. Eine gedeckte Brücke verbindet die Gebäude des Doppelhauses (Hausnummer 33 und 33a) Ein Anblick der sich vor allem seitens der Liechtensteinstraße hervorhebt.

Brücke (c) STADTBEKANNT Kantner
Brücke (c) STADTBEKANNT

Angekommen am Franz-Josefs-Bahnhof ist unser Streifzug für dieses Mal zu Ende, der nächste kommt bestimmt.

STADTBEKANNT meint

Wer denkt, dass sich Wiens Sehenswürdigkeiten nicht auch hinter unscheinbaren Dingen verbergen, ist weit gefehlt. Auch wenn man der Annahme ist, dass man als frankophiler Spaziergänger nicht auch in Wien auf seine Kosten kommen kann. Ein Nachmittagsausflug ins Servitenviertel macht vieles möglich.

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