16. Mai 2013

Sommerfrische Revisited

Ein Plädoyer für die Wiedereinführung der Sommerfrische!

Man stelle sich folgende zwei Szenarien vor.

 

Szenario A

Brütende Hitze, asphaltgraues Meer mit einer zentimeterdicker Sonnencremeölschicht, die dem BP Unfall Konkurrenz macht, der Sand brennheiß wie glühende Kohlen, der eigene Bewegungsradius ist beschränkt auf die überteuerte Liege, die man gemietet hat, genauso wie die anderen 29.384.047 Urlauber, die sich wie Sardinen neben- und übereinander geschlichtet haben. Erholsame Stille? Denkste, die wird zerschnitten von den „Coco Bello“ Rufen des mobilen Kokosnussverkäufers und den quengelnden Kindern vom Liegestuhlnachbarn. Der ganz normale Wahnsinn an der italienischen Riviera, willkommen in Bibione. Erholung? Das einzig erholsame an diesem Urlaub waren die gephotoshoppten Fotos im Reiseprospekt des Lebensmittelhändlers Ihres Vertrauens, die man im Winter sehnsüchtig angestarrt hat.

 

Szenario B

Vogelgezwitscher, sanfter Sommerwind der durch die Baumkronen streicht, satte Wiesen, würzige Luft, ein Ausblick auf die Berge wie in einem Polycolor-Heimatfilm aus den 50er Jahren während man auf einer Holzbank übers Altwerden oder das Adelsdasein nachdenkt.

So muss sich die Sommerfrische angefühlt haben, also die allsommerliche Stadtflucht des Adels aufs Land, die im 19. Jahrhundert noch Gang und Gebe war. Die Blaublütler und wohlhabendere Bourgeoisie errichteten sich teils prunkvolle Sommerresidenzen in pittoresken Orten und Örtchen im Salzkammergut, Semmering und Wienerwald. Wenn die Sommerhitze zu drückend in der Stadt wurde, reiste man dort mit der gesamten Entourage an, um im malerischen Heimatidyll dem süßen Nichtstun zu frönen.

 

Zelebriertes Laissez-Faire

Eigentlich schade, dass diese Art des Urlaubens mittlerweile fast ausgestorben ist. Stattdessen pilgern wir jedes Jahr zu überlaufenen Urlaubsdestinationen, fahren und fliegen in Charterbussen- und flügen um die halbe Welt oder zumindest quer durch Europa, um dann erst Recht unsere kostbaren freien Tage mit Hausmeister Hinz aus Meidling und Nageldesignerin Kunz aus Ottakring zu verbringen. Irgendwie nicht so idyllisch, die Vorstellung.

Deswegen tritt stadtbekannt für eine Revitalisierung des Sommerfrischegedankens ein. Statt nach Bibione an der Adria oder Pula in Kroatien könnte man doch auch mal wieder ins Salzkammergut oder nach Bad Vöslau fahren. Oder in das wunderbar morbide, anachronistische Hotel Panhans am Semmering. Gerade die Gegend rund um den Semmering ist im Sommer atemberaubend schön, die Gegend um Reichenau bietet sich für das österreichische dolce vita gerade zu an. Und wem das andächtige Nichtstun dann doch etwas zu langweilig ist und nach etwas städtischer Kultur lüstet: Dort finden im August auch die Reichenauer Festspiele statt.

Andere malerische Sommerfrische-Orte befinden sich beispielsweise rund um den Attersee, Traunsee, in Bad Gastein oder im Auseerland im Salzkammergut. Nationale Urlaube in kleinen Gast- oder Bauernhöfen haben oftmals auch den Vorteil, dass sie wesentlich billiger als die Touristenabzocken in Griechenland oder Italien sind. Und wer jetzt nicht unbedingt auf exzessives Sonnenanbeten steht, wird so einen Österreichurlaub auch durchaus Positives abgewinnen können: Diese Urlaube sind einfach tendenziell entspannter, ruhiger und man kann bei Wanderungen und Spaziergängen wirklich abschalten.

 

Literarische Begeisterung für die Sommerfrische

Und wir sind mit unserer Sommerfrische Euphorie nicht alleine: Auch Arthur Schnitzler widmete sich in zahlreichen Theaterstücken, Novellen und Romanen (“Das weite Land”) dem gekonnten Laissez-faire des Adels am Land. Joachim Ringelnatz widmete in einem gleichnamigen Gedicht der Sommerfrische eine Hommage und auch Anton Tschechows “In der Sommerfrische” arbeitet die unbeschwerte Leichtigkeit des Seins literarisch.

 

Also, liebe Großstädter: Nichts wie ab aufs Land!

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