Eine Redakteurin auf Zucker berichtet über ihren Höllentrip.
Die Jahre des ausufernden Zuckerkonsums haben ihre Spuren bei mir hinterlassen, deswegen setzte mich meine Redaktion auf kalten Entzug.
Dabei ist Zucker, der schlimmste aller legalen süchtig machenden Stoffe, denn er ist überall und jeder liebt ihn. Klarerweise ist der Freund meines Feindes mein Feind: die gesamte Stadt.
Tag 1: Leugnung
“Ich esse doch gar nicht so viel Süßes?!”, sage ich als meine Kollegen in der Redaktion mich auf meinen angeblich übermäßigen Zucker- und Kohlehydratkonsum ansprechen. Der Versuch einer logischen Erklärung rettet mich aber auch nicht vor dem, was danach passiert. Meine Kollegen stellen mich vor die Herausforderung: Eine Woche keinen Zucker und keine Kohlehydrate (damit ich nicht den Verlust des einen mit dem anderen kompensiere). Was soll das? Lächerlich! Natürlich kann ich das.
Tag 2: Verwirrung
Der erste Tag ist geschafft, ich gehe weiterhin allem aus dem Weg, das Zucker und übermäßige Kohlehydrate enthalten könnte. Ein Klacks! Von Fertig- und Getreideprodukte, über Süßigkeiten, Salatdressing bis hin zu Eiscreme und Fruchtsäften und zuletzt reduzierte ich auch meinen Obstkonsum. Ich esse: Fast gar nichts, weil alles irgendwie alles Zucker enthält und der mickrige Rest einfach nach gar nichts schmeckt.
Ein Fahrradfahrer transportiert Styropor auf seinem Rad. Ich sehe stattdessen einen überdimensionalen Haufen türkischen Honig. Das Kind mit dem Eis kommt mir gefährlich nah, weiß seine Mutter nicht wie gefährlich das ist? Ich könnte ihm im selben Moment einen Tritt verpassen und gleichzeitig das Eis aus der Hand reißen. Dann hätte ich genug Zeit loszulaufen und das Eis zu verschlingen, während die Passanten versuchen dem Kind aufzuhelfen. Die Folgen? Sind mir egal! Ich brauche was Süßes!
Tag 3: Wut
Meine Kollegen essen Eis in der Redaktion. Genüsslich schlecken sie die schmierige Schoko-Pampe vom Löffel, um gleich darauf wieder gierig in den vollen Becher zu langen. Widerwärtig! Hört nur wie sie lachen und sich freuen. Ich verziehe mich indes in den Druckerraum und positioniere mich mit hinter dem Ricoh Pro C901. Seine wohlige Wärme lässt mich von der Geborgenheit träumen, die beim Essen von Eis, durch den Magen in den ganzen Körper strömt. Diese blöde Herausforderung braucht kein Mensch! Wenn ich kündige, dann könnte ich mir später ein Eis holen.
Tag 4: Angst
Mir ist seit Tagen nach jedem Essen übel und ich habe starkes Kopfweh. Ich kann keine Avocados und Nüsse mehr sehen, will kein Fleisch mehr essen und nicht noch eine verdammte Linse runterschlingen. Ich irre durch die Straßen. Bei einer Parkbank im Resselpark mache ich halt, neben mir noch so ein trauriges Individuum. Er hat den Kampf aufgegeben, hat sich dem Zucker hingegeben. Das weiße Pulver liegt noch überall verstreut und klebt an seinem Hemdsärmel. Stillschweigend aber mit gegenseitigem Verständnis ruhen wir uns aus, bis die Polizei kommt. Dann trottet mein einziger Verbündeter geschwinde davon.
Tag 5: Feilschen und Verhandeln
Vielleicht bin ich allergisch gegen Gemüse?! Meine Hände zittern, das einzige was ich will sind Nudeln und Zucker. Der Körper braucht doch Kohlenhydrate! Cheesecake, das ist Käse! So viel Zucker ist da gar nicht drin! Den kann ich doch essen. Und Obst braucht der Mensch, das hat viele Vitamine und Honig ist ja auch kein echter Zucker, oder?! Ein Freund bietet mir grinsend einen Keks an. Ich lehne ab. Er hat heute Geburtstag und wünscht es sich, dass ich den Keks esse. Ich sehe das zarte Ding an, so verletzlich. In der Sonne schmilzt die Schokolade bald, mit der Zeit wird das Weißmehl hart. Dann ist seine Schönheit verflogen. Lass mich nur ein Mal dran riechen! Und dann passiert es: Ein Bissen von der süßen Köstlichkeit und meine Probleme sind vergessen. Und weil es eh schon wurscht ist, trinke ich noch einen Radler nach.
Tag 6: Schuldgefühle
Im Rausch des Zuckers geht es mir gut, ich tanze durch die Straßen, tätschele Kinder und Hunde auf den Kopf, helfe alten Frauen über die Straße und renne mit den Radfahrern um die Wette. Doch bald die Ernüchterung: Ich habe versagt! Keiner darf je davon erfahren! Um mich zu beruhigen, gehe ich auf einen Kuchen. Jetzt ist es auch schon egal.
Tag 7: Akzeptanz
Mein Name ist Anna Anonyma und ich bin süchtig. Ich habe es akzeptiert, meine Schwächen angenommen. Aber ich fühle mich gar nicht schlecht dabei. Denn viele in dieser Stadt sind ebenfalls süchtig nach Zucker und unser Suchtmittel, macht uns zu besseren Menschen. Ohne Zucker würden alle Wiener noch grantiger und unhöflicher sein, das würde Nachbarschaftsstreits und Chaos ausbrechen. Somit ist Zucker etwas Gutes, rede ich mir zumindest ein.
Und das Beste daran: Ich bin nicht nur Konsument, sondern auch Dealer, denn bei uns erfahrt ihr, wo ihr den richtig guten Stoff herbekommt.
Anna Anonyma
zuckerstück
der artikelIst ja ganz lustig geschrieben. Aber irgendwie gibt mir die Message davon zu denken. Da man dem zucker ohnehin nicht entkommen kann, soll man es auch nicht versuchen und auch anderen zum konsum raten?
Newy
ZuckerIch finde den Artikel super, er hat mir gerade meinen Morgen versüßt. Jeder der schon mal probiert hat darauf zu verzichten kann sich glaube ich sehr gut in den Artikel rein versetzen. Ich finde auch nicht dass der Artikel verleitet Süßes zu essen, im Gegenteil, man macht sich wieder Gedanken darüber wieviel Süßes man eigentlich täglich ist, also ich werde wieder ein wenig darauf achten. Und zur Anmerkung, ich bin sehr sportlich und Liebe Zucker. Ein Lob an die Verfasserin.