11. November 2019

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Prekäre Arbeitsverhältnisse (c) STADTBEKANNT

Selbstständigkeit – ein Überblick

Wenn jemand sagt er sei selbstständig oder „sein/ihr eigener Chef“, dann erntet dieser jemand meist bewundernde Blicke, denn damit assoziieren viele Menschen Freiheit, überdurchschnittlich guten Verdienst, treue MitarbeiterInnen usw. Doch Selbstständig ist nicht gleich Selbstständig, wie ihr gleich an einigen Beispielen sehen werdet.

Ein-Personen-Unternehmen, Neue Selbstständige und freie DienstnehmerInnen

Die Gewerkschaft der Privatangestellten nennt einige Personengruppen respektive Berufsgruppen, die zu jenen gehören, wo die Arbeitsverhältnisse nicht nur prekär, sondern als atypisch, also von Normalarbeitsverhältnissen abweichend, bezeichnet werden. Vor allem Branchen, die nicht durch eine Gewerkschaft vertreten sind, wie ErwachsenenbildnerInnen, Kreativschaffende (AutorInnen, MusikerInnen, etc.) aber auch private Pflegekräfte, ProjektmitarbeiterInnen oder im Bereich des Journalismus usw. Diese Liste könnte man jetzt endlos lange ausführen – doch wollen wir uns anhand zweier Beispiele ein genaueres Bild darüber machen, was „prekäre Arbeitsverhältnisse“ konkret bedeuten kann.

Gewerbeschein = Sozialversicherungspflicht

In vielen Berufen braucht man als Ein-Personen-Unternehmen einen Gewerbeschein, dazu zählen beispielsweise Pflegekräfte, ÜbersetzerInnen, wobei nach Spartenlistung „Gewerbe und Handwerk“ mit 51,1% zu den meist verzeichneten unter den sogenannten EPU-s zu finden sind.
Zum Unterschied zu einem Angestellten müssen Selbstständige bevor sie auch nur einen einzigen Cent verdient haben ihrer Sozialversicherungspflicht nachgehen und Beiträge bezahlen, was den Einstieg nicht gerade einfach macht. Ein häufig verkanntes Thema ist auch die Höhe dieser Beiträge, denn zu Beginn wählen die meisten den Mindestbeitrag, was auf mehrere Jahre hochgerechnet niedrige Beitragszahlungen zur Folge hat und sich dann beim Pensionsantritt als deutlich negativ erweist.

Neue Selbstständige

Die sogenannten „Neuen Selbstständigen“ stellen eine ganz besondere Form dar, denn sie werden weder von der Wirtschaftskammer (da sie ohne Gewerbeschein arbeiten) noch von der Arbeiterkammer vertreten. Was viele nicht wissen ist, dass PaketzustellerInnen oft selbstständig sind. Das bedeutet, dass Großkonzerne Subunternehmer beauftragen und die wiederrum selbstständige PaketzustellerInnen, die pro geliefertem Paket bezahlt werden. Stellt euch mal vor, ihr würdet im Büro pro geschriebener E-Mail bezahlt werden und müsstet 300 täglich schreiben, wovon ihr aber meist aufgrund verschiedener Faktoren nur ein Drittel erledigen könnt. Ein ziemlich absurdes Konstrukt, wenn man bedenkt, dass Pakete ausliefern ein Knochenjob ist.

Freie DienstnehmerInnen – warum prekär?

Sie sind sozialversicherungsrechtlich zwar unselbstständigen ArbeitnehmerInnen gleichgestellt, jedoch fallen sie nicht unter das geltende Arbeitsrecht. Seit der sozialversicherungsrechtlichen Gleichstellung gab es einige Verbesserungen, wie beispielsweise das Krankengeld ab dem 4. Tag der Arbeitsunfähigkeit und die Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung. Wovon allerdings freie DienstnehmerInnen noch immer ausgeschlossen sind, sind gesetzliche Ansprüche aus arbeitsrechtlichen Bestimmungen, wie Urlaub, Abfertigung alt u.a. Hier lässt sich tendenziell schon erkennen, warum immer weniger Menschen den freien Dienstvertrag als Arbeitsverhältnis wählen. Hierbei führt der Sozialbereich mit in etwa 34% die Liste nach Branchen der freien DienstnehmerInnen an.

Auch hier gab es in den letzten Jahren eine interessante Entwicklung, denn viele Fahrradkuriere – Mjam, Lieferando, etc. arbeiten als freie DienstnehmerInnen. 2020 kommt jetzt endlich in Österreich der Kollektivvertrag für die Fahrradboten. Das Problem hier ist, dass für die meisten der Kollektivvertrag gar nicht gilt, denn sie sind – freie DienstnehmerInnen und per Definition sind sie das, da der „Arbeitgeber“ weder Dienstweisungen erteilt oder Dienstpläne erstellt noch Arbeitsmaterial zur Verfügung stellt. Das heißt, dass jeder Fahrradkurier, der auf seinem eigenen Rad unterwegs ist eben ein freier Dienstnehmer ist und bleibt. Ein kleiner Hard-fact: Bei Mjam sind gerade einmal zehn Prozent unselbstständig, der Rest? Freie DienstnehmerInnen. Für die einen mag das Freiheit bedeuten, doch Freiheit unter prekären Arbeitsverhältnissen, scheint sich dann doch nicht mehr so „frei“ anzufühlen.

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