21. Mai 2010

Mobilität für alle und zwar umsonst

Die Idee ist nicht neu: JedeR bezahlt sieben Euro in eine Gemeinschaftskasse ein und wer beim Schwarzfahren erwischt wird, dessen Strafe löhnt das Kollektiv. Das ist beim exzessiven Schwarzfahren auch notwendig, langen beispielsweise die Pariser Verkehrsbetriebe (RATP) mit 70 Euro recht ordentlich in die Tasche der Erwischten.

Weil aber auch die penetrantesten SchwarzfahrerInnen laut den Pariser Fare-Dodgers nicht öfter als vier oder fünf Mal im Jahr bei ihrem frevelhaften Tun erwischt werden, geht das Versicherungskonzept der Pariser SchwarzfahrerInnen auf. Sie organisieren sich in Gruppen zwischen zehn und dreißig TeilnehmerInnen und treffen sich monatlich um ihren Anteil zu berappen, Strafen auszuzahlen oder Aktionen gegen die Kostenpflicht der Öffis zu planen. Die älteste dieser Versicherungsgruppen besteht nun schon seit über vier Jahren.

Fast flächendeckend gibt es in Skandinavien Versicherungskollektive für SchwarzfahrerInnen. Ob Stockholm, Göteborg, Östergötland, Helsingfors, Skåne oder Uppsala, überall wird im Kollektiv schwarz gefahren.  Auch in Wien soll es bereits Überlegungen gegeben haben das illegale Treiben zu organisieren, wie Stadtbekannt bereits berichtet hat. Der einzige Haken daran: Etwas ungesetzliches gemeinsam zu tun macht’s leider nicht legaler und auch das Hedgen von Risiken die einem durch solche Aktivitäten entstehen ist nicht das, was ein Karl-Heinz Grasser als „supersauber“ bezeichnen würde.

Trotzdem geht es den internationalen Fare-Dodgers nicht (nur) um die Erschleichung einer Leistung, wie das § 149 Österreichische Strafgesetzbuch Schwarzfahren nennt. Sie sehen darin auch eine Protestform gegen das Prinzip der kostenpflichtigen öffentlichen Verkehrsmittel. Die schwedische Initiative mit dem klingenden Namen planka.nu (dt.: sich etwas erschleichen) erklärt auf ihrer Homepage: „Wir können nicht einfach 5 Kilometer laufen, wenn es uns nicht passt, den Fahrpreis zu zahlen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sollten so sein wie der Bürgersteig – von allen bezahlt, kostenlos zu benutzen. Es wäre absurd dafür zu zahlen, so wie es genauso absurd ist für öffentliche Verkehrsmittel zu zahlen.“ 

Die Lösung sehen sie in einer einkommensabhängigen Steuer, die alle Öffis ausfinanzieren könnte: „Freie öffentliche Verkehrsmittel stellen eine Möglichkeit da, von den Reichsten zu nehmen und uns zu geben. Es ist an der Zeit für diese Art der Umverteilung in unseren gespaltenen Städten.“
Die französischen Fare-Dodgers gehen noch weiter und kritisieren nicht nur die Kosten der öffentlichen Verkehrsmittel sondern auch ihre Gestaltung und soziale Wirkung: „Seit den frühen 1980ern hat er Staat, durch die RATP (Anm. d. A. Pariser Verkehrsbetriebe), die U-Bahn verwendet um einen spezifischen öffentlichen Raum zu schaffen, eine Mischung zwischen einem Supermarkt und einem Gefängnis. Wenn das Transportnetzwerk immer schon Polizeifunktion hatte, wie das Drangsalieren von MigrantInnen und Menschen die sich keine Tickets leisten können, so wurde diese im Laufe der vergangenen Jahre noch schärfer militarisiert. Dieser Raum wird ebenso dazu benützt antisoziale Technologien wie RFID-Karten, CCTV-Kameras und Videoscreens voranzutreiben, mit denen sich Reisende Stück für Stück abfinden weil sie keine andere Wahl haben.“

Vor allem diese totale Überwachung und die obsessive Jagd nach SchwarzfahrerInnen sei es die große Kosten für die Verkehrsbetriebe verursachen würden. Stellte man die Kontrolle der Fahrscheine ein, so könnte man sich mit den dadurch frei werdenden finanziellen Mitteln die Freifahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln finanzieren, sind die Fare-Dodgers überzeugt
Mit ihrer Kritik an den öffentlichen Verkehrssystemen, ihren Kosten und sozialen Problemen, sind die SchwarzfahrerInnen in Paris und Skandinavien nicht alleine. Unter ihrer Forderung „Free Public Transports“ haben sich über zwanzig Organisationen weltweit zusammengeschlossen. Von der australischen Socialist Alliance bis zur russischen Initiative „Transport is for everyone“ treten sie alle für freie und ausfinanzierte öffentliche Verkehrsmittel, auch im Sinne einer ökologisch nachhaltigen Verkehrsplanung ein.

Erste Erfolge gibt es bereits. Großstädte wie das englische Sheffield oder Baltimore in den USA lassen alle Menschen gratis reisen und ebenso im kroatischen Zagreb heißt’s bei den Öffis „badava“.
Auch andernorts ist den öffentlichen Verkehrsbetrieben augenscheinlich nichts zu teuer, wenn es um ihre Passagiere geht. In Kopenhagen gibt es seit kurzem spezielle, mit rotem Samt bezogene Liebessitze. Auf ihnen können sich Menschen niederlassen wenn sie in der Stimmung sind interessante Bekanntschaften zu machen. Freie Beförderung für alle würde Aktionen wie diese von vornherein unnötig machen.
Denn, wenn mehr Menschen es sich leisten können mit den Öffis zu fahren kommt man sich zwangsläufig näher. Ob man will, oder nicht.

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