9. November 2018

Keine Angst, es wird alles viel schlimmer

Ausblick Donauturm (c) STADTBEKANNT

Ein Ausflug in die Welt von 2025

Globalisierung, technologischer Fortschritt und sich ändernde Lebensgewohnheiten – schon heute scheint es uns, als würde sich die Welt jährlich schneller drehen. Sogar in Wien, wo angeblich die Uhren langsamer ticken, hält der Wandel Einzug. Wir haben einen spekulativen Blick ins gar nicht so ferne Jahr 2025 gewagt …

 

Das geht unter die Haut!

Die Schweden haben es als erste kapiert: Chipkarten in der Firma sind unpraktisch, und wenn man sie daheim vergisst, auch ziemlich umsonst. Deswegen ließen sich schon 2017 vergessliche Mitarbeiter einiger Firmen einen reiskorngroßen Chip unter die Haut pflanzen, mit dem Türen geöffnet und bargeldlos bezahlt werden kann. Der Trend setzte sich – entsetzten Datenschützern zum Trotz – bald quer durch die EU fort, sodass 2025 auch die meisten Wiener ihren Pass und sämtliche persönlichen Dokumente eingemottet haben und stattdessen einen ID-Chip nutzen. Ein kurzer Pieks in den Unterarm, und das Ding sitzt unter der Haut!

Das winzige Wunderwerk beinhaltet neben abrufbaren Daten für den bequemen Flughafen-Checkin oder das flotte Bezahlen außerdem einen GPS-Tracker und einen Sensor für biologische Parameter wie Herzfrequenz und Atmung. Im Falle eines medizinischen Notfalls alarmiert der ID-Chip automatisch die Rettung. Vorteil: So mancher Herzinfarkt-Patient kann schnell gefunden und gerettet werden. Nachteil: Rettungsorganisationen beklagen zahlreiche Fehlalarme, etwa durch Horrorfilm-affine Jugendliche mit kurzzeitigen Herz-Aussetzern oder trainierende Apnoetaucher.

 

Zärtlichkeit aus der Dose

Je virtueller Wien lebt, desto technologischer wird auch an das Thema Liebe, Sex und Beziehungen herangegangen. Anquatschen in „freier Wildbahn” gilt als Old School bis schmierig; man/frau sucht lieber online den Partner mit der perfekten Passung. Dafür ist es nötig, alles über ihn/sie zu wissen: Wie alt ist er/sie wirklich? Welche psychischen Dispositionen, welche Krankheiten, welche Ernährungsgewohnheiten hat er/sie? Und wie viel verdient er/sie überhaupt? Solche und ähnliche Fragen werden via Chip-Check gleich vorab geklärt, damit niemand Zeit mit unnützen Flirts vergeuden muss. Der Preis: die Preisgabe des gesamten Selbst.

Kein Wunder, dass der wachsende Perfektionismus bei der Partnerwahl auf Kosten der weniger Perfekten geht. Wer ein bisschen zu dick oder dünn, ein bisschen zu arm oder ein bisschen zu wenig gebildet ist, schaut bald einmal durch die Lappen. Ihm oder ihr bleibt meist nur die Liebe einer Künstlichen Intelligenz. Kostenpflichtige, aber dafür umso liebevollere Chatbots sowie humanoide Sexroboter erleben einen Boom. Gleichzeitig eröffnen am Wiener Gürtel erste Virtual Reality Puffs, in denen Kunden und Kundinnen ihre geheimsten und wildesten Fantasien virtuell ausleben können.

 

Wohnwaben: Komfort im Kleinformat

Überdimensioniertes Wohnen ist enorm out. Es gilt als dekadent und verschwenderisch: Immerhin verbringt der moderne Großstadtmensch die meiste Zeit seines Lebens vor einem Bildschirm. Nördlich der Seestadt Aspern und südlich von Oberlaa entstehen daher schon 2020 zwei innovative und nachhaltige Wabetowns; Wohnanlagen, die an die neuen Lebensbedürfnisse der Wiener angepasst sind. Eine Wabetown umfasst je 20.000 vernetzte Mini-Wohneinheiten für Singles oder Paare.

Rund 18 Quadratmeter misst eine Wohnwabe, die mit minimaler Möblierung auskommt und dennoch jeden Komfort bietet: Die Wände lassen sich per Smartphone regulieren und verwandeln sich je nach Bedarf in Bildschirme (ideal für Zocker, Videotelefonierer und Serienfreaks), Spiegel (für Eitle) oder nehmen einen Sonnenuntergangs-Look an (für Romantiker). Style pur!

 

State of the Lieferservice-Art

Von einem interstellaren Lieferservice ist zwar 2025 noch keine Rede, doch zumindest in Wien hat das Essen Flügel bekommen: Kochfaule Besitzer eines ID-Chips lassen sich nämlich gerne mal Essen von Drohnen-Lieferservices wie Pizza Shuttle direkt zum Fenster bringen. Die Bezahlung erfolgt via ID-Chip und Handauflegen auf die Lieferdrohne, Karten akzeptiert das Fluggerät nicht. In der ZIB vom 3.11. 2024 präsentiert Dr. Peter Filzmaier eine Umfrage, wonach 82% der gechippten Wiener die Nutzung der Drohnen-Lieferservices als Hauptmotivation für ihre Entscheidung zum ID-Chip angeben.

 

Menschliche vs. künstliche Intelligenz im Verkehr

Im Wien von 2025 sind sämtliche U-Bahnen und Straßenbahnen fahrerlos unterwegs. Sogar die Durchsagen macht eine künstliche Intelligenz. Abgesehen von einem kleinen Zwischenfall 2023, als eine dieser „KIs” offensichtlich den Verstand verlor und eine U6-Garnitur hysterisch lachend auf 130 km/h beschleunigte, funktioniert das neue System einwandfrei.

Auch intelligente, selbstfahrende Autos sind keine Seltenheit mehr. Da diese jedoch für Wien zu „brav” programmiert sind und einigen Fahrern die Geduld für deren korrekt-defensive Fahrweise fehlt, hat sich die Technologie noch nicht ganz durchgesetzt. Radfahren ist nach wie vor in, doch ohne Motor fährt kaum mehr jemand. An intelligenten, selbstfahrenden Radln wird geforscht.

 

Drink Me(al)!

Neue Zeiten, neue Ernährung: In Wiener Supermarktregalen finden sich neben herkömmlichen Nahrungsmitteln immer mehr Produkte der US-Marke Drink Me(al). Die in Tetrapacks abgefüllten Speisen im Flüssigformat enthalten Kohlehydrate, Eiweiß und Fett in idealem Verhältnis. Schon ein 0,5-Liter-Packerl Drink Me(al) stellt eine vollwertige Mahlzeit dar. Beliebte Sorten sind „Happy Chicken”, „Veggie Power” und „Cheesecake”. In Schulen ersetzen Drink Me(al)s zusehends das Kantinenessen, auch in Büros setzt sich das zeitsparende Flüssigmenü durch.

Gegner des Drink Me(al)-Konzerns bemäkeln, dass die Proteine sämtlicher Sorten aus Abfällen der Fleischproduktion stammen und dass trotz eines internationalen Anti-Palmöl-Abkommens (2022: „Nutella Ban”) haufenweise Palmöl enthalten ist. Drink Me(al) kontert mit einer Nachhaltigkeitskampagne, Charities und einer Katze als Maskottchen und siegt im Werbekrieg gegen seine Kritiker.

 

Ministerium für Verbrechensprävention

„Verbrechen verhindern, bevor es passiert!” titelt das inzwischen nur noch online erscheinende gekrönte Blatt schon Wochen vor der bindenden Volksabstimmung im November 2024. Worum es geht? Das neu geschaffene, dem Innenministerium unterstellte Ministerium für Verbrechensprävention fordert Zugriffsrechte auf die ID-Chip-Daten der Bevölkerung. Man betont, das Gesetz diene zu 100% dem Schutz der Österreicher vor terroristischen oder unangepassten Fremden, und man verspricht, dass alle Einwanderer verpflichtend gechippt werden. Die Mehrheit der Österreicher findet den Vorschlag super. Auch Wien stimmt für die Maßnahme, die von Kritikern als „elektronische Fußfessel für alle” bezeichnet wird.

Für die Gegner des ID-Chips wird das Klima rauer. Mit der staatlichen Initiative „Hast DU etwas zu verbergen?” wird in Schulen und im Online-TV für den Chip geworben, prominente Gegner werden durch die Medien gezerrt und von der Gekrönten als Terrorismus-Ermöglicher bezeichnet. Wer anständig bleibt, hat schließlich nichts zu befürchten …

 

… oder doch?

Am 5.7.2025 bricht die Cobra die Wohnung eines jungen Mannes auf, dessen biologische Parameter auf eklatant erhöhte Aggression und Terrorneigung schließen ließen. Man findet einen Mann im Pyjama vor, der wegen eines wiederholt scheiternden SmartScreen-Logins einen Wutanfall bekommen und die Fernbedienung zertrümmert hatte. Satiriker und Kabarettisten jubeln.

 

DIE Lösung für sozial Deprivierte und andere Unglückliche

Die Politik ist sich einig: Für die soziale Unterschicht braucht es nicht mehr Unterstützung oder Wohlstand, sondern einfach nur mehr Arbeitsmotivation und subjektives Glücksgefühl! Aus diesem Grund wird das in Japan entwickelte Realtiy Booster-Programm, das im Sinne von Augmented Reality die Sinne bescheißt, ab 2025 auch in Österreich zugelassen.

Erforderlich für eine Installierung ist die ID-Chip-Insertierung direkt ins Gehirn, wo gezielt wahrnehmungsverändernde Impulse gesetzt werden können. Statt Grau in Grau erscheinen Wien und die Welt plötzlich bunter, Töne werden freundlicher wahrgenommen. Sogar erheiternde Details wie Regenbögen oder Kaffeeduft können per App nach Belieben eingeblendet werden. Die inzwischen recht günstige Technologie wird nicht nur von sozial Deprivierten, sondern auch von gestressten Arbeitnehmern und Deprimierten gerne genutzt. Psychologen vergleichen die Wirkung mit jener halluzinogener Drogen und warnen vergeblich vor den unabsehbaren Folgen der Realitätsentfremdung.

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