21. Mai 2015

Kaugummiautomaten

Eine Ode an die Modernisierungsverlierer

Eigentlich geben sie ein trostloses Bild ab: meistens besprayt und beschmiert, mit Spuren von betrunkenen Vandalenakten versehen, geknackt oder angezündet – und fast immer verwaist, denn Kaugummiautomaten an Hauswänden zählen zu den klassischen Modernisierungsverlierern. Zuviel lenkt uns mittlerweile ab, so dass die Automaten im Stadtbild zurücktreten und scheinbar verschwinden.

„Gibt es überhaupt noch welche?“ höre ich hin und wieder, und ja, es gibt mehr, als man denkt, man braucht nur die Augen zu öffnen; sieht man einmal bewusst hin, treten sie plötzlich aus ihrem Schattendasein hervor. Dann sieht man sie an beinah jeder Hausecke und S-Bahn Haltestelle, an Busstationen und Hausecken, an denen man täglich vorbeikommt. Die traurige Erkenntnis: für Kaugummiautomaten sind wir blind.

Automatic for the People

Zu simpel ist wahrscheinlich das Vergnügen, eine Zehn- oder Zwanzigcentmünze in den Schlitz zu klemmen und am kleinen, schwarzen Plastikhebel zu drehen, um am Ende mit einem in bunte Alufolie gewickeltem Kügelchen dazustehen, das sowieso nach einer Minute kauen den Geschmack verliert – aber so pragmatisch denken Kinder eben selten. Oder doch? Weil nicht einmal die sehe ich noch an den Automaten herumdrehen. Der Lack ist ab, da glänzt nichts mehr, weder der Automat, noch die Kinderaugen. Eigentlich ein Wunder, dass sie noch jemand nachfüllt. Werden die Automaten eigentlich jemals leer?

Das ganz kleine Glücksspiel

Dabei kann es so spannend sein, wenn man sich auf das wahre „kleine Glücksspiel“ einlässt: denn in Wirklichkeit waren die Kaugummis selbst doch immer uninteressant, das Füllmaterial, die Ausrede. Das eigentlich Tolle an den Automaten war doch das Erlebnis, die Spannung: Drehen am Rad, das Taktieren – langsam drehen oder schnell? – das verheissungsvolle Klicken im Automaten, die Ungewissheit, ob man vielleicht mehr als eine Kugel bekommen hat, oder gar ein Spielzeug? Denn für 10 Cent kann so viel mehr als nur ein Kaugummi herausschauen: kleine Ringe, Buttons, Trillerpfeifen, oder für größere Münzen auch Flummis, Schlüsselanhänger, Taschenmesser oder ähnlicher Ramsch, der eigentlich nach fünf Minuten ebenfalls wieder uninteressant war. Aber wer mit Kinderaugen durchs Leben geht, kann verstehen, dass dieses ganz kleine Glücksspiel in dem Moment das Aufregendste der Welt war.

Ein Sinnbild

Wurde ich als Fünfjähriger noch mit Einschillingmünzen zum Kaugummiautomaten geschickt, um mich für einige Zeit zu beschäftigen, hörte ich einige Jahre später von meiner Mutter als Antwort auf den Wunsch nach Kaugummi ein lakonisches „auf den Automaten hat sicher jemand draufgepinkelt“. Das habe ich damals nicht verstanden, aber es hat etwas in mir ausgelöst. Meine unbedarfte Konsumkultur hatte ihre Unschuld verloren. Aber mit jeder Zehncentmünze, die ich noch heute oft in Kaugummiautomaten stecke, kaufe ich mir ein Stück Kindheit zurück. Ich glaube fast, es funktioniert.

 

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