Stadtspaziergang durch den 15. Bezirk

Man muss zwischen Stadthalle und Schmelz weder gegen Drachen kämpfen noch mit Tarnkappe voranschreiten. Dennoch spaziert man hier auf sagenhaften Gassen und Plätzen.

Kriemhild und Gunther. Hagen und die Walküren. Beim Streifzug durch den nördlichsten Zipfel von Rudolfsheim-Fünfhaus, der inoffiziell „Nibelungenviertel“ heißt, erinnern die Straßennamen an die althochdeutsche Pflichtlektüre aus Schulzeiten. Bis auf diese Tatsache gibt es um den Kriemhildplatz wenig, das an mittelalterliche Heldenepen erinnert. Im Grätzl reiht sich ein karger Gemeindebau an den anderen, was darauf hindeutet, dass das Schaffen von Wohnraum seit 1912 im Vordergrund stand. Dennoch bedarf es nur eines zweiten Blickes, um interessante Flecken oder verborgene Augenweiden zu entdecken.

Fassaden Kriemhildplatz (c) STADTBEKANNT Kantner
Fassaden Kriemhildplatz (c) STADTBEKANNT

Zu Gast im Mader

Unser Spaziergang führt uns von der Stadthalle, vorbei an der Seipl-Dolfuß-Gedächtniskirche (Christkönigskirche), durch eine blühende Allee in der Markgraf-Rüdiger-Straße. Trotz des Regenwetters verleihen die Bäume und Rasenflächen der Straße ein freundliches Aussehen. Am späten Vormittag führt uns der Kaffeedurst in das Restaurant Mader, ein Gasthaus par excellence. Zwischen alten Coca-Cola-Reklamen, Polsterbänken und zünftigen Bierkrügen, serviert man Tafelspitz und Ringlottenbrand. Ab halb elf grüßen sich die Gäste mit „Mahlzeit“. Die vielen Reserviert-Schilder auf den rustikalen Tischen und ein Wirt, der laufend telefonische Bestellungen von Einser- oder Zweier-Menüs entgegennimmt, lassen auf Beliebtheit bei Stammgästen schließen.

Markgraf-Rüdiger-Straße (c) STADTBEKANNT Kantner
Markgraf-Rüdiger-Straße (c) STADTBEKANNT

Von Kriemhild zu Zwingli

Bänke und Bäume am Kriemhildplatz laden bei schönem Wetter zum Verweilen ein. Im Vorbeigehen lassen sich zwischen den Betonbauten manche Fassaden entdecken, die aus der Reihe fallen. Die Tatsache, dass sich verschiedene Baustile im Nibelungenviertel wie Fleckerlteppiche zusammenfügen, ist schnell erklärt. Während in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts Miethäuser im Stil der Wiener Secession gebaut wurden, füllte man die Lücken nach den baulichen Zwangspausen der Kriege mit Gemeindebauten und Genossenschaftswohnungen.

Allio Tellgasse (c) STADTBEKANNT Kantner
Allio Tellgasse (c) STADTBEKANNT

Auf dem Weg von der Camillo-Sitte-Gasse fallen uns drei Dinge auf. Zum einen der Friedensreich-Hundertwasserplatz, der seit 2007 das südliche Ende des Nibelungenviertels benachbart, bevor sich der dichte Häuserwall durch die Kleingärten der Schmelz lichtet. Daneben sticht uns ein altbackenes Eckgeschäft namens „Bärnklau“ ins Auge. Putziges Holzspielzeug und Korbwaren werden in den Auslagen angepriesen. Schließlich fällt unser Blick beim Spazieren entlang der Schweglerstraße auf die Zwinglikirche, die schlicht aber schön hervorsticht und ein bisschen an den lombardischen Baustil mancher Gotteshäuser in Italien erinnert. Dahinter steckt jedoch das Architektenduo Theiss & Jaksch, das etwa auch den Bau der zweiten Reichsbrücke verantwortete.

Zwinglikirche (c) STADTBEKANNT Kantner
Zwinglikirche (c) STADTBEKANNT

Über die Märzstraße zum Meiselmarkt

Kaum zu übersehen ist der Kontrast zwischen dem verschlafenen Nibelungenviertel und dem bunten Treiben auf der Märzstraße, über die wir zum Meiselmarkt gelangen. Neben Supermärkten und kleinen Multikulti-Läden findet man vor allem kulinarisch Deftiges wie einen Standort des mittlerweile zum „hippen Kulttürken“ avancierten Kent. Vorbei an der Rudolfsheimer Pfarrkirche bedauern wir, dass es weder Zeit für ein Wochenend-Frühstück noch für eine Nachmittagsjause ist, da das benachbarte Augustin unter der Woche erst um 16:00 Uhr öffnet. Aber aufgehoben ist nicht aufgeschoben und der entzückende Gastgarten im Innenhof lässt sich ohnehin bei Frühstück mit Schönwetter viel besser genießen.

Meiselmarkt (c) STADTBEKANNT Kantner
Meiselmarkt (c) STADTBEKANNT

Von Pferdeleberkäse bis Burek

Schließlich sind wir am Meiselmarkt angekommen und auch hier könnte der Mix verschiedener Epochen im Hinblick auf Baustile nicht deutlicher sein. Vorweg erhebt sich die denkmalgeschützte Alte Schieberkammer zu Füßen modernen Wohnbauten der Meiselstraße. Als Erinnerung an die Wiener Wasserversorgung, der dieses Areal, wie auch die gesamten Räumlichkeiten des heutigen Marktes gewidmet waren, lässt sie an längst vergangene Zeiten denken. Heutzutage kann sie für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt werden. Daneben betreten wir die Markhallen, die uns nicht nur Zuflucht vorm Regen bieten. Großer Andrang auf den Gängen, der Blick auf Berge voller Obst und Gemüse, Vitrinen voller Fleischwaren und Brot, sowie die Rufe der einzelnen Standler, geben einem das Gefühl auf einem fernen Basar gelandet zu sein. Hier treffen österreichische Schmankerl auf die Einflüsse Wiens internationaler Bewohner. Hier endet unser Spaziergang und bei einem Glas Granatapfelsaft und frischem Burek lassen wir das Treiben auf uns wirken.

Alte Schieberkammer (c) STADTBEKANNT Kantner
Alte Schieberkammer (c) STADTBEKANNT

STADTBEKANNT meint

Ein Spaziergang durch die klobigen Gemeindebauten des 15. Bezirks mag auf den ersten Blick unspektakulär wirken, dennoch zahlt es sich aus, sich hier dahintreiben zu lassen. Wer weiß, vielleicht entdeckt man manch sehenswerte Ecke oder neue Lieblingsplätze, die in der Betonwüste verborgen liegen.

 

Restaurant Mader – Markgraf-Rüdiger-Straße 12, 1150 Wien
Mo – Sa 10:00 – 24:00 Uhr, So 10:00 – 16:00 Uhr

Das Augustin – Märzstraße 67, 1150 Wien
Mo – Do 16:00 – 0:30 Uhr, Fr 16:00 – 1:30 Uhr, Sa 9:00 – 1:30 Uhr, So + Feiertag 9:00 – 0:30 Uhr

Meiselmarkt
Mo – Sa 6:00 – 19:30 Uhr, Sa 6:00 – 17:00 Uhr

    5.0

    Helmut Schulz

    Gute Darstellung von Wien

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