22. Mai 2010

„Freunde treffen statt Freunde adden“

Angefangen bei der BH-Farbe, über die schwere Wahl, was zum Mittagessen auserkoren werden soll, bis hin zu (damit eventuell in Zusammenhang stehende) Verdauungsbeschwerlichkeiten. Alles Dinge, die man von seinen Facebook FreundInnen eigentlich nicht wissen wollte, aber regelmäßig brühwarm erfahren darf.
Es ist dann aber auch nicht so, als wäre es mit Facebook getan. Twitter, Xing, LinkedIn, MeinVZ, Lokalisten, Stay-Friends, Netlog, wer-kennt-wen, Faceparty, friendfeed, nur!studenten, studi.net und unzählige andere webbasierte Social Networks stehen mittlerweile zur Verfügung.

Wie war das mit der Privatsphäre?
Abgesehen von der permanenten Berieselung durch Statusmeldungen gibt es dann noch den vieldiskutierte Aspekt des Datenschutzes. Ja, anhand der Sicherheitseinstellungen können User ihre Informationen meist selektiv zugänglich machen. Vielen wird aber erst spät klar, dass sich die Vodka-durchtränkten-Partyfotos nicht von heute auf morgen aus dem Netz verabschieden, wenn der erste seriöse Job angenommen wird.

Anzugeben, welche Veranstaltungen man vorhat aufzusuchen, das Beitreten in diverse Gruppen und anhand der Nutzung von Quizrunden á la „Wie gut kennst du XY“ kann ein ziemlich detailliertes Bild über eine Person erzeugt werden. Dessen sollten sich die User von Social Networks einfach bewusst sein, wenn sie das nächste Mal FreundInnen adden.

Überhaupt „Freunde“. Haben so viele Facebook-User tatsächlich eine derart riesige Anzahl von FreundInnen? Auch im „real life“? Eine gewisse Skepsis ist da ja wohl angebracht. Tauschen wir unsere richtigen Freundschaften und Sozialkontakte durch Social Networks vielleicht sogar langsam gegen fiktive, virtuelle aus?

Konsequenz: aussteigen?
Diese Gedanken hat sich auch Dieter Willinger gemacht. Er glaubt, „dass es bei vielen Menschen das diffuse Gefühl gibt, dass die Entwicklungen rund um webbasierte soziale Netzwerke in einem wertfreien Sinne “eigenartig” sind.“
Diesen Gefühlen und der Diskussion über im Web kursierende Social Networks einen Raum zu geben, ist das Ziel von ausgestiegen.com, eine Webseite, die April 2009 von Willinger ins Leben gerufen wurde.

Hat sich der Social Networker dazu entschieden, auf den Wahnsinn zu verzichten, kann auf ausgestiegen.com eine finale Statusmeldung hinterlassen und erklärt werden, weshalb er/sie aus welchem Netzwerk ausgestiegen sind.
Die Gründe variieren: “ka lust”, weil “Es unglaaaublich viel Zeit frisst, in der ich nützlichere Dinge machen kann.” über “Zu viele sogenannte Freunde!” bis hin zu weil “ich mit 85% meiner StudiVz-Freunde noch nie drei Sätze gewechselt habe”.

Darüber hinaus liefert ausgestiegen.com Anleitungen zum – oft gar nicht so einfachen – Ausstieg aus den diversen Social Networks. Und da gibt’s einige Möglichkeiten. Zur Verfügung stehen die Varianten „Babyleicht“ – für all jene, die einen Ausstieg light bevorzugen und „Geister-Account“ – für solche, die ihre FreundInnen gerne überraschen. Der „Web 2.0 Suicide“ – über den wir bereits berichtet haben – ist da schon drastischer. Oder aber, man wählt den „Point of no Return“ – auch eher etwas für diejenigen, die komplett entsagen möchten.

Was tun mit der gewonnen Zeit?
Kaffee trinken gehen, echte FreundInnen anrufen, Theater, Kino, ein Stadtspaziergang…

Für viele ist der Ausstieg allerdings erst Mal ein kleiner Entzug, so Dieter Willinger: „Die Entzugserscheinungen sind anfangs etwas ungewohnt. Vor allem auch, weil man plötzlich Zeit hat. Es ist so ähnlich wie mit dem Rauchen aufzuhören.“

Für solche, die ihren Ausstieg auch nach Außen tragen wollen, gibt’s diverse Accessoires und T-Shirts mit Aufdrucken wie „Freunde treffen statt Freunde adden“, „Ich bin nicht zu adden“ oder „Freunde bekochen statt Freunde adden“.

Kommerzialisieren, so Willinger, will er ausgestiegen.com aber nicht. Darum gibt es auch keine bezahlte Werbung, lediglich aus dem T-Shirt Verkauf kommen Einnahmen.

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