5. November 2011

Filmkritik: Habemus Papam

Der alte Papst ist tot, ein neuer soll gewählt werden. Tausende von Menschen sind auf dem Petersplatz und warten auf den weißen Rauch. Niemand reißt sich darum, gewählt wird schlussendlich doch einer: Melville. Lieb wie Opa wackelt der neue Papst still zum Balkon, bevor er dort eine Panikattacke bekommt und die Kirche ratlos macht. Was tun, wenn der Papst nicht Papst sein will?

In der katholischen Kirche weiß Gott ja bekanntlich mehr als der einfache Mensch. Gott weiß darum auch, wer der nächste Papst sein soll, und dieser darf nicht sagen, dass er anderer Meinung ist. Melville ist fromm, und lieb, aber er kann nicht. Nach seiner anfänglichen Panikattacke müssen zunächst die Kardinäle mittels Aufschlagens der heiligen Prozessregeln davon überzeugt werden, dass sie auch nach der Wahl bleiben müssen, solange der Papst sie dort haben möchte. Bereits geplante Ausflüge werden vertagt, man verschanzt sich kollektiv in den heiligen Gemäuern, vor dem tausende von verwirrten AnhängerInnen verzweifelt ausharren.

Eine Extremsituation also. Man ist ratlos, wie mit dem verzweifelten Melville umzugehen ist. Think outside the box – ein Psychiater wird gerufen, der Beste, den Italien zu bieten hat, gespielt vom Regisseur Nanni Moretti himself. Mit Gottes Werk und Teufels Beitrag soll der Papst wider Willen von seiner Pflicht überzeugt werden. Aber die Zensur ist natürlich aktiv: der Psychiater muss den Karren dabei um so ziemlich alles schiffen, was die Psychoanalyse als Wurzel von Problemen zu bieten hat: Sexualität, die Mutter, Familie, Glaube? Nein, lieber nicht ansprechen, das auch nicht, lieber nichts von alledem. Dem Therapiegespräch wohnen, damits nicht unangenehm wird, auch sämtliche Kardinäle bei. Ehrlichkeit vor den Herren, Privatsphäre wird nicht großgeschrieben im Boys Club Vatikan.

Als auch das nichts hilft, wird der Papst auf Empfehlung des Psychiaters zu dessen Frau gebracht, angeblich der zweitbesten ihrer Berufssparte. Einziges Manko: sie attestiert jedem und jeder ein Zuwendungsdefizit aus früher Kindheit. Dass man im Vatikan in früher oder auch späterer Kindheit Erlebtes für nicht allzu bedeutend hält, ist hinlängst bekannt, und alles, was sich dennoch trotzig in den Gedanken hält, wird weggebetet. Das tut auch der Papst, zumindest angeblich: nachdem es ihm gelingt, nach dem Termin bei der Therapeutin seine Schar an Beaufsichtigern abzuhängen, erklärt der Manager der heiligen Mauern kurzum, der Papa bete in seinen Privaträumen. Dort wird ein Mitglied der Garde angehalten, doch mehrmals täglich päpstlich an den Vorhängen vorbeizuschreiten, wegen der Glaubwürdigkeit wärs gewesen.

Der Psychiater wird während alledem im Vatikan festgehalten – Vertrauen ist gut, ärztliche Schweigepflicht auch, Kontrolle aber einfach besser, auch im Headquarters des Mitmenschentums in Rom – wo er zur Bekämpfung der allgemeinen Langeweile ein Volleyballturnier der Kardinäle organisiert und die alten Herren bei der Wahl zwischen Schlafmittel und Schmerzmittel berät. Der echte Papst, sofern er das ist, spaziert einstweilen durch Rom, spricht mit dem Bäcker über sein Zuwendungsdefizit, geht mit Fremden Abendessen und fährt die Kinder der Psychiaterin zur Schule. Wird das noch was werden?

Habemus Papam war der Publikumsrenner bei der Viennale, regulär in die Kinos kommt der Film am 8.12.2011.

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