21. Dezember 2013

Ein Weihnachten ohne Nintendo

Weihnachtsdorf am Campus der Universität Wien (c) STADTBEKANNT

Ich stehe auf der Mariahilferstraße und blicke Richtung Westbahnhof, während mich ein junger Mann von höchstens zwanzig Jahren anrempelt, eine Entschuldigung murmelt und weiter geht. Vielleicht war es auch eine Beschimpfung, ich habe ihn nicht genau verstanden. Der Bus hält vor mir und ich beobachte, wie er sich vor mir entleert und ein Mensch nach dem anderen über die Schwelle aus dem überfüllten Fahrzeug auf die ebenso überfüllte Straße steigt. Gegenüber von mir hängt ein Plakat unseres Bundeskanzlers auf dem steht „Alles wird besser“ und ich verstehe nicht, was er meint. Der Bus fährt ab, ohne mich mitzunehmen, und ich blicke ihm nach und überlege mir, aus welchem Anlass heraus wir eigentlich Weihnachten feiern, weshalb ich hier stehe und kein einziges Geschenk in der Tasche habe und warum mich das nicht fertig macht.

Ich erinnere mich an einen Dezember, in dem ich nicht viel älter als zehn Jahre alt gewesen sein konnte. Zu Weihnachten würde ich die neue Spielkonsole von Nintendo bekommen, die seit Ende November in einem Schrank im Keller versteckt war und die ich jeden Abend, nachdem meine Eltern schlafen gegangen waren, aufgebaut und im Morgengrauen wieder abgesteckt und in den Kasten zurückgelegt hatte. Als dann der Vierundzwanzigste endlich herangebrochen war, hatte ich zwar schon etliches von der Magie des neuen Spielzeuges zerstört, aber dem Zauber von Weihnachten hatte ich dennoch nichts anhaben können.
In Anbetracht dieser Erinnerung sind Kinder wohl der einzige Grund, Weihnachten überhaupt zu feiern wie wir es feiern, denn sie können sich durch das Öffnen eines Geschenkes tatsächlich noch ein wunschloses Glück herbeiträumen, wozu wir schon lange nicht mehr im Stande sind. Und dennoch versuchen wir die Illusion um unser Willen für einen Abend aufrecht zu erhalten und begeben uns dafür in die Schlacht um die Mariahilferstraße oder, wenn wir gar keine Skrupel kennen, auf Amazon.

Starbucks oder McDonalds

Langsam spaziere ich über die Einkaufsstraße und starre in weiße, von der Kälte hart gewordene Gesichter, die sich zu hunderten an mir vorbeizwängen, ohne mich wahrzunehmen. Alle hundert Meter sitzt ein Bettler auf dem Boden, von denen jeder eine andere Spezialfähigkeit hat, ein bisschen wie in einem morbiden Videospiel: einer hat keine Beine mehr, ein anderer hat einen erfroren daliegenden Hund neben sich aufgebahrt und eine Dame singt Lieder in einer Sprache die ich nicht kenne. Minutenlang betrachte ich sie, doch keiner der Passanten legt etwas in ihre Becher und ich denke an die Geschichte des Undercoverjournalisten, der vor ein paar Jahren einen Monat Bettler gespielt hat und danach angegeben in seiner vielbeachteten Geschichte geschrieben hatte, ein Vermögen dabei verdient zu haben. Kurz frage ich mich, ob es einen Unterschied macht, ob man als Bettler einen McDonalds Becher oder einen von Starbucks verwendet und überlege, ob das unter den Armen so etwas wie eine Klassengesellschaft signalisiert. Heute gibt es noch dazu Konkurrenz aus dem Nachwuchsbereich in der Form von ein paar jungen Mädchen, die vor einem Supermarkt stehen und Spenden für eine wohltätige Organisation sammeln. Fast jeder Passant drückt ihnen einen Geldschein oder gerade in dem Markt gekaufte Ware in die Hand. Ein paar Meter weiter steht ein schwarzer Augustinverkäufer, der die spendierfreudigen Menschen freundlich anlächelt, doch keiner gibt ihm etwas, denn die Gutmütigkeit wurde schon von den Kindern aufgebraucht. Eine Gruppe Jugendlicher kommt mir entgegen, sie reden nicht miteinander, sondern drücken auf ihre Telefone, ich erkenne, dass es iPhones sind. Endlich sagt einer doch etwas und die anderen blicken widerwillig von ihren Geräten auf, um den Bildschirm des Störenfrieds zu bewundern.

Ich habe immer noch kein Geschenk gefunden und bringe es nicht fertig, auch nur ein Geschäft zu betreten, denn ich weiß, dass das was ich möchte in keinem erhältlich ist. In wenigen Stunden werde ich vor einem Christbaum stehen und glücklich darüber sein, dass es ein ganz normales Weihnachtsfest sein wird, an dem nichts passiert und alles so ist, wie es immer war. Vielleicht sollten wir, wenn wir diese Möglichkeit geschenkt bekommen, diese annehmen und alles andere einfach links liegen lassen. Ich nehme einige Münzen aus meiner Geldbörse und versuche sie nach Gewicht und Gefühl zwischen den drei Bettlern zu verteilen. Der schwarze Augustinverkäufer bekommt einen Schein und für die Kinder kaufe ich im Supermarkt ein paar Dosen Gulasch. Die Dämmerung hat sich mittlerweile über die Stadt gelegt und sie wie unter einem schwarzen Tuch begraben – es wird Zeit für mich, nachhause zu gehen, denn es ist Weihnachten, und ich bin froh darüber, dass ich heuer nichts von Nintendo bekommen werde.

Andreas Rainer

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