5. August 2011

Ein Nachruf auf Europa

Europa geht den Bach runter, wer sperrt den Laden zu?

Das immer hysterischere Verhalten auf den Märkten zeigt, dass an eine Zukunft des gegenwärtigen finanzmarktzentrierten Modells des Kapitalismus, nicht einmal mehr dessen Akteure glauben. Europa und die Welt stehen am Beginn der zweiten Runde der schwersten Wirtschaftskrise seit den 1930ern und während die Welt über den Bankrott Italiens phantasiert, ist es vielleicht an der Zeit sich von dem Europa, das wir kennen, zu verabschieden.

 

Farewell good old Europe

Als Griechenland, gemeinsam mit 21 anderen Staaten, Deutschland im Londoner Schuldenabkommen von 1953 entschuldete, kam diese Großzügigkeit gegenüber einem Staat zu tragen, dessen Soldaten noch vor wenigen Jahren im Lande sprichwörtlich wie die Hunnen, in Wirklichkeit weit ärger, gewütet hatten. Gegenüber einem Land, das keine Spur der Großzügigkeit erkennen hatte lassen, sondern gemeinsam mit anderen, darunter den Österreichern, diesen Kontinent verwüstete, wie nie jemand zuvor und danach.

Die Lehre aus den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg, die die betroffenen Staaten mit niemals bewältigbaren Schuldenbergen, die zu permanentem Sparen ohne jeden Sinn verurteilten, zurückließen und direkt in die noch viel schlimmere Katastrophe der 1930er und 40er Jahre führte, hatte von jedem Gedanken an Revanchismus geheilt.

Die Großzügigkeit gegenüber den Besiegten, die jene schonte, die selbst schonungslos gewesen waren, ermöglichte uns fast 70 Jahre Frieden, Wirtschaftswachstum und ein Wohlstandsniveau, wie es sich für dieses Europa, noch Anfang des vorigen Jahrhunderts, niemand auch nur erträumen konnte.

All das droht aber zur Makulatur zu werden, denn die traurige Erkenntnis, dass aus Geschichte nicht gelernt wird und nur die veränderten, allgemeinen Umstände eine Wiederholung verhindern, bestätigt sich einmal mehr.

Im Gegensatz zu den 1930ern, der Zeit der letzten großen Wirtschaftskrise, wurde diesmal zwar von den Regierungen rasch reagiert. Doch seither wird wild in alle Richtungen gerudert, vorwärts, rückwärts, seitwärts, einige haben sich entschlossen ein Loch in das Schiff zu schlagen, wieder andere versuchen eimerweise Wasser aus dem Schiff zu befördern. Alles zusammen sieht zwar spektakulär aus, lässt aber jeden Sinn vermissen.

Man kann natürlich hoffen, dass sich im letzten Moment die Dinge doch wieder fügen werden und alles besser ausgeht, als befürchtet. Ich würde darauf inzwischen aber keinen Pfifferling mehr wetten. Die Dynamik, die den Kontinent zerreißt, hat seit langem Fahrt aufgenommen und wird nicht mehr zu stoppen sein, weil sie sich ohne, dass noch weiteres Zutun nötig wäre, selbst immer weiter verstärken wird.

 

Die Zwecklüge, der Irrsinn und das Politikversagen

Seit den ersten Tagen der Wirtschaftskrise erleben wir politische AkteurInnen, die in Permanenz zur Zwecklüge gezwungen waren und sind. „Griechenland ist nicht pleite“, „Der Privatsektor wird sich freiwillig beteiligen“, „Es besteht keine Ansteckungsgefahr für Italien und Spanien“, „Österreichs Banken haben in Osteuropa keinen besondere Risikoposition“, um nur einige von unzähligen dieser Zwecklügen wiederzugeben. Das Publikum glaubt die Zwecklügen, mehr oder weniger, da das einzige, was es mehr fürchtet als jene Lügen, die Konsequenzen der Wahrheit sind. Die Politik wiederum erzählt sie, weil es ihr genauso geht.

Das ist aber auch das gesellschaftliche Klima in dem der Irrsinn blüht und gedeiht. Denn in einem Klima der Zwecklügen, kann noch der absurdeste Unsinn erzählt werden. Ja, er wird sogar geadelt, schließlich wirkt kommunikativ die eine Lüge wie die andere und so können die Stimmen, die da fordern „Wir geben nichts“, „Wir wollen den Schilling zurück“, „Dann gehen wir eben Bankrott“ (in den USA) für sich in Anspruch nehmen, maximal ebenso falsch wie all die anderen kleinen Schwindeleien zu sein. Durch den hier fehlenden Reality Check, der umgekehrt von der deutschen Bundeskanzlerin abwärts Woche für Woche die europäische Politik wie eine Gruppe Hornochsen erscheinen lässt, weil ihr Geschwätz von gestern, heute schon durch neues ersetzt werden muss, ist die Lüge nicht überprüfbar und kann für sich behaupten, vielleicht ja doch wahr zu sein.

In diesem Klima des Irrsinns wächst kein Pflänzchen mehr, denn das, was Europa ermöglicht hat, lässt es nun untergehen. In Europa ist kein einziges Politikmodell (mehr) hegemonial. Der vielstimmige Chor verschiedener Politikvorschläge erledigt sich selbst, da jedes Mal doch nur der kleinste mögliche Kompromiss beschlossen wird.

Was die Einigung Europas ermöglichte, nämlich in vielen kleinen Schritten, von Kompromiss zu Kompromiss, immer etwas weiter zu gehen, ist aktuell nichts anderes als eine Abfolge immer neuer „too little, too late“ Beschlüsse.

Diejenigen, die aber die irrsten Vorschläge haben, brauchen gar nichts zu tun. Eine Politik, die in Permanenz scheitert, erledigt Europa ganz von selbst. Sobald sie aber etwas machen können – und die kommenden Wahlgänge in Europa werden sie von Land zu Land stärken und an Einfluss gewinnen lassen – blockieren sie eben noch effizienter. Die jetzt schon herrschende, allgemeine Schockstarre politischer VerantwortungsträgerInnen, wird sich dann noch weiter verstärken und den Rest erledigen.

 

Europa ist schwer krank

Europas Währungsunion war vom ersten Tag an eine Fehlkonstruktion sondergleichen, die auf der einen Seite die Anhäufung letztlich wertloser Anspruchstitel und auf der anderen Schuldenberge erzeugte. 2008 wurde das dann offensichtlich und seither wird alles versucht, um nur möglichst wenig an dieser Fehlkonstruktion zu ändern.

Ein Land wie Griechenland ist gezwungen auf Jahrzehnte in Schuldknechtschaft zu gehen um Schulden zu bezahlen, die nie bezahlbar sein werden. Alfred Gusenbauer, der im Interview mit dem Standard jüngst so viele kluge Dinge sagte, dass man direkt traurig werden könnte, dass er so wenig in der Lage war diese auch politisch mit Leben zu erfüllen, hat aber wohl Recht wenn er sagt, dass „die Leute bis ans Ende aller Tage (sich anm.) alles gefallen lassen, das halte ich für eine schwere Illusion“.

In Südosteuropa ist der Funke zu Aufständen wohl schon gelegt, zu ihrer etwaigen autoritären Beantwortung fehlt auch nicht mehr so viel. Im Norden bricht sich die Wut der ArbeitnehmerInnen Bahn und der Wille zum Geben ist nicht vorhanden. All zu viele fühlen sich von einem System betrogen, dass ihnen in den vergangenen Jahren wenig bis nichts brachte und von dem sie das Gefühl haben, es würde sie nun abermals zur Kasse bitten.

Vielleicht hätte man erklären können, mit dem Verweis auf die Geschichte und darauf, dass auch Deutschlands, Österreichs oder Hollands ArbeitnehmerInnen profitieren, wenn eine völlig dysfunktionale Währungsunion repariert wird. Aber die einen wollten es nicht erklären, die anderen konnten es nicht und jetzt ist es zu spät.

Gegen die nun vorherrschende Meinung traut sich kaum mehr jemand etwas zu sagen, so nicht selber noch Öl ins Feuer gegossen wird, und die da mit den nächsten Wahlen kommen werden, werden keinen Kompromiss schließen, das ist absehbar.

In der Zwischenzeit haben sich die Akteure des weltweiten Finanzsystems selbst aufgegeben. Über die niemals mehr einlösbare Anhäufung an weltweiten Schuld- und Eigentumstiteln, macht sich kaum mehr jemand Illusionen. Kein Wunder, dass sie wie eine Herde verängstigter Schafe von hüben nach drüben eilen. So würgen sie, aktuell beispielsweise in Italien, genau diejenigen ab, die ihnen diese Titel noch garantieren könnten.

Aber haben sie nicht allen Grund zur Panik, wenn diejenigen, die ordnend eingreifen sollten, selbst kopflos herum irren, als wären es ihre eigenen Anspruchstitel, die den Bach runter gehen?

Und was macht das politische Establishment von der EZB von Frankfurt über Berlin, Brüssel bis nach Paris? Es sind so ziemlich die letzten, die diese Herde von Schafen noch ernst nehmen. Die sich von deren erratischen Handlungen eine immer teurere und noch teurere Rettung aufzwingen lassen, ohne auch nur daran zu zu denken, die schweren Kanonen, die man im Keller stehen hätte, zu holen und dem Spuk ein Ende zu machen.

 

Die schweren Kanonen im Keller

Der Aberwitz, dass ein Land wie Italien, dessen wohlhabender Teil der Bevölkerung ohne große Schwierigkeiten mittels Steuern oder mittels Anleihenkäufen die Finanzierung des Staates sicherstellen könnte, wie er es auch in den vergangenen Jahren tat, als der Staat ebenso verschuldet aber auch ebenso reich war wie er es jetzt ist, nun für Pleite erklärt wird, ist kaum zu fassen.

Trotzdem wird bereits über neue Haftungsschirme, eine abermalige Garantie und irrsinnige Sparpakete verhandelt. Nur um dasselbe Spiel spätestens kommendes Jahr in Frankreich zu wiederholen, worauf dann irgendwer wohl wirklich das letzte Lichtchen dieses Europas ausblasen wird.

Notwendig wäre das nicht. Man könnte über Eurobonds allen Ländern zu günstigen Finanzierungsformen verhelfen. Die Verträge ändern und der verschreckten Anleger- Herde eben notfalls via EZB buntes Papier bedrucken, über Erbschafts-, Vermögens- und andere Steuern denjenigen, die uneinbringliche Schuldtitel erworben haben, die Bezahlung der selbigen zumindest teilweise auch selbst zuzumuten, man könnte zum Zwangsanleihenkauf verpflichten.

Ja man könnte, aber nichts davon wird geschehen. Wie schon in den 1930ern werden wir den ganzen Weg abwärts gehen müssen, bis irgendwann der Druck zu groß wird und der Krug zerbricht. Es wäre schön, wenn dieses Europa Solidarität leben würde und Roosevelts Ausspruch „we have nothing to fear but fear itself“ aufgreifen würde, um es diesmal besser zu machen.

Aber ich sehe nicht den geringsten Anlass für Optimismus in dieser Frage. Und bevor Europa wieder zu einem Ort wird, dessen Völker sich bis aufs Blut hassen, sollten wir den Laden – wenn ihn schon keiner mehr retten will – besser heute als morgen dicht machen. Denn besser ein Schrecken mit Ende, als diesen Schrecken noch ein, zwei Jahre fortzusetzen.

Wenn keine Alternative mehrheitsfähig ist, außer zu warten, bis der Krug von selbst zerbricht, oder man vorher selbst abwirtschaftet, dann ist die zweitere Lösung immer noch die weniger traurige. Erstere Lösung hat Konsequenzen, die ein Filmtitel ausdrückt: „There will be blood.“

Daniel Steinlechner

15 Kommentare

  1. Murks

    7. August 2011

    ich dreh das licht ab
    Einer muss es ja machen und jetzt ist wirklich bald Sperrstunde.

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  2. Optimistin

    7. August 2011

    Europa wird es schaffen.
    Es war bisher immer so, im letzten Moment kratzen sie die Kurve. Nur Mut!

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  3. Sandra

    7. August 2011

    bei dem Wetter ist
    Pessimismus ja verst

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  4. Mjgdfh

    7. August 2011

    Gefällt mir nicht
    Aber eine gewisse wahrhaftigkeit ist dem schreckensszenario schon nicht abzusprechen.

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  5. x

    7. August 2011

    also wirklich…
    die einen predigen zwecklügen, die anderen die apokalypse. wo ist da nun der unterschied?

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  6. Zahra L.

    7. August 2011

    Steile Thesen
    Aber der Pessimismus ist angebracht. Europa geht wirklich gerade vor die Hunde. Die griechenland episode ist mir neu.Interessant ist ja das wie in der Wiederholung von Geschichte.

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  7. x

    7. August 2011

    eh, aber
    mir kommt nur vor hier wird schon der dritte weltkrieg herbeigeschworen.

    falls der wirklich bald kommt dann beginnt der wohl kaum innereuropäisch, da gibts akutere krisenherde.

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  8. Optimistin

    7. August 2011

    So lange in Frabkreich nichts passierz
    Ist alles halb so schlimm. Frankreich drf hat krine Probeme brkommrn sonst wird es vielleicht wirklich noch übel.

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  9. Mischas Katze

    7. August 2011

    Wenn China keine Lust mehr hat
    Europa zu finanzieren, dann ist eh bald Schluss. Nur was machen wir dann? Vereinige staaten von Europa? Jeder f

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  10. Salime

    7. August 2011

    Dann sollen sie halt zusperren
    Mur wird der Verein nicht abgehen.

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  11. fuxxl

    7. August 2011

    Europa wird es schaffen !
    Ich träume von den vereinigten Staaten von Europa !!!

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  12. Alex

    7. August 2011

    Stadtmagazin übt sich in Analysen?
    Der Schuster sollte bei seinen Leisten bleiben – bevor er Unfug stiftet, bei Dingen von denen er keine Ahnung hat!

    Bleibt doch bei den Analysen der Sperrstunden und Ausgehmeilen, bevor ihr euch über die ganze Welt her macht…

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  13. hahn

    7. August 2011

    @alex
    kannst es besser?!

    Reply
  14. Mandala

    7. August 2011

    Wenn man sich die Panik vor Börseneröffnung
    ansieht ist an der Analyse wohl was dran. Aber ich bleibe Optimist. Das wird schon irgendwie – hoffe ich einmal.

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  15. MO

    8. August 2011

    danke!
    unverhoffte klarheit an ungewöhnlichem platz. danke für die klaren worte!

    es ist schon längst zeit den stecker zu ziehen, aber wie in der medizin krallt man sich am letzten zipfel hoffnung fest! #träumer

    gute nacht europa & vergesst euch nicht warm anzuziehen!

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