18. Juni 2019

Edith Tudor-Hart

Favoritenstraße 57 - Eingang (c) STADTBEKANNT

Große Wienerinnen

Ihr Vater und ihr Onkel waren die Besitzer der ersten sozialistischen Buchhandlung Wiens in der Favoritenstraße und gaben in ihrem Verlag „Anzengruber Verlag Brüder Suschitzky“ unter anderem Romane von Hugo Bettauer und kritische Schriften von Rosa Mayreder heraus. In dieser Buchhandlung lernte die am 28. August 1908 in Wien geborene Edith Suschitzky später ihre Jugendliebe, den Kommunisten Arnold Deutsch, kennen, der ihr den Prototyp einer Rolleiflex-Kamera schenkte.

Zunächst wollte Edith Suschitzky Kindergärtnerin werden und machte in London eine Ausbildung zur Montessori-Pädagogin. Nachdem sie einige Jahre in diesem Beruf tätig gewesen war, nahm sie im Jahr 1929 das Studium der Fotografie am Bauhaus in Dessau auf.

Auf ihren Fotografien sind Veteranen des Ersten Weltkriegs, Arbeitslose, Bettelnde, kurz – das Subproletariat, aber auch der Maiaufmarsch in Wien und die Badenden in der Lobau zu sehen. In England, wohin sie 1933 (Dollfuß war in Österreich an die Macht gekommen) mit ihrem Ehemann, dem englischen Arzt Alexander Tudor-Hart, übersiedelt war, arbeitete sie als Fotoreporterin für verschiedene Zeitungen, fotografierte Bergarbeiter und Elendsviertel.

Auch das „Fotoportrait mit Pfeife“ stammt von Edith Tudor-Hart. Es zeigt den jungen Harold Adrian Russell „Kim“ Philby – einer der sogenannten „Cambridge Five“, des erfolgreichen Spionagerings des KGB (Komitee für Staatssicherheit) im britischen Geheimdienst. Dabei war Tudor-Hart maßgeblich an der Rekrutierung dieser fünf am Trinity College der Universität Cambridge studierenden Männer beteiligt, die der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs und darüber hinaus wichtige Informationen lieferten. In einer Aussage eines dieser Spione wird die Rolle von Tudor-Hart so beschrieben: „Sie war die Großmutter von uns allen.“ Ihr Doppelleben stürzte sie in viele Krisen; sie wurde von der britischen Spionageabwehr streng überwacht und dann mit einem Berufsverbot versehen. Zusätzlich litt ihr Sohn Thomas zeitlebens an einer psychischen Krankheit, die Ehe mit Alexander Tudor-Hart ging in die Brüche und Edith Tudor-Hart erkrankte an Krebs. Am 12. Mai 1973 starb die Kommunistin, Agentin, Fotografin, Pädagogin, Mutter und „Großmutter“.

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