24. März 2015

Die Bibel des Rucksacktourismus …

Stephansdom Wienblick (c) STADTBEKANNT

… und ständiger Begleiter der meisten Traveller ist der „Lonely Planet“.

Mag er früher tatsächlich eine Hilfe für Individualreisende gewesen sein, so ist er über die Jahre nicht nur zu einem Teil der Tourismusindustrie geworden, sondern hat das Konzept „Rucksacktourismus“ popularisiert.

Oft gleichgesetzt mit „sanftem Tourismus“, also sozial- und umweltbewussten Formen des Reisens, ist Backpacking oftmals aber ebenso „zerstörerisch“, wie jede andere Form des Massentourismus.

Woher kommt „die Bibel“?

Basierend auf einem Irrtum beim Hören des Songs „Space Captain“ von Joe Coker und Leon Russell im Film „Mad Dogs & Englishmen“ wurde übrigens der Name „Lonely Planet“ ins Leben gerufen. Im Song heißt es nämlich „once while travelling across the sky this lovely planet caught my eye“, Lonely Planet Gründer Tony Wheeler verstand allerdings “lonely planet”…

Die erste Ausgabe eines Lonely Planet entstand 1973 unter dem Titel „Across Asia on the Cheap“ und wurde von Tony Wheeler und Maureen Wheeler nach einer Überland Reise von England nach Australien verfasst. Nach einer zweiten Reise entstand „South-East Asia on a shoestring“, immer noch einer der am besten verkauften Reiseführer des Verlages. Eine rasante Entwicklung folgte …

Der Lonely Planet in Zahlen

Mittlerweile hat Lonely Planet Büros in Melbourne, London und Oakland und beschäftigt über 400 MitarbeiterInnen und 150 AutorInnen.

Ca. 650 verschiedene Titel, darunter nicht nur Reiseführer, sondern auch Sprachführer, Reiseliteratur und Bildbände von Lonely Planet sind momentan in verschiedenen Sprachen erhältlich.

Die Ausgaben „South-East Asia on a shoestring“ und jene zu Australien, Indien, Thailand, Neuseeland, China und Italien wurden über eine Million Male gedruckt. Im Jänner 2010 hat der Verlag mit der 15. Ausgabe des Australien Reiseführers den Druck des 100 Millionsten Buches gefeiert.

Lonely?

Backpacking verkörpert für viele das Reisen abseits der touristischen Trampelpfade, ohne fixe Reisepläne und auf der Suche nach „echten Erlebnissen“. Reisen mit einem Lonely Planet, so suggeriert das Konzept des Verlages, ist der Garant für individuelles Travelling abseits des Massentourismus und für Insiderinfos zu Land und Leuten. Doch inwiefern entspricht dies noch der Realität?

Rucksacktouristen, die den Anspruch stellen „billig“ und alternativ zu reisen, stehen finanziell in einem großen Kontrast zu den Einheimischen beliebter Traveller Destinationen in Südostasien, Indien oder Lateinamerika. Sie entsprechen nicht mehr dem Bild von Hippies, die sich in den 70er Jahren auf den so genannten hippie trail begaben. Ja, sie kommen immer noch auf der Suche nach Abenteuern, allerdings nur in kontrollierbarem Maße – zu gefährlich darf es schließlich auch nicht werden. Gleichzeitig sind die Rucksackreisenden heutzutage in der Regel ökonomisch relativ gut situiert und bereit ihr Geld auch auszugeben.

Erwartet wird dafür aber eine Backpacker-taugliche Infrastruktur, die an vielen Orten aufgebaut wurde – richtiggehende „Backpacker Ghettos“ sind so über die Jahre entstanden. Bestes Beispiel dafür ist wohl die Khao San Road in Bangkok, wie ein Disneyland für Rucksacktouristen mutet sie an. Keine Rede ist dort mehr von Authentizität, gefragt sind vielmehr Shoppingmöglichkeiten, Internetcafes, Bier und die typische Backpackernahrung – Pancakes zum Frühstück, Pad Thai am Abend. Die Miet- und Grundstückspreise in dieser Gegend Bangkoks sind astronomisch hoch, die dort ansässigen Betriebe naturgemäß in den Händen großer Investoren.

Der Mythos, dass die „kleinen Leute“ vom Rucksacktourismus doch eigentlich nur finanziell profitieren können, entspricht also nur begrenzt der Realität.

Welche Rolle spielt dabei Lonely Planet?

Eine „Bibel“ ist der Lonely Planet schon lange nicht mehr nur für Rucksacktouristen – auch beim klassischen Familienurlaub darf er im Handgepäck nicht mehr fehlen. Zur Folge haben die hohen Auflagezahlen, dass die angeblichen „Geheimtipps“ innerhalb kürzester Zeit ganz einfach keine mehr sind. Ganze Horden begeben sich an die Plätzchen, die der Reiseführer vorschlägt, von hier ist der Weg zum Pauschaltourismus dann nicht mehr weit.

Wie sehr der Lonely Planet beeinflusst, zeigen die Erlebnis vielreisender Menschen: fünf ähnliche Lokale, mit dem gleichen Speiseangebot, eines davon ist bis zum Brechen gefüllt, die anderen vier stehen, trotz meist günstigerer Preise, leer. Die Erfahrung sagt, eines der vier Etablissements (welches kann es wohl sein?) ist mit Sicherheit im Lonely Planet vertreten. Nicht nur bei einzelnen Bars, Restaurants oder Hotels, sondern auch bei ganzen Dörfern oder thailändischen Inseln ist dieses Phänomen zu beobachten.

Kein Wunder also, dass Einheimische, die ihr Geld im Tourismus machen wollen, um eine Erwähnung im Buch der Bücher kämpfen. Viele Reisende – die Autorin eingeschlossen – haben selbst oft genug miterlebt, wie BesitzerInnen kleiner Hostels, in der Hoffnung auf Aufmerksamkeit, immer wieder darum bitten, ihre Gäste mögen doch überschwängliche Empfehlungen direkt an Lonely Planet schicken.

Ist ein Eintrag tatsächlich geschafft, geht der (Geld-) Strom der Reisenden los, es wird investiert und gebaut was das Zeug hält und die, wegen ihres natürlichen Charmes angepriesenen Orte, verlieren ihren Reiz. Kommt es dann wiederum zu einer negativen oder – noch schlimmer – überhaupt keiner Erwähnung mehr, werden mit einem Mal Existenzen zerstört. Nicht nachgewiesen, aber angesichts des finanziellen Druckes irgendwie naheliegend ist, dass Formen der Korruption wohl nichts Ungewöhnliches sind.

2008 wurde Lonely Planet auch in ein Fälschungsskandal verwickelt. Ein ehemaliger Mitarbeiter behauptete, Beiträge für einen Reiseführer verfasst zu haben ohne jemals vor Ort gewesen zu sein. Diese Vorwürfe wurden später jedoch (von Lonely Planet) wieder entkräftigt …

Was tun mit diesen Informationen?

Eine gewisse Orientierung anhand von Reiseführern soll niemandem abgesprochen werden. Aber: auch Backpacker sind Touristen – mit Vor- und Nachteilen für das Zielland – selbst wenn sie sich selbst so nicht sehen wollen.

Anregen möchte ich vor allem zu einem Blick auf die Seite. Kein Reiseführer (Lonely Planet oder nicht) hat die Weisheit gepachtet und mit dem Wissen im Hinterkopf, welche Industrie hinter den „Geheimtipps“ steht, kann doch auch einmal ein Blick in das Restaurant daneben riskiert werden …

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