9. Mai 2013

Der Tschusch

Was ist ein Tschusch?

Es ist schwierig geworden, sich dem Migrationsthema in Wien ruhig, respektvoll und ohne folgenden Kelch (Streit) zu widmen. Wien war immer und ist Migrationsstadt, das hat mit der Geschichte (Donaumonarchie) zu tun, mit der Lage (lange Zeit am Rand des „Westen“ zum Ostblock und zum Balkan), aber auch mit geförderten und forcierten Gastarbeiterwellen. Slawische, türkische, norddeutsche und italienische Namen und Einflüsse (wie beispielsweise auf die Wiener Küche) belegen das. Im Wien des 19. Jahrhunderts gab es den Witz: „Ein Wiener ist ein Raunzer. Zwei Wiener sind zusammen eine Heurigenpartie. Drei Wiener? Gibt es nicht, einer kommt sicher aus Brünn.“

Elementar im Umgang des Wieners mit „dem Ausländer“ ist die Tatsache, dass der eine es nicht so genau mit der Definition nimmt: hier geboren, in erster oder zweiter oder dritter Generation hier, ein fremder Name, dunkle Haare – wenn es gerade passt, kann man fast jeden zum „Tschuschen“ machen. Diese herabwürdigende Bezeichnung ist fest im Sprachgebrauch verankert, woher sie kommt, ist nicht eindeutig geklärt. Entweder vom kroatischen oder serbischen ?uješ (hörst du), das die slawischen Bauarbeiter angeblich oft gerufen haben. Oder vom slowenischen Schimpfwort ?úš – abgeleitet vom türkischen Wort für Unteroffizier çavu? – für Beamte der Besatzungsmacht. Das russische tschuschoi bedeutet „fremd“.
Spätestens mit einer Plakatkampagne gegen Fremdenfeindlichkeit in den frühen 1970er-Jahren wurde der „Tschusch“ legendär: Ein Bub in Lederhosen fragt auf einem der Plakate einen südländisch wirkenden Menschen: „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogns’ zu dir Tschusch?“ (Ich heiße Kolaric, du heißt Kolaric. Warum nennt man dich Tschusch?)

Bedauerlicherweise wurde die latente Wiener Ausländerfeindlichkeit besonders von der Freiheitlichen Partei seit den 1980ern systematisch so sehr angeheizt, dass es zur Verschärfung der öffentlichen Meinung und zur Verstammtischrülpserung kam. Daneben gibt es allerdings auch das Multikulti-Wohlgefallen vieler Wiener.

Wie gesagt, die Diskussion ist schwierig und wird selten auf humanistischer Ebene geführt. Daher einige Fakten: 2010 lag der Anteil von Migranten in Wien bei 32,8 Prozent. Dazu zählen statistisch alle Menschen, die in Wien ihren Hauptwohnsitz, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft haben oder nicht in Wien geboren wurden. Viele dieser Menschen leben schon lange hier, werden teils nicht mehr als „Ausländer“ wahrgenommen, fallen aber statistisch in diese Gruppe. Der 15. Bezirk hatte 2010 mit 47 Prozent den höchsten Migrantenanteil, dahinter folgten der 20. mit 42,3 Prozent, der 5. mit 41,9 und der 2. mit 41,2 Prozent. Den niedrigsten Anteil hatte der 23. Bezirk mit 20,6, der 13. mit 21,3, der 22. mit 22,9 und der 21. mit 24 Prozent.

In absoluten Zahlen (Stand 1. Jänner 2012) leben in Wien 1,73 Millionen Menschen, davon haben 590.845 Migrationshintergrund. Rund ein Drittel davon kommt aus EU-Staaten (202.652), davon wiederum ein Viertel (48.393) aus Deutschland. Weitere 273.294 Menschen kommen aus europäischen Nicht-EU-Ländern, vor allem aus Serbien und Montenegro (108.799) und der Türkei (75.213). Nur knapp 18 Prozent kommen aus Afrika (23.029), Asien (66.393, davon mit 9383 die meisten aus China), Amerika (13.410, 5173 aus den USA) und Ozeanien (1024). Rund 11.000 sind staatenlos, Konventionsflüchtlinge oder haben eine ungeklärte Herkunft.


„Darf’s a bisserl mehr sein?“

Weitere Fragen zu Wien und deren interessante Antworten findest du in Wann verlor das Riesenrad seine Waggons? von Axel N. Halbhuber erschienen im Metroverlag.

1 Kommentar

  1. Suppa Bin I

    15. April 2014

    Na Jo… Est Stimmt scho wos doa g’schrieben iss.
    Oba. Ans muss I do soagen. I bi ka tschusch und komm mia guat voa… hehehehehe

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