12. Dezember 2017

„De Bagage kummt ma nimma ins Haus!”

Anti Weihnachten (c) STADTBEKANNT HofingerAnti Weihnachten (c) STADTBEKANNT Hofinger

Wiener Weihnachten mit der (un)geliebten Familie

Weihnachten ist eine Zeit, in der der Mensch – ob er es nun schätzt oder nicht – ganz und gar der Familie ausgeliefert ist. Ist es nicht wunderschön, wenn sich einmal alle wiedersehen? Ist es nicht herrlich, wenn alle an einem Tisch zusammenkommen?

Die Geschenke liegen unterm Baum, der Karpfen im Backrohr, der Wein steht am Tisch – da läutet es an der Tür. Das müssen sie sein! Die Mama, eh schon gestresst vom noch unfertigen Fisch und dem Arrangieren der Tischdeko, hetzt zur Tür und macht auf. Herein kommen die Omama, der Onkel mit der neuen Freundin, den zwei Töchtern und dem Butzerl am Arm. Dazu noch die Tante, die auch dieses Jahr den Fisch nicht anrühren und stattdessen alle Nicht-Vegetarier mit strengem Blick und tadelnden Worten traktieren wird. Die Freude ist groß: Bussi-Bussi, lange nicht mehr gesehen, wie geht’s euch denn? Habt ihr auch einen ordentlichen Hunger mitgebracht?

 

Noch hält der brüchige Friede …

Die verwandtschaftlichen Gäste sitzen und unterhalten sich gerade einmal fünf Minuten, da beschwert sich der Onkel schon über den Wein. „Der is jo bachalwoam, a Veltliner g’hert koid!”, muss sich die Mama vom Bruder des Gatten belehren lassen. Der Papa murmelt „Hob I da eh g’sogt, Schatzi”, die Mama schaut bös, trägt den Wein zurück und holt einen neuen aus dem Eiskasten. Beim Weg retour ertappt sie die Schwiegermama aka Oma, die gerade mit dem Zeigefinger übers Regal gewischt hat und nun argwöhnisch den darauf klebenden Staub begutachtet. Ihr Kommentar, halb mitleidig, halb vorwurfsvoll: „Kommst net zum Putzen, göö? Soo vü zum orweitn… Oiso i nahmat ma a Putzfrau!” Es ist die insgesamt 12. Wortmeldung der rührenden alten Dame zu dem Thema, und der Mama reicht’s. Mühevoll ringt sie sich ein Lächeln ab (es ist ja schließlich Weihnachten) und lenkt die Oma zum Tisch zurück: Gleich werde der Karpfen serviert.

 

Eskalation bei Tisch

Der Fisch steht kaum auf dem Tisch, da ruft eine der kleinen Nichten: „Wäääääh, das ess ich aber nicht!” Der Onkel bietet ihr stattdessen Erdäpfelsalat an. Die Kleine streikt. „Ich will Pommes!”, fordert sie, ein Schnoferl ziehend. „Gibt’s jetzt grad nicht!”, erwidert der Onkel, sichtlich genervt. Die Kleine fängt an zu plärren. „Vazogn hobt’s es, des Dirndl.”, kommentiert die Oma trocken, „Früher hätt’s des net gebm!” Die Tante mischt sich ein: „Lasst doch die Susi in Ruh, warum muss sie das tote Tier essen, wenn sie nicht mag?”

In dem Moment zupft das Butzerl fadisiert am Tischtuch. Ein Weinglas kippt und fällt, der Inhalt – nun gut gekühlt – ergießt sich über den Schoß vom Papa.

In dem Moment zupft das Butzerl fadisiert am Tischtuch. Ein Weinglas kippt und fällt, der Inhalt – nun gut gekühlt – ergießt sich über den Schoß vom Papa.

 

Oh, du Fröhliche, oh du Sch!%&§/&/%!!!

Genauso wie das Weinglas kippt nun auch die Stimmung: Rasch wird aus dem idyllischen Weihnachtsfrieden eine offene Schlacht. Noch bevor die Geschenke ausgepackt sind, hat der Papa zwei wütende Brüller auslassen, die Tante das „Tiermörder”-Argument gebracht, die Mama dreimal mit den Augen gerollt und die Oma die Nichten „Fratzn” und die Freundin vom Onkel „Flitscherl” genannt. Beim Geschenkeauspacken muss sich die Mama sehr zusammenreißen, um nicht der Schwiegermutter eine zu schmieren: Sie hat ein Set mit Swiffer-Putzutensilien bekommen.

Erst beim Verabschieden zwingt man sich wieder zu lächelnder Scheißfreundlichkeit – immerhin ist man die Familie erst einmal los. Zumindest bis Ostern. Die Mama seufzt erleichtert, als die Tür sich schließt. „I sog da’s!”, raunzt sie dem Papa zu, “De Bagage kummt ma nimma ins Haus!” Ein Satz, der bezeugt, dass betreffende Person nicht erfreut ist von der Vorstellung, die lästige, lärmende und hemmungslos streitende Großfamilie noch einmal in ihrer Gesamtheit bei sich zu Hause bewirten zu müssen.

Aber woher kommt die Bagage?

 

Bagage – ein Wort mit Historie

Der Wiener bezeichnet seine eigene anstrengende Familie bzw. Verwandte, mit denen er sich schlecht versteht, gerne als Bagage. Ursprünglich nannte man so Gepäck (frz . bagage = „Gepäck”) und Personen, die als Tross einem großen Heer nachfolgten. Da in diesem Gefolge aber stets auch Diebe, Dirnen und zwielichtige Gestalten mitmarschierten, hieß Bagage bald dasselbe wie Gsindl („Gesindel”).

Ebenfalls, wenn auch seltener, wird für die Familie das Wort Packlrass (von Packl = „Bündel”, packln bzw. si auf a Packl haun = als Gruppe kriminelle Ziele verfolgen, paktieren) verwendet. Es ist bedeutungsverwandt mit Lumpenpack, Gsindl und Bagage, impliziert jedoch Blutsverwandtschaft. Ein gutes musikalisches Beispiel für die Verwendung dieses Wortes findet sich Kurt Sowinetz’ Version von Beethovens „Ode an die Freude”, auch als Europahymne bekannt:

„Olle Menschn san ma zwider,
I mecht’s in de Goschn haun.
Mir san olle Menschn zwider,
in de Goschn mecht i’s haun.
Voda, Muada, Schwesta, Bruada,
und de ganze Packlrass.
Olle Menschn san ma zwider,
wann i Leit siach, geh i haß.”

(Kurt Sowinetz: „Alle Menschen san ma zwider”, 1972)

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