20. Januar 2011

Das Wort zum Tatort vom 9.1.2011 – “Unter Druck”

Der aufstrebende Junior-Geschäftsführer des Kölner Abendblatts, Lars Fraude, holt sich ein Team von Unternehmensberatern ins Haus, um bestens für die Zusammenlegung mit dem englischen Newmedia-Konzern vorbereitet zu sein. „Fit for Fusion“ heißt im Neusprech allerdings Stellenabbau – und das sorgt im Betrieb für viel Unmut. Als Carsten Moll, einer der unbeliebten Berater tot aufgefunden wird, fangen Ballauf und Schenk an, im Verlag zu ermitteln: wer geht für seinen Job über Leichen – oder ist der Täter ganz woanders zu suchen?

„Kontrollfotzen raus!“

Denn zusätzlich zu den zweihundert wegzurationalisierenden „Betriebsmittel“ (sprich Mitarbeitern), die alle ein Motiv gehabt hätten, scharen sich auch noch im privaten Umfeld des Ermordeten die Verdächtigen: denn Moll konnte Berufliches und Privates offenbar nicht auseinander halten. Die gedemütigte Affäre aus der Anzeigensektion, deren eifersüchtiger Exfreund Ulf oder gar die toughe Teamleiterin Rita Landmann, die ebenfalls einmal mit dem Consulting-Gigolo zusammen war, kommen alle in Frage. Und daran krankte dieser Tatort auch ein Wenig: zu viele Personen, zu viele Verdächtige und zu viele Handlungsstränge haben es schwer gemacht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zu viel wurde in die anderthalb Stunden gequetscht, die Nebenschauplätze hätten Stoff für eine ganze Soap-Opera gegeben: der Selbstmord des Druckereichefs, der sich versehentlich auf der schwarzen Liste wiedergefunden hat, war ein eher drastisches Ablenkungsmanöver und auch der dramatische Auftritt des eifersüchtigen Ulf fiel in diese Kategorie.

There’s no Business like Busyness.

Trotzdem oder gerade deshalb bleibt der Tatort größtenteils spannend und interessant: so gut wie alle Charaktere bleiben glaubwürdig, auch wenn sie Tatort-typisch öfters in die Klischeeschiene rutschen: Frau Landmanns Yuppie-Morgenritual: „6h aufstehen – Yoga mit Personal Trainer – Bad – Arbeit“ oder des Personalchefs Opportunistensprüche dürften aber gar nicht so weit von der Realität entfernt liegen. Wie hoch der Leistungsdruck in der neuen Wirtschaftswelt sowohl in der Chefetage wie auch bei den Angestellten wirklich ist, wurde trotz der Überzeichnungen durchaus realistisch geschildert und spätestens dann endgültig klar, als der Mörder überführt wurde.

Die ich rief, die Geister…

Denn ganz in Zauberlehrling-Manier stand der junge Geschäftsführer selbst ganz oben auf der Abschlussliste seiner eigenen Berater – und das obwohl er sich Jahre lang die Nächte im Verlag um die Ohren schlug. Fast verständlich, dass man da rot sieht, den Verantwortlichen Berater verschwinden lässt und am Ende des Tatorts beinahe Amok läuft. Insofern war dieser Tatort also ein spannendes Plädoyer gegen den Effizienz-Terror und für eine bessere Work-Life-Balance.

Im Topkino gibts übrigens jeden Sonntag ein Tatort Public Viewing – bei freiem Eintritt und mit dem Highlight Snipcard Täterraten, bei dem es auch noch Freigetränke zu gewinnen gibt. Snipcards findest du an diesen Standorten.

Raphael Maria Dillhof

„Es scheint so, dass in unserer Kultur das Leben dasjenige ist, was nicht definiert werden kann, aber gerade deswegen unablässig gegliedert und geteilt werden muss." (Agamben)

2 Kommentare

  1. Charles

    10. Januar 2011

    Toller Tatort
    M.E. eindeutig der beste in den letzten Wochen. Die Verdichtung der Handlung, die eigentlich in einem rießigen Unternehmen spielt, auf wenige Akteure, gelingt gut. Es gibt kleine Unstimmigkeiten, wie euer Autor eh schreibt, das Gesammtprodukt war aber spannend und die Anreicherung mit dem gesellschaftlichen Problem hat diesmal auch toll funktioniert. So kann es weiter gehen!

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  2. rmd

    10. Januar 2011

    @charles
    stimmt – "gesellschaftskritik" beim tatort geht ja meisten gaanz böse ins auge!

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