15. August 2014

Buchtipp: Der Circle

Ein Plädoyer für den Individualismus

„Wahnsinn, dachte Mae. Ich bin im Himmel.“

In nicht allzu ferner Zukunft hat der Konzernkoloss „Der Circle“ Dienste wie Facebook, Twitter, die Firmen Apple und Google etc. geschluckt und ist zum alleinigen Marktführer geworden. Dank einer zentralen virtuellen Identität kann alles über einen Account abgewickelt werden.

Die junge Mae Holland steht staunend in der vollverglasten Firmenzentrale im Silicon Valley und wähnt sich am Ziel ihrer Träume: ein Job im Unternehmen. Jeden Abend finden ausufernde Partys statt, für die Mitarbeiter stehen Schlafkabinen bereit, jeder weiß alles über jeden, geben bereitwillig alles von sich preis. Nach ihrem verheißungsvollen Start beim Circle steigt Mae in geradezu beängstigender Geschwindigkeit in der Hierarchie nach oben. Als eine der ersten wird sie komplett „transparent“ durch eine kleine Kamera namens SeeChange, die sie immer bei sich trägt; in immer schneller werdendem Stakkato-Rhythmus sendet sie ihre Gedanken und Erfahrungen in die total vernetzte Welt.

Schon bald werden Politiker und Bürger unter Druck gesetzt: Warum nicht gläsern werden? Jeder Verweigerer, egal ob Freund, Verwandter oder Feind, steht unter dem Generalverdacht, etwas zu verbergen zu haben. Nach und nach formiert sich in der Welt vor den Toren des Circles Widerstand, doch bald gibt es kein Entrinnen mehr. Auch der geheimnisvolle Kalden, dessen Warnungen Mae immer wieder in den Wind schlägt, scheint machtlos …

Kritik

Klingt alles verdächtig bekannt? Soll es auch. Dave Eggers, Darling der Literaturszene und – ich gebe es zu – einer der erklärten Lieblingsautoren dieser Kontoristin, nimmt ungeniert Bezug auf „1984“ von George Orwell und „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley.
Und Dave Eggers meint es todernst. Sein flüssiger, eingängiger Stil kann nicht lange darüber hinweg täuschen: Was da vor unser aller Augen passiert, ist gruselig. Die naive Mae, die dem Leser als Identifikationsfigur angeboten wird, entwickelt sich beängstigend rasch zur perfekten Mitläuferin und radikalen Verfechterin der Grundsätze des Circles: „secrets are lies“, „sharing is caring“ und „privacy is theft“. Wohin das führt, dürfte klar sein.

„Der Circle“ ist das Buch der Stunde: ein leidenschaftliches, wütendes Plädoyer für den Individualismus, ein unverblümter Aufruf, sich der Gleichmacherei und bereitwilligen Offenlegung alles Privaten entgegenzustemmen. Am Ende steht Mae – und damit auch wir – vor der alles entscheidenden Frage: Soll und darf sich der Kreis schließen? Hoffen wir, dass unsere Antwort die richtige sein wird.

 

Der Circle
Dave Eggers
Kiepenheuer & Witsch, 23,70 €

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