27. Juli 2013

Buchtipp: Begrabt mich hinter der Fußleiste von Pawel Sanajew

Eine Großmutter als durchzogen vom Bösen und ein kleiner Junge, den angeblich Bakterien zerfressen.

Wie bösartig kann eine Person sein? Wieviel psychische Gewalt kann die Bezugsperson eines Kindes ausüben? Pawel Sanajew erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen, der einer Großmutter ausgesetzt ist, die ihn fortwährend terrorisiert und sich trotzdem rechtfertigt es nur gut zu meinen. Sascha Saweljew, ein Zweitklässler, lebt mit seinen Großeltern in Russland in einer Zweizimmerwohnung und ist konstant dem Druck und der psychischen Gewalt seiner Großmutter ausgesetzt. Er lebt bei seinen Großeltern, weil ihn seine Mutter gegen eine Liebschaft ausgetauscht hat – so zumindest das Narrativ seiner Großmutter.

Nichtsnutz, Halunke, Kretin, Kanaille, Miststück – all das muss sich Sascha jeden Tag anhören. Die Großmutter misshandelt ihren Enkel verbal Tag für Tag, Stunde um Stunde, macht aber ihrer eigenen Angabe nach nur mehr die Augen auf um ihm seine homöopathische Medizin zu verabreichen – gegen den Staphylococcus aureus, der Sascha lebensbedrohlich werden konnte. Will Sascha spielen und kommt verschwitzt nach Hause, hagelt es Beschimpfungen – darf Sascha wieder einmal nicht in die Schule, unterrichtet die Großmutter Sascha und bei jedem Fehler bekommt er eine Morddrohung an den Kopf geschmissen. Auch der Großvater ist von ihren Verbalattacken betroffen, ihr Schicksal ist seine Schuld.

Die Mutter Saschas kommt nur selten zu Besuch, ist sie allerdings da, ist Sascha selig. Endlich eine Person, die ihm zuhört und mit ihm scherzt, endlich Aufmerksamkeit für den emotional verkümmerten Jungen. Trotzdem ist es befremdlich, dass ein kleiner Junge seine eigene Mutter „Flittchen” nennt – er übernimmt die Weltsicht seiner Bezugsperson und damit die Sicht der Großmutter auf seine Mutter. Der/die LeserIn weiß, dass es nur eine Lösung gibt: Der Sohn muss mit seiner Mutter vereint werden.

Wie eindringlich das Buch auch ist, die Beschimpfungen der Großmutter sind für das lesende Auge zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig. Umso intensiver wird die Erfahrung des Lesens wenn man sich daran gewöhnt hat, man wird lesend Zeuge von ungeheurer psychischer Gewalt gegen ein Kind, das sich naturgemäß nicht wehren kann. Das Buch ist stark, denn das Buch ist drastisch.

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