28. Mai 2010

Bologna-Demo: Wenig zu Feiern, viel zu Protestieren

Klirrende Kälte erwartete die tausenden DemonstrantInnen gestern Donnerstag um 15 Uhr beim Treffpunkt zur angekündigten Demonstration gegen den Gipfel zum zehnjährigen Jubiläum des Bologna-Prozesses vor dem Wiener Westbahnhof. Doch wer den Widrigkeiten der europäischen Hochschulpolitik trotzt und tagtäglich mit den Schwierigkeiten an den Unis kämpft, der hat für einen eisigen Wintereinbruch scheinbar nur ein Lächeln übrig.
Kreative Protestformen wie eine Clown Brigade, ein bankengesteuerter Bildungsstreitwagen für Wirtschaftsinteressen, oder extreme Cheerleading und vieles mehr prägten das Bild der bunten Massen, die sich unter dem Motto “Bologna burns” zusammengefunden haben.
Ernst waren trotz der guten Stimmung die Forderungen: „Freie Bildung für alle, ohne Zugangsbeschränkungen, ohne Studiengebühren, ohne Diskriminierung.“ In flammenden Reden beschworen VertreterInnen aus ganz Europa die Einigkeit der Studierenden im Widerstand gegen die repressive und ihrer Meinung nach verfehlte Hochschulpolitik der Regierungen.
„Ganz Europa schaut heute auf Wien und wir zeigen, dass wir für unsere Bildung kämpfen“, verkündete ein italienischer Student der mit knapp 200 KollegInnen angereist war. Außerdem waren hunderte Studierende aus vielen anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Slowenien, Serbien oder der Türkei hier um ihren Unmut kund zu tun.
Diese setzten damit auch ein Zeichen gegen das durchschaubare Spiel so mancher PolitikerInnen, die Studierenden gegeneinander auszuspielen und sie wechselseitig als Ursache für die miserable Studienbedingungen der anderen zu beschuldigen.
Gegen 16.30 Uhr setzte sich ein gelöster und friedlicher Demozug dann über die Mariahilferstraße in Bewegung. Manche tanzten zur Musik aus den Lautsprechern der Demowägen, andere trugen munter ihre Transparente. Wilde, gewaltschnaubende Horden für die sich die Polizei in Panzeranzüge, mit Helmen, Schildern, Schlagstöcken und Pfefferspray armiert hat, sowie Polizisten in Zivil einschleusen musste, sehen anders aus. Beschlagene Helmvisiere scheinen auch bei der Schätzung der DemonstrantInnen im Wege gewesen zu sein, war ihre Zahl doch weit näher bei den von den VeranstalterInnen gesehenen 10.000 als bei den 3.200 TeilnehmerInnen der Polizei.
Vielleicht aber überschlug man auch vom über der Kundgebung und den Wolken kreisenden Hubschrauber aus…
Für besondere Heiterkeit sorgten auf dem Weg zwei AktivistInnen die das Dach der Mariahilfer Pfarrkirche enterten und dort fahnenschwingend ausharrten.
Durchwegs positiv reagierten auch die meisten PassantInnen und AnwohnerInnen. Ob sie aus den Häusern winkten oder sich in beiläufigen Gesprächen über die Anliegen der Studierenden informierten – Unverständnis sieht anders aus.
Unter immer weiterem Zustrom zog die Demo dann zur Hauptuniversität, über den Ring vorbei am Parlament, mit einem kurzen Abstecher über die Parlamentsrampe bis zur Abschlusskundgebung am Maria-Theresien-Platz, wo sie sich gegen 19.30 offiziell auflöste.
Um auch die feiernden WissenschaftsministerInnen der Bologna-Mitgliedsstaaten, die gerade aus Budapest ankamen, vom Protest in Kenntnis zu setzen blockierten anschließend mehrere Gruppen von einigen hundert Studierenden die Zufahrtswege zur Hofburg. Dort wollten die PolitikerInnen auf ihre Erfolgsgeschichte der Bologna-Reformen anstoßen. Um auch sicher niemanden sehen zu müssen, der ihre Realitätswahrnehmung nicht teilt hatte die Polizei den Bereich um die Hofburg bereits seit dem frühen Nachmittag abgesperrt.
Beim Sperren wollten die Protestierenden dann auch gerne helfen, die 47 MinisterInnen sollten daran gehindert werden zur Feier in die Hofburg zu gelangen: “Sollen doch auch einmal die Minister merken, was es bedeutet, Zugangsbeschränkungen zu haben!”
Zumindest eine Stunde musste Wissenschaftsministerin Karl warten, bis sie ihre EhrengästInnen begrüßen konnte. Von den Protestierenden überrascht begann die Polizei am späteren Abend gegen diese vorzugehen, was in massiven Identitätskontrollen und fünf Festnahmen endete. Gegen Mitternacht lösten sich die letzten Proteste auf.
Heute Freitag begann der Alternativgipfel zum Bolognaprozess statt. Zwei Tage lang setzen sich Interessierte und ExpertInnen aus verschiedenen Ländern in Workshops, Podiumsdiskussionen und Diskussionsrunden mit dem bestehenden Hochschulsystem seinen Problemen und Mängeln auseinander, versuchen aber auch möglichen Perspektiven und Ziele zur formulieren. Das bestehende System abgefeiert haben ja bereits andere.

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt