1. Oktober 2018

Bock auf Kultur

Ute Bock Haus (c) Flüchtlingsverein Ute Bock

Aufstehen für Menschen auf der Flucht

Seit unglaublichen 16 Jahren unterstützt das Benefiz-Festival Bock auf Kultur das von Ute Bock (1942-2018) ins Leben gerufene Flüchtlingsprojekt.

Das Prinzip ist denkbar einfach: sämtliche Einnahmen aus den bunt zusammengewürfelten Veranstaltungen kommen bedürftigen Menschen mit Fluchtgeschichte zugute. So kann jedermann und jedefrau quasi ganz nebenbei bei einem Clubbing- oder Konzertbesuch Gutes tun!

 

Jeder Mensch verdient ein normales Leben

Das Flüchtlingsprojekt Ute Bock holt obdachlose Flüchtlinge von der Straße, hilft Familien und Einzelpersonen beim Finden einer passenden Bleibe, versorgt sie mit Essen und Kleidung und berät monatlich in über 1.000 Fällen. Auch der Bereich Bildung und Integration wird groß geschrieben: 504 Flüchtlinge werden derzeit mit einem Gratis-Deutschkurs unterstützt. Für Schulkinder gibt es sogar eine eigene Lerngruppe, in der Hausaufgaben erledigt und Mathe, Englisch und Deutsch gebüffelt werden.

Ute Bock Haus (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock
Ute Bock Haus (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock

Das Interview

STADTBEKANNT hat sich mit Verena Doublier, Kuratorin von Bock auf Kultur, und Ariane Ariane Baron, Pressesprecherin des Vereins Ute Bock, getroffen und mit ihnen über Bock auf Kultur geplaudert.

STADTBEKANNT
Wie würdet ihr das Projekt Bock auf Kultur in einigen Worten beschreiben?

Verena
Seit 16 Jahren veranstalten wir in ganz Wien und an verschiedenen Locations Kultur-Events, um auf den Verein Ute Bock aufmerksam zu machen und Geld zu lukrieren. Wir hatten das große Glück, dass sich immer – auch dieses Jahr – viele bekannte Künstler und Künstlerinnen solidarisiert haben. Es ist unter anderem dem Ruhm von Frau Bock zu verdanken, dass das Festival so schnell einen Platz gefunden hat in der Kulturlandschaft Wiens. Heute arbeiten wir im Sinne von Frau Bock weiter.

Ariane
In Wien sind wir – abgesehen von Asyl in Not – der einzige Verein, der Kulturprojekte in dieser Größe veranstaltet, um auf sich aufmerksam zu machen.

STADTBEKANNT
Wie viele Events gibt es pro Jahr ungefähr?

Verena
Es ist unterschiedlich. 2015 war der Peak, mit ca. 25 Veranstaltungen, das war ein ganz starkes Jahr der Solidarität. Sonst sind es schätzungsweise zwischen 12 und 25. Ich bin seit 2 Jahren Hauptkuratorin, habe davor schon mitkuratiert. Für mich war der Zugang von meinem Vorgänger ganz cool, verschiedenste Sachen einzubauen – also Clubbings, Konzerte, Kabarett. Das Ziel ist es, dass das Lineup des Festivals die kulturelle Vielfalt widerspiegelt, die wir uns eigentlich wünschen.

Verena Doublier (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock
Verena Doublier (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock

STADTBEKANNT
Ihr habt ja schon relativ viele namhafte Künstler im Lineup gehabt – wer war in den letzten Jahren so dabei?

Verena
Josef Hader ist immer wieder dabei, letztes Jahr auch Robert Palfrader und Florian Scheuba. Bei Konzerten zu erwähnen sind Harri Stojka oder Gustav … und letztes Jahr die Wiener Symphoniker mit klassischer Kammermusik, das war mal was ganz Neues. Ebenfalls letztes Jahr aufgetreten sind Erwin & Edwin mit ihrem Konzert im WUK, im Jahr davor Johann Sebastian Bass, dunkelbunt, Krautschädl, folkshilfe … auch Größen aus der Clubszene waren schon dabei, wie ogris debris oder Gudrun von Laxenburg.

STADTBEKANNT
Und dieses Jahr? Auf welche Highlights können wir uns 2018 freuen?

Verena
Ich kann nur sagen, was meine Highlights sind! Besonders freue ich mich auf die Bock auf Prosa Lesungen in der Alten Schmiede – da sind einige namhafte Leute dabei, z.B. Julya Rabinowich, Robert Prosser… Ich freue mich auch sehr, dass ALMA dieses Mal dabei ist, die machen moderne Volksmusik auf richtig hohem Niveau. Auch eine Bock auf Kabarett Gala im Theater Akzent wird es wieder geben, mit Hosea Ratschiller, Weinzettl & Rudle, Dieter Chmelar … Toll wird sicher auch der Clubbing-Abend im Werk mit Elektronik und zwei Live-Bands. Und natürlich gibt’s auch das Abschlussfest mit dichtem Programm!

STADTBEKANNT
Was passiert eigentlich mit dem eingenommenen Geld?

Ariane
Unsere Hauptanliegen sind Obdachberatung und Bildung, das hat auch Frau Bock schon geboten. Wir wollen, dass niemand auf der Straße landet. Beratung ist auch ein ganz wichtiger Bereich. Wir haben 6 Sozialberater, die pro Monat um die 1.000 Menschen beraten. Dann gibt es noch das Bildungszentrum, wo Basisbildung stattfindet, wo die Flüchtlinge Computerkurse machen können und Deutsch lernen. Alle unsere Services sind für die Flüchtlinge natürlich kostenlos.

STADTBEKANNT
Arbeiten bei euch eigentlich auch viele Ehrenamtliche mit?

Ariane
Oh ja. Wir haben ca. 50 ehrenamtliche Deutschlehrer und -lehrerinnen, darunter Leute, die einfach ein Praktikum brauchen für die Uni, oder Rentner, die gerne etwas beitragen wollen. Rechnet man alle zusammen, also auch die Helfer bei Veranstaltungen, Kleiderlager, Essensgabe, Wohnbetreuung, dann haben wir sicher um die 200 ehrenamtliche Mitarbeiter.

Sozialberatung (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock
Sozialberatung (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock

STADTBEKANNT
Worauf entfallen dem Verein die meisten Kosten?

Ariane
Unsere Hauptkostenfaktoren sind das Wohnen und das Bildungszentrum. Das Bildungszentrum ist uns aber extrem wichtig – weil es da ums Ankommen geht, um die schnelle Integration. Wenn der physische Hunger einmal gestillt ist, gibt es da nämlich noch den Bildungshunger, der noch zu stillen ist. Viele Flüchtlinge sind außerdem in der Situation, dass sie außer Lernen gar nichts machen dürfen.

STADTBEKANNT
Welche Geschichten haben eigentlich die Menschen, die ihr betreut?

Ariane
Früher waren es oft Tschetschenen und Afrikaner. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt, es sind jetzt häufiger Afghanen und Syrer, die kommen. Bei uns wohnen viele, die sonst nirgends eine Chance bekommen – sowohl Einzelpersonen und Familien. Wir haben das Vereinshaus in der Zohmanngasse, dort sind 100 Leute untergebracht, und in der Stadt verteilt um die 45 Wohnungen.

STADTBEKANNT
Wie hat sich eurer Erfahrung nach die Hilfsbereitschaft in Österreich entwickelt?

Ariane
2015 war ein großes Ausnahmejahr, das sehr viel Hoffnung geweckt hat. Es ist schade, dass dies nicht so lange angedauert hat. Mittlerweile hat es sich wieder eingependelt – aber wir spüren schon nach wie vor einen enormen Rückhalt in der Gesellschaft. Wir sind ständig auf Facebook, Instagram und Twitter unterwegs, und da fragen immer wieder Leute: “Wie können wir helfen, was können wir euch bringen?” Die letzte Aktion war zum Schulstart, und wir haben wirklich jedem Kind, das bei uns angemeldet war, neue Sachen zur Verfügung stellen können, was echt schön ist! Außerhalb unserer “Blase” merkt man aber leider, dass die Stimmung schlechter wird und dass die Worte immer aggressiver werden.

Ariane Baron (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock
Ariane Baron (c) Flüchtlingsprojekt Ute Bock

STADTBEKANNT
Wie kann man euch unterstützen?

Ariane
Mit Zeit, mit Sachspenden, oder mit Geldspenden. Alles ist sehr nützlich für uns!

Verena
Man kann auch zu einem Bock auf Kultur Event kommen und sich ein T-Shirt kaufen! Wir haben eine sehr schöne Collection…

Ariane
Die Message weitertragen ist auch ein großer Punkt. Da geht es um die Sache. Dass man keine Angst haben muss vor dem Fremden, dass mehr Begegnung stattfinden sollte – Begegnung ist es nämlich, die Ängste und Vorurteile abbaut.

STADTBEKANNT
Was würdet ihr Menschen erzählen, der Flüchtlingen skeptisch gegenüber steht, um ihn von der Sinnhaftigkeit eures Projektes zu überzeugen?

Verena
Wie gesagt, da geht es um Begegnung. Solange die Leute sich nicht konfrontieren wollen mit den Geschichten der Flüchtlinge, wird das nie Teil ihres Lebens. In dem Moment, in dem ein Mensch dir seine Geschichte anvertraut, merkst du aber: das ist ein Mensch wie ich, der hat Emotionen, eine Familie, und dem hat man ziemlich viel weggenommen, der nimmt mir nichts weg. Ich glaube, diese Begegnung ist es, die Möglichkeiten schafft. Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Ich glaube, dass man gemeinsam versuchen muss, eine neue Gesellschaft zu schaffen.

Ariane
Was klar ist: man muss sich mit dem Ist-Zustand einfach auseinandersetzen, man kann ihn nicht negieren. Das ist unser Österreich, so wie es ist – und daraus sollten wir das Beste machen.

STADTBEKANNT
Danke für das inspirierende Schlusswort und das interessante Gespräch!

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