28. Juni 2011

Berlin – Zwergenaufstand am Prenzlauer Berg

Egal, ob man spaziert, radelt oder sich mittels öffentlicher Verkehrsmittel durch den Stadtteil Prenzlauer Berg im Bezirk Pankow chauffieren lässt, jedenfalls stellt man schnell fest, dass hier gewisse Prioritäten gesetzt sind, die sich augenscheinlich vom Rest der Stadt unterscheiden. Was mittlerweile sogar über die Grenzen der Stadt hinaus verschrien ist, stellt sich nach einem selbst nur wenige Minuten dauernden Lokalaugenschein nicht nur als ansatzweise bestätigtes Gerücht, sondern vielmehr als omnipräsente Realität heraus:

Hier regiert der Nachwuchs

Eine Vorstellung davon, was die theoretische Diskussion über die Gentrifizierung am Prenzlauer Berg in den letzten Jahren und dessen Aufwertung von einem eher desolaten, als Wohnort nicht allzu anstrebenswerten Stadtteil zur Hochburg für junge, motivierte und, im Idealfall, mit vollster Motivation schwangere Akademiker-Pärchen bedeutet, haben die meisten Berliner.

Doch nur diejenigen, die sich in den Dschungel aus Bio-Supermärkten, Läden mit Spielzeug aus ausschließlich biologisch abbaubaren, fair gehandelten Materialien, Kindertagesstätten, Kindertheatern, Spielplätzen, rauchfreien Cafés mit Spielecke, Kindergalerien, Second Hand Shops mit ausschließlich Schwangeren- und Kindermode oder Frozen Joghurt-Shops gewagt haben, haben auch eine realistische Vorstellung dessen, was sich hier wirklich abspielt.

Hochburg Helmholzplatz

Vor allem um den Helmholzplatz im Herzen des Prenzlauer Bergs arbeitet man sich durch eine Armada an Kinderwägen, um sich innerhalb von zehn Minuten vielleicht doch um ein paar Meter voran bewegen zu können, wobei hier sämtliche, eigentlich universal geltenden Vorrangregeln mit tausenden Buggy-Rädern dem Erdboden gleich gemacht werden. Weicht man nicht schnell genug aus, so wird man als Konsequenz dafür mit einem mit grimmigem Blick konsequent ins Schienbein gerammten Vorderrad belohnt und erntet statt hilfsbereitem Mitleid eher applaudierende Blicke der ringsum versammelten Jungmamis und Jungpapis.

Aufgrund der Alltäglichkeit dieses Vorfalls wird demselben jedoch nicht allzu lange Beachtung geschenkt und schnell wird die übliche Tagesagenda wieder aufgenommen, nämlich die Diskussion darüber, ob man Klein-Amelie, Klein-Phoebe, Klein-Joshua oder dessen Bruder, den noch Windeln tragenden, Klein-Eliah lieber in die Kinder-Theatergruppe oder die Kinder-Rhetorikgruppe schicken sollte, beziehungsweise, ob es nicht doch die für die Zukunft des akademischen Nachwuchses klügere Variante sei, ebendiesen zum Indonesisch- oder Geigenunterricht zu schicken.

Kinderwägen plus Inhalt

Wahrscheinlich gibt es in jedem Stadtteil Berlins gleich viele Kinder, wahrscheinlich sind die Eltern, ihre eigenen Sprösslinge betreffend, in jedem Stadtteil Berlins ebenso motiviert wie am Prenzlauer Berg, und wahrscheinlich unterscheidet sich Klein-Damian in seinen Wesenszügen auch nicht sonderlich von Klein-Hasan. Nirgendwo sonst in der Stadt ist jedoch eine so gut ausgebaute Infrastruktur für „jung, kreativ, gebildet und kinderreich“ geschaffen worden wie am Prenzlauer Berg, und so hat neben Friedrichshain mit seinen hippen Studenten, Kreuzberg mit seinen gesetzlosen, auf jeden Fall arbeitslosen Chaoten und Neukölln mit seinen randalierenden Jugendbanden ein weiterer Stadtteil seine prägenden Bewohner gefunden: Kinderwägen plus Inhalt.

Eva Felnhofer

ist noch länger in Berlin.

2 Kommentare

  1. Felix

    26. Mai 2011

    Klingt ein bisserl wie
    Neubau oder?

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  2. Amelie

    26. Mai 2011

    Sind halt alles Einzelkinder
    die von ihren Eltern wie Königskinder behandelt werden. Aber immerhin gibt es da Kinder, es ist doch traurig genug, dass es die heute eh imemr weniger gibt.

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