16. Mai 2011

Berlin – Open Air Feeling

So viel wurde gejammert, so viel geraunzt, und immer wieder wurde die Frage danach gestellt, wann, ja wann es denn endlich wieder so weit ist, dass man seine wohlig warme Wohnung verlassen kann, ohne sich vorher den gesamten Inhalt des Kleiderkastens übergezogen zu haben. Wir haben es alle geschafft, die Knospen beginnen zu blühen und ja, es ist Frühling!

Während jedoch in Wien die Menschen zwar ihren Weg in die Parkanlagen finden, die Plätze vor, statt in den Cafés einnehmen, und man auch wieder darauf achten muss, nicht an jeder Ecke von einem Radfahrer nieder gemäht zu werden, so scheint es doch so, als würde die Freude über die wärmeren Temperaturen eher verhohlener praktiziert als in Berlin.

Hauptsache raus

Hier bevorzugt man es, das Leben zeitgleich mit den ersten Plusgraden fast ausschließlich im Freien stattfinden zu lassen und fast scheint es, als würde mit den ersten Sonnenstrahlen der menschliche Inhalt sämtlicher Häuser auf die Straße gespuckt. Egal, ob dann auf einem Schotterstreifen zwischen zwei Fahrbahnen genüsslich Boccia gespielt oder im Park gegrillt oder Karaoke gesungen wird, man hat im Freien zu sein. Vor jedem noch so kleinen Laden, vor jedem Späti, vor jedem Café und vor jeder Bar sind Tische und Bänke aufgebaut, kleine Boxen brüllen den Vorbeigehenden oder Vorbeifahrenden mehr oder weniger erträgliche Musik entgegen, und zur Pflichtausstattung jedes besseren Clubs gehört wenn schon kein idyllischer Garten, so doch zumindest ein ranziger Innenhof.

Was es den jungen und am maximalen Erlebnis orientierten Berlinern scheinbar besonders angetan hat, das sind Techno-Open Airs, die bereits seit Wochen immer und überall stattfinden. Mal weitgehend geheim gehalten und lediglich über Mundpropaganda verbreitet, mal eher kommerziell (und somit natürlich automatisch nicht mehr ganz so prickelnd) über nicht geschlossene Facebook-Gruppen angekündigt, mal auf privatem Grund von einem Club veranstaltet, mal in einer öffentlichen Parkanlage oder einem Waldstück am Stadtrand, mal polizeilich angemeldet, mal dies entweder bewusst oder auch unbewusst vermieden und somit infolgedessen polizeilich aufgelöst – Varianten der Bass-lastigen Freiluftveranstaltungen gibt es unzählige und der Phantasie, was beispielsweise auch das jeweilige Motto eines solchen Open Airs betrifft, sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt.

„Barfuß und Lackschuh Open Air” vs. „Sandkasten Open Air”

Solche Namen und noch hunderte mehr kreisen hauptsächlich in den Sphären des schier unendlichen Facebook, und buhlen mit Veranstaltungen wie „Licht & Liebe Open Air“, „Anti Atomkraft Open Air“ oder beispielsweise dem „Sonnen Rave“ des Clubs Sisyphos um die Gunst Tausender. Die Anzahl jener, die tagtäglich für das nächste Open Air in den Startlöchern stehen und vor Ungeduld Löcher in die Erde scharren, ist dabei derart groß, dass viele Veranstalter gar nicht mehr die genauen Koordinaten durchgeben, sondern lediglich ein vages Foto des Ortes online stellen und die Willigen einem Rätselraten überlassen, das teilweise einem Spießrutenlauf zu ähneln scheint. Telefonisch, über Facebook oder über das, für die Berliner Feiergemeinde fast schon überlebenswichtige und nur relativ kompliziert über einen Bürgen zugängliche Forum „Restrealität“ wird anschließend getippt, gerätselt und informiert, was das Zeug hält.

Oftmals werden schließlich innerhalb nur eines Tages, für den Besuch nur eines Open Airs etliche Kilometer zurück gelegt, denn ist das Open Air eines jener, bei denen, aus welcher Motivation auch immer, die Anmeldung vergessen wurde, dann liegt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ankommt, in einem verschwindend niedrigen Bereich. Nichtsdestotrotz – denn als junger Berliner ist man schließlich motiviert und hat das Wort „strapaziös“ aus seinem Wortschatz verbannt – fährt man dann eben wieder quer durch die ganze Stadt von Schöneweide bis zu einem Baugelände nahe der Jannowitzbrücke und wartet dort geduldig darauf, dass das ganze, zur Beschallung nötige Equipment wieder fachgerecht aufgebaut wurde und die Party weiter gehen kann.

Die Mischung macht’s

Findet das Open Air in einem öffentlichen Park statt, so ist besonders das bunt zusammen gewürfelte Publikum gleichwohl interessant wie amüsant und teils bedenklich. Dicht aneinander gedrängt tanzen, liegen, spazieren und spielen dann von tagelangem Durchfeiern schon etwas verwirrte „Druffis“, frisch und munter ausgeschlafene Jugendliche und jung Gebliebene, Väter und Mütter mit ihrem ob der Lautstärke leicht quengeligen Nachwuchs sowie jene, die just an jenem selben Nachmittag beschlossen haben, sich ihr eigenes kleines Open Air zu veranstalten und mit Kastenwagen samt dröhnender Anlage erschienen sind, welche sich dann einen teils durchaus unerträglichen Wettkampf mit der vorrangigen Basslinie liefert.

Wer also, im Berliner Frühling oder Sommer angekommen, Horden von Menschen erst in die eine, dann, einen Blick aufs IPhone werfend, in die andere Richtung hetzen sieht, der weiß in Zukunft: Die suchen das Open Air.

Eva Felnhofer

ist noch länger in Berlin.

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