24. Dezember 2010

Stadtbekannt Kontrovers: Street Style Blogs – Über die scheinbare Demokratisierung der Mode

Seit ein paar Jahren kommt man als modebewusstes Individuum nicht mehr um das Konsultieren von Street-Style-Blogs umhin. Die Schnappschüsse, aufgenommen in den Metropolen dieser Welt, sind tonangebend und stilprägend dafür, was und vor allem wie Mode an wirklichen Menschen getragen wird. Primäres Ziel dieser autonomen Fashionplattformen ist es, abseits von den Runways und Fotostrecken in Hochglanzmagazinen einen individuellen Modestil zu etablieren. Beworben wird eine Demokratisierung von Mode, die sich scheinbar abgelöst hat vom Diktat der Laufstege und der globalisierten Modeindustrie. Street-Style-Blogs als neue Vermittlungsinstanz. Aber stimmt das so? Unterliegen die vermeintlich autonomen Modeentwürfe nicht genauso Mode-, Schönheits- und Körperidealen? Bieten sie nicht mit ihrer beworbenen Individualität die ideale Angriffsfläche für einen immer stärker die Privatsphäre durchdringenden Kapitalismus?

Politik der Partizipation

Die Forderung nach Partizipation und Massentauglichkeit in der Mode ist prinzipiell keine neue – Bereits in den 50er und 60er Jahren wurden die Forderungen nach trag- und leistbarer Mode laut, die anfangs in der Prêt-à-Porter Mode ihre erste zögerliche Anfänge fand und heutzutage in Fast-Fashion-Ketten wie H&M und Zara ihre kapitalistisches Verwertung erfuhr. Die wirkliche oder zumindest vermeintliche Demokratisierung von Mode fand aber erst in Zeiten des Web 2.0 statt, als Mitte der Nullerjahre erstmals Street-Style-Blogs im Netz auftauchten.

Street-Style-Blogs sind Plattformen, auf denen modeinteressierte Fotografen Menschen en passant auf der Straße in ihren Alltagskleidern fotografieren. Kein besonderes Setting, kein Profi-Styling, keine Inszenierung. Ganz normale Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder Uni. Wichtig ist den Fotografen stets zu betonen, dass es keine Alters- oder sonstigen Einschränkungen gebe, dass Mode hier quasi „von den Menschen“ gemacht wird und nicht von Designern und Modeindustrie diktiert wird. Diese Aufhebung der Mode- und Körperideale sowie die Herausbildung von Trends durch die „hip crowd“ anstatt König Karls Gutdünken soll die Demokratisierung der Mode vorantreiben und Street-Style-Blogs als die neue Vermittlungsinstanz von Stil und Trends durch Inklusion statt hegemonialer Exklusion etablieren.

Das Aufgehen von Mode im Leben

Betrachtet man aber die einzelnen Fotos auf solchen Blogs werden oben genannte Forderungen fraglich. Sieht man sich nämlich diese vermeintlich autonomen Modekreationen an und die Menschen die sie tragen, fällt einem eine modeindustrielle Mimesis auf. Die fotografierten Menschen sind in den meisten Fällen nämlich alles andere als durchschnittlich – Die Frauen sehen Models verblüffend ähnlich, die Männer könnten genauso gut aus einem Mode Printmagazin stammen. Was passiert also hier? Durch die Zufälligkeit der Fotografien wird ein Eindruck der Inklusion erzeugt, jeder kann theoretisch fotografiert werden – sieht man sich jedoch die fotografierten Menschen an, stehen die wiederum in Opposition zur Durchschnittsbevölkerung. Die scheinbare Demokratisierung von Mode entlarvt sich also als Konstrukt, hier wird genau wie bei Modeprintmagazinen hegemoniale Idealvorstellung reproduziert. Die wenigsten Street Style Blogs zeigen trotz Schnappschussästhetik normale Menschen, sondern Modebewusste die sich die Modedoktrine besonders einverleibt haben.

Durch die alltäglichen Attribute wie Zigaretten, Fahrräder, Zeitungen und dem Straßensetting wird in Streets Style Blogs eine vermeintliche Lebensnähe vermittelt, Mode wird zum integralen Bestandteil des alltäglichen Lebens, die die eigentliche Anbindung an und Reproduktion von Modedogmen verschwimmen lässt. Mode, genau wie Kunst, funktioniert aber nur indem sie ihre Eigentlichkeit durch ein Außen vermittelt. Mode ist eine Form der Überhöhung, eine Fetischierung. Durch jene Schnappschussästehtik und der theoretischen Möglichkeit, dass jede und jeder für eine Fashionplattform auf der Straße fotografiert werden kann schafft eine Öffnung hin zur eigentlichen Lebenspraxis. Mode wird nicht länger fremdverhandelt und abgesondert von „dem eigentlichen Leben“ verortet sondern entsteht scheinbar demokratisch.

Fragwürdige Praxis

Meiner Meinung nach ist dieser Rekurs auf Lebendigkeit und Individualität nur im ersten Moment ein demokratischer. Die Öffnung hin zum wirklichen Leben ist meines Erachtes eher Symptom einer bioplitischen Wende, in der sich ein außer Kontrolle geratener Kapitalismus auch noch die letzten Nester der Individualität aneignet. Statt scheinbarer Selbstkontrolle und gelebter Emanzipierung findet auf Street Style Blogs das genaue Gegenteil statt: Mode funktioniert nun nicht mehr nach dem alten, offensichtlich hierarchischen “top-down“ System sondern wesentlich perfider, weniger repressiv, indem die Mode scheinbar „von uns“ gemacht wird, sie setzt auf Verinnerlichung und Individualität. Während Street Style Blogs uns eine Demokratisierung der Mode und Loslösung von Fashiondoktrinen progagieren, haben sie doch eigentlich nur der Infiltration eines biopolitischen Kapitalismus Tür und Tor geöffnet.  


Laura Windhager

Über das Leichte und das Schwere. Zwischen Kulturpessimismus und Poputopien.

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