23. Juni 2011

Gewalt und Illusion in Hütteldorf

Das vergangene Wiener Derby wird wohl länger im Gedächtnis bleiben. stadtbekannt begibt sich nach dem Gewaltausbruch auf Ursachensuche.

Es waren keine schönen Szenen die sich am Sonntagnachmittag am Rasen des Hanappi-Stadions abspielten – weder ästhetisch (ich will nie wieder die Bezeichnung Körperschmuck in Bezug auf Tattoos hören, an diesen Körpern war zumeist gar nichts schmuck) noch sozial. Nachdem Austria Wien schon in der 26. Minute mit 2:0 in Führung ging hielt es viele Rapid-Anhänger nicht mehr auf ihren Plätzen und hunderte stürmten das Spielfeld. Es wurden Gegenstände geschmissen, es wurde getreten, es wurde gedroht, es wurde gestoßen und vor allem wurden Bengalische Feuer, deren Magnesium-Flamme 1.600 bis 2.500 Grad Celsius erreichen kann, auf gegnerische Fans geworfen. So weit die Fakten zum Irrsinn.

Doch warum hakt’s eigentlich beim Fußball scheinbar so?

Fußball als Konsumgut

Für den internationalen (ökonomischen und kulturellen) Siegeszug des Fußballs war es maßgeblich diesen einfach und allzeit konsumierbar zu machen. Er musste raus aus den oft schmuddeligen und ungemütlichen Stadien durch die Waschmaschine der Vermarktung, durch die Mangel der medialen Verbreitung und wieder zurück in moderne, multifunktionale Multifunktionsarenen. Dort ist er dann so locker, sauber, flauschig, dass er es schafft in höchster Güte und zu höchster Perfektion getrieben sowohl Freund als auch Feind (der spielenden Mannschaften) zu erfreuen. Es werden für Spitzenleistungen Unsummen gezahlt, Unsummen verdient und oft (medialer) Unsinn gepflegt – alles im Sinne des Fußball-(Geschäfts).

Und wer will da unehrlich sein: Es ist oft nicht besonders einfach sich nach einem Champions-League-Mittwoch wieder mit dem wochenendlichen-Niveau der heimischen Liga zu beleidigen. Hier muss man eben schon ein wirklicher Fan einer Mannschaft sein, um zuzusehen und trotzdem keine Depression zu bekommen. Es ist eben nicht der Genuss des hochklassigen Spiels, der hier viele in die Stadien treibt, sondern die tiefe Verbundenheit zu „ihrem“ Verein. Und der harte Kern derer, die auch kommen, wenn sogar das bescheidene Niveau der eigenen Ansprüche unterschritten wird und mit einer handvoll Tausend ebenso Unentwegter trotzdem hingeht, der nimmt gerne für sich in Anspruch nicht nur ein Zuschauer, oder Fan, sondern ein richtiger, wahrer, ernsthafter und verdienstvoller Anhänger zu sein. Das damit verbundene Überlegenheitsgefühl gibt’s natürlich inbegriffen. Das mag eben subjektiv so sein, doch in der Realität sieht die Verbindung leider etwas weniger idyllischen aus.

Liebe kann weh tun

Wie in einer menschlichen Beziehung muss das Gegenüber die eigenen romantischen Gefühle nicht unbedingt erwidern. So hat auch der devoteste Anhänger nicht die Garantie von seinem Klub die entsprechenden Gefühle zurückgegeben zu bekommen. Man ist eben in einer Zeit des Fußballs als Konsumgut (und war der Unterschied jemals mehr als graduell?) vor allem und zuallererst Konsument. Egal ob man bei Wind und Wetter in der Kurve steht oder sich vor der Meisterfeier schnell einen schlecht gefälschten Schal um die Gurgel knotet. Man zahlt und bekommt dafür ein (mehr oder minder gutes) Spektakel geboten.

Hier mag man entgegenhalten, aber die Fans sind es doch die den Fußball erst ausmachen, sie sind das Salz in der Suppe. Das mag schon so sein, jedoch ist der Zusammenhang nur ein indirekter: Das Fußballerlebnis hängt nur für den Konsumenten mit der Stimmung im Stadion und der glorifizierten Fanbasis zusammen. Es ist eben schöner mit zigtausenden Gleichgesinnten zu lauten Gesängen und mit prachtvollen Choreographien ein Spiel anzusehen als allein mit den Spielerfrauen und dem Zeugwart. So ist eine begeisterte Fanbasis nur indirekt ein Marketingvorteil, der sich eben zu barer Münze machen lässt. Der Ball rollt auch ohne sie, wovon man sich bei jedem Unterklasse-Match überzeugen kann. Und nicht einmal der vielbeschworene Heimvorteil durch ein begeistertes Publikum lässt sich mehr statistisch nachweisen. Höchstens noch, dass sich Gegner oder Schiedsrichter von einem tobenden Stadion beeinflussen lassen – jedoch nimmt diese Möglichkeit direkt proportional mit dem zunehmenden Grad der Professionalisierung ab.

So gibt es eine „schöne, neue“ Fußballwelt und es kann eben niemand außerhalb von dieser stehen. Auch der treueste Fan ist nun einmal Konsument der Dienstleistung für die er bezahlt und wie bei anderen käuflichen Leistungen ist hier eben nichts Weiteres inbegriffen und die Vereinsmitgliedschaft hat zumeist mehr folkloristischen als machtvollen Charakter.
Auch wenn man sich noch so sehr vorstellt nach dem Match mit den Spielern bei Würstel und Bier in der Vereinskantine zu sitzen so geht das halt nur beim eigenen Dorfverein. Und einen Club, der in der Champions League spielt und bei dem man trotzdem dauernd dabeisein und mitreden kann den gibt es ohnehin nur in der Phantasie.

Phantasieland Stadion

Geheimnisst man in einer Gesellschaft schwindender Gewissheiten und wachsender Unsicherheiten mehr in sein eigenes Fantum und die „Vereinstreue“ hinein als es ist, so können die eigenen Erwartungen schon einmal sehr enttäuscht werden. So sehr hat man sich eingesetzt, so oft war man da, so laut hat man geschrien und trotzdem hat es nichts genützt.
An diesem Punkt muss man vielleicht erkennen, dass in einer komplizierten Welt nun auch noch an dem Ort, an dem alles so klar, einfach und logisch war – ich bemüh’ mich, die anderen bemühen sich und am Schluss sind wir alle Sieger – nun auf einmal nichts mehr so geht wie man es sich erwartet und man auf den Verlauf eigentlich gar keinen Einfluss hat. Man erkennt in diesem Moment die eigene Machtlosigkeit und solche Erkenntnisse sind oft die Grundlage für die dümmsten Entscheidungen und Rundumschläge. Mit ihren Ausbrüchen spielen jene, die sich als Kämpfer gegen den kommerziellen "modernen Fußball" sehen, allen Sicherheitsfanatikern nur in die Hände. Ihr Protest wird gegen sie selbst gewendet, verstehen sie es doch zumeist nicht, dass sie nicht in einem imaginierten "Außen" stehen sondern doch mitten drin im Konsumzusammenhang Fußball.

Es ist nun einmal nicht einfach sich damit abzufinden einfach nur ein Zuschauer zu sein, wenn man doch so gern sehr viel mehr wäre. Ein durchaus sinnvoller Ausweg aus dieser nicht selbst gewählten Passivität ist es auf der Tribüne seine eigene Show zu machen und damit sich selbst und die Mannschaft ordentlich zu feiern. Damit sind dann alle zufrieden, auch der Veranstalter, für den der Rubel umso besser rollt. Doch ist es eben auch furchtbar schön so furchtbar wichtig zu sein und deshalb wollen viele auch dann nicht zurückstehen wenn es nicht so gut läuft und verlegen ihre Show dann einfach – in diesem Falle auf den Rasen, um wieder zum Ausgang zurückzukehren.

So gilt es zwar natürlich alle die da bösen Willens sind, und nur deshalb Krawall machen weil sie böse Bösewichte sind, zur Räson zu bringen, doch sollten sich vielleicht auch die selbsternannten Religionsstifter einmal darüber Gedanken machen was sie den Menschen da eigentlich verkaufen und ob sie das, was sie versprechen überhaupt im Angebot haben. Denn an Gott kann man sich – so man denn will – immer wenden – an die Rapid Wien halt offensichtlich nicht…

Nach so viel Unerfreulichem noch ein kleines Schmankerl für alle Fans von Ober-Fan und Stadionsprecher Andi Marek:

6 Kommentare

  1. Fansadox

    24. Mai 2011

    Eine wirklich treffende
    Analyse. Nüchtern, unaufgeregt aber treffend.

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  2. hambuga

    24. Mai 2011

    feine analyse…
    sehr schöner text, nur froinde macht man sich mit so etwas nicht unbedingt.

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  3. Joe

    25. Mai 2011

    schrecklich nette familie
    vielleicht sollte sich das die vielzitierte "rapid-familie" einmal durchlesen.

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  4. rapidler

    25. Mai 2011

    hmmm
    ist schon einiges wahres dran…

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  5. Patricia L.

    25. Mai 2011

    Tolles Video
    Der Text ist interessant, das Video genial;-)

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  6. franz

    25. Mai 2011

    ursachen
    es wurde mit sicherheit zu viel versprochen was man gar nicht halten kann. nicht nur bei rapid.

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