25. Februar 2011

Gentrification in Wien?

Vergangen Mittwoch fand in der Wipplingerstraße 23 ein Vortrag des Berliner Soziologen Andrej Holm über Gentrification statt. Dieses Ereignis nehmen wir als Anlass um dem Phänomen Gentrification in Wien nachzugehen. Ein Bericht über den Vortrag von Andrej Holm, Gentrification und die Wiener Debatte.

GENTRI-was?

Der Definition des Stadtsoziologen Jens S.Dangschat zu Folge ist „Gentrifizierung die Verdrängung der ehemaligen Bewohner durch jüngere, besser ausgebildete und in der Regel mit höherem Einkommen versehene Haushalte in innenstadtnahen Wohngebieten. Mit Verdrängungen sind Auszüge aufgrund von Mietsteigerungen oder Umwandlungen ehemaliger Mitwohnungen im Eigentumswohnungen gemeint. Damit einher geht in einem Wechselwirkungsprozess eine Veränderung des Wohnungsbestandes in Richtung überdurchschnittliche Modernisierung, Mietpreissteigerung und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen resp. Eine Veränderung der Infrastruktur, die zunehmend den Bedürfnissen der neu Hinzuziehenden entspricht.

Als Akteure dieses Prozess werden die so genannten „Pioniere“ bezeichnet, welche meist junge BewohnerInnen sind, die oft aus dem kreativen Milieu stammen, die zu Beginn des Prozesses in diese Viertel zuziehen und auf Grund der billigen Mieten dort ihre Ateliers und Lokale eröffnen. In einer späteren Phase kommen dann die so genannten "Gentrifier" nach – Menschen mit einem höherem Einkommen. Nach und nach steigen dann die Mieten. Es folgen erste Sanierungsmaßnamen und schließlich wird nach einiger Zeit in den Medien über diese Stadtquartiere berichtet, die dann ein Image als neue hippe Ausgehviertel bekommen. Schlussendlich kommt es zu einem nachhaltigen Wandel der MieterInnenstruktur und weiteren Sanierungsmaßnahmen.

Der Begriff der Gentrification wurde von der englischen Soziologin Ruth Glass 1964 formuliert, die sich mit dem Wandel von gründerzeitlichen Stadtquartieren beschäftigte. Im deutschsprachigen Raum haben sich in den 80er und 90er Jahren Jens S. Dangschat und Jürgen Friedrichs mit dem Phänomen der Gentrifizierung beschäftigt. In den letzten Jahren hat das Thema wieder Konjunktur bekommen und eine jüngere ForscherInnengeneration bearbeitet das Thema, wie Andrej Holm oder Thomas Dörfler die sich damit in Berlin befasst haben. Der Soziologe Andrej Holm ist im Unterschied zu anderen Forschern Aktivist und hat ein Naheverhältnis zur linken autonomen Szene.

So haben wir das nicht gemeint – Gentrification, Protest und Subkultur

Andrej Holm in Wien

In dem kleinen Raum in der Wipplingerstraße drängte sich am Mittwochabend eine größere Menschenmenge zusammen. Darunter waren sowohl StadtsoziologInnenen, GeografInnen und AktivistInnen, was nicht von ungefähr kam. Der Titel der Veranstaltung lautete nämlich: „So haben wir das nicht gemeint – Gentrification, Protest und Subkultur“. Das Thema des Vortrags war u.a. Kultur als Schmiermittel der Gentrification und sollte die Diskussion darüber anregen, was Betroffene dagegen tun können und wollte dazu anregen über die Rolle der KünstlerInnen und AktivistInnen in diesem Prozess zu reflektieren. Im Vortrag, der fast zwei Stunden dauerte, wurde der Gentrifikationsbegriff abgehandelt und über die ambivalente Rolle der Kreativen sinniert. Denn sobald diese in innerstädtische Stadtquartiere mit sanierungsbedürftiger Bausubstanz, auf Grund der billigen Mieten strömen, tragen sie aktiv zum Aufwertungsprozess bei. Da sich durch ihre Anwesenheit sukzessive die Lokalstruktur und der Flair des Quartiers wandelt, so hörte man im Vortrag.

Die Kultur als Türöffner der Gentrification?

Dieser Betrachtungsweise sollte aber einiges hinzugefügt werden. Zum einen sind die „Kreativen“ nicht nur Auslöser für Gentrificationsprozesse, sondern wirken diesen auch oft durch aktiven Widerstand entgegen. Natürlich gibt es nicht bei jedem der eine Galerie eröffnet oder ein Kunstfestival initiiert von Beginn an ein Bewusstsein darüber, dass dies einen Einfluss auf die Entwicklung des Grätzels haben könnte. Meist dauert es einige Zeit bis dieses einsetzt und daraufhin wird versucht sich nicht von der Immobilienwirtschaft oder dem Stadtmarketing vereinnahmen zu lassen.

Was also tun?

Bei der Frage was man gegen Gentrification machen kann, war viel die Rede davon, dass sich zuerst so etwas wie eine aktive Nachbarschaft bilden muss und man sich mit MieterInnenschutzvereinen zusammenschließen sollte. Die Reflexion über die eigene Rolle war aber auch ein Thema.

Es regnet Kaviar

Außerdem wurde empfohlen mittels der „Deattraktivierung“ von Gebäuden und aktivem Widerstand diese vor Aufwertungsprozessen zu schützen. Damit gemeint ist, „make your home ugly“ – also sein Wohnhaus absichtlich unattraktiv zu gestalten. Diese Idee ist prinzipiell nicht neu und wurde schon von Hamburger Aktivistinnen unter dem Titel Es regnet Kaviar, als nicht ganz ernst gemeinte Selbstschutzmaßname in einem Youtube Video vorgeführt. In dem besagten Video wird etwa das Drapieren von zerbrochene Fensterscheiben, Satelliten-Schüsseln, Plastiktüten, Wäscheleinen als geeignete Maßnahme präsentiert. Das Video geht allerdings auf Kosten der Unterschicht und ist daher eher weniger lustig.

Alles bleibt schöner?

Prinzipiell stellt sich auch die Frage ob es denn so positiv ist wenn im alles gleich bleibt? Schließlich finden es doch alle so toll, wenn es einen neuen kreativen Knotenpunkt in der Stadt gibt oder ein neues Ausgehviertel. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass die Entstehung von solchen neuen hippen Vierteln meist mit der Verdrängung der ursprünglichen Wohnbevölkerung verknüpft ist und damit, dass wenn der große Hype vorbei ist die Kreativen in das nächste Viertel mit der schönen Bausubstanz und den billigen Mieten weiter ziehen. Die Frage die sich also stellt ist auch ob es nicht oft ein Stück weit um vorgetäuschte Empörung handelt?

Wie aber sieht das in Wien aus?

Der Stadtplanung zu Folge gibt es keine Gentrifizierung in Wien. Man spricht bei uns immer von Aufwertung, sanften Erneuerungsprozessen und Partizipation. Gentrification ist im Wiener Stadtplanungsdiskurs ein Tabubegriff. Man rühmt sich mit stolz geschwellter Brust, dass in Stadtquartieren wie dem Brunnenviertel sanft aufgewertet wurde und zwar mit Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung. Dass die Mietpreise im Quartier steigen, die lokale Infrastruktur sich wandelt und SoHo in Ottakring seine Aktivitäten auf andere Stadtquartiere verlagern möchte, weil sich im Brunnenviertel schon „eine Eigendynamik“ entwickelt hat, wir nicht so gerne diskutiert. Ebenso wenig wie die mahnenden Graffitis am Yppenplatz auf denen man liest: "Warum sind die Mieten SoHoch?“ Natürlich ist wie auch Holm in seinem Vortrag hervorgehoben hat, Gentrifizierung ein multidimensonaler Prozess, an dem mehre Akteursgruppen beteiligt sind, wenn also böse Zungen meinen Kulturinitiativen wie SoHo in Ottakring hätten den Aufwertungsprozess vorangetrieben, sollte darüber reflektiert werden, dass sowohl die von der Gebietsbetreuung initiierte Aufwertung, die Interessen der Immobilienwirtschaft und die mediale Berichterstattung Einfluss auf diesen Prozess haben. Außerdem gibt es bestimmte Bedingungen für Gentrifizierung, in europäischen Städten sind dies meist die gründerzeitliche Bausubstanz, die zentrumsnahe Lage, billige Mietpreise und eine spezifische lokale Infrastruktur.

Weitere Beispiele für Gentrifizierung in Wien sind der Spittelberg, welcher diesen Prozess schon vor dreißig Jahren durchlaufen hat. Damit befasst hat sich die Stadtforscherin Astrid Konrad. Oder das Karmeliterviertel im 2.Bezirk, womit sich der Stadtsoziologe Florian Huber beschäftigt.

Cornelia Dlabaja

Verloren in der Stadt: Auf Entdeckungsreise im Asphaltdschungel

7 Kommentare

  1. Lucia

    25. Februar 2011

    Weitere Beispiele für Wien
    Ich würd sagen, das Freihausviertel beim Naschmarkt ist wohl auch ein Kandiat dafür.

    Reply
  2. grandslam

    25. Februar 2011

    inzwischen…
    …zieht die "alternative" Kunstszene eher Richtung Gürtel und knapp darüber, im 4.5.6.7.8.

    Reply
  3. Susi

    25. Februar 2011

    Boboville
    Ich sag nur Boboville, im 7.Bezirk… ; )

    Reply
  4. Valerie

    26. Februar 2011

    @grandslam
    JA die Außergürtelegbiete in Rudolfsheim werden sicher als nächstes gentrifiziert.

    Reply
  5. Charles

    26. Februar 2011

    Dei Frage ist ja kaum
    ob Gentrifizierung weil die fidnet sowieso in Permanenz statt, sondern auf welche Art. Über viele Jahre hat die Stadtregeirung nicht mehr in dem Ausmaß wie früher in den sozialen Wohnbau investiert. Da hat es zwar in letzter Zeit Änderungen gegeben, aber noch nicht in dem Ausmaß wie ich mir das wünschen würde.

    Reply
  6. Florian

    26. Februar 2011

    Mietenschutz und Mieterschutz
    Der Schutz für Mieter im Allgemeinen ist in Österreich durch das Mietrechtsgesetz ja sehr hoch. So erschwert oder verhindert das MRG insbesondere gewisse Mietsteigerungen. Das wiederum würde dazu führen, dass der gefürchtete Nebeneffekt von Gentrifizierungen in Österreich erheblich abgeschwächt würde oder ganz ausbleibt.

    Reply
  7. mearlis_

    28. Februar 2011

    MRG
    das MRG würde umfangreich die rechter der mieterInnen schützen. nur wurde im zuge der 90iger unfangreiche mietrechtänderungen gemacht und zunehmend das MRG ausgehöhlt. dh es gelten für die mieterInnen nur mehr teilbereiche des MRG wenn ihre wohnungen verschiedensten voraussetzungen entsprechen. dh die rechtslage wurde so unübersichtlich gestaltet, dass sich mieterInnen einem paragraphendschungel gegenüber sehen und ohne rechtsberatung schwerlich durchsteigen können.

    Reply

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt