10. Mai 2013

Filmkritik: Allen Ginsbergs HOWL

I’ve seen the best minds of my generation destroyed by madness” – mit diesen einleitenden Zeilen und dem darauffolgenden fieberhaft-dystopischen, assoziativen Gedicht „Howl“ trat der 1997 verstorbene US-Poet Allen Ginsberg mehrere Lawinen los. Einerseits weil er damit, gemeinsam mit Kerouacs „On The Road“ und Burroughs „Naked Lunch“ den Eckstein für den Erfolg eines literarischen Zirkels legte, der „Beat Generation“, der quasi als kleiner Freundeskreis am Campus der Columbia Univestität begann (zu dem auch William Burroughs, Lucien Carr und Beat-Muse Neal Cassady gehörten) und später durch die Bekanntschaft der San Francisco-Poeten wie Gary Snyder, Lawrence Ferlinghetti oder Kenneth Rexroth zur sogenannten „San Francisco Renaissance“ führte.

Ein Freundeskreis, deren Bücher und Poesie zum Teil verschiedener nicht hätten sein können: man vergleiche Burroughs’ Cut Up Technik mit Kerouac’s „first thought best thought Ethik“ (Kerouac versuchte Zeit seines Lebens ja für sich selbst eine Art post-Joyce stream of consciousness-Schreibeart zu finden und diese in der literarischen Welt einzuzementieren, was ihm allerdings zum Großen Teil Häme und Spott brachte und von Truman Capote als „ typing not writing“ verunglimpft wurde).

 

Ein Freundeskreis, der in die literarischen und (gegen- und populär-)kulturellen Annalen des Post-Kriegsamerikas einging, die Literatur gewissermaßen revolutionierte (oder in einigen Fällen zumindest den mutigen wie auch – wie sich in früheren, dokumentierten Gesprächen der bis auf Burroughs damals noch blutjungen Protagonisten zeigte auch naiven – Versuch in Angriff nahm, das zu tun) und nicht zuletzt einen immensen Einfluss auf die Popkultur, inklusive der Musik, hatte.

Andererseits, weil Ginsberg mit dem Gedicht auch eine juristische Lawine rund um Zensur und Kunstfreiheit in einem US-Amerika lostrat, das sich mehr nach Limonade, Barbeque und Konformität sehnte als nach Erneuerung, der Zuschautragung von Homosexualität, Drogenerfahrungen, Albträumen und Dystopien. Unnötige Obszönität, Nicht-Literatur: der Howl-Prozess, den Ginsbergs Verleger, der Poet, Maler und Chef des legendären City Lights Bookstores in San Francisco Lawrence Ferlinghetti ausfechen musste und bei dessen Schlußverhandlung Ginsberg nicht anwesend war, ging zu Gunsten der Kunstfreiheit aus und half Ginsberg selbstredend zu jeder Menge Popularität.

Begonnen hatte das ganze auf einer Lesung auf der mittlerweile legendären und in Kerouacs „Big Sur“ wunderbar beschriebenen Lesung in der Six Gallery, auf der unter anderem auch Gary Snyder las – Ginsbergs beherzte, immer ekstastischer werdende Performance von „Howl“ aber war der Höhepunkt. „I greet you at the beginning of a great career“, telegrafierte Ferlinghetti ihm damals, und behielt damit recht.

“Howl” ist, zusammen mit “Kaddish” (einer wunderschönen Elegie auf Ginsbergs verstorbene Mutter) Ginsbergs magnum opus. Ein Höllenschlund von einem Gedicht, vom Moloch (ein Wolkenkratzer inspirierte Ginsberg übrigens zu diesem immer wieder kehrenden Moloch-Thema), von bezendrin-induzierten religiösen Erscheinungen, von gleichgeschlechtlicher Liebe, von indischen Engelserscheinungen und Schwänzen, von Erlösung und Ejakulation, von Wahn, Elektroschocks, Anstalten, Gefängnissen. Jede Zeile eine Atemeinheit, hat Ginsberg einmal erklärt.

So etwas zu verfilmen ist natürlich ein Drahtseilakt. Über meine Bedenken bezüglich der kommenden „On The Road“ habe ich ja an dieser Stelle bereits geschrieben – über „Howl“, mit James Franco als Ginsberg, scheiden sich – wenig überraschend – die Geister. Teils dem Gedicht wortwörtlich entnommene, surreale Animation, teils Franco als Ginsberg monologisierend (den Duktus, den Sprachfluss und den Habitus Ginsbergs hat er jedenfalls richtig gut hinbekommen) und Teils brunzfade Darstellung des Gerichtsprozesses.

Für das, was Howl darstellt, ist der Film – trotz tadelloser Leistung von Franco – einfach zu brav ausgefallen, klammert sich eng an O-Töne und von Ginsberg auf Papier gebrachte Bilder, geht – trotz wahrscheinlich so gemeinten Animationen – nicht ins fieberhafte, ins ekstatische, Assoziative. Der größte Schwachpunkt des Films sind mit Sicherheit die Gerichtsszenen, die so kreuzbrav daher kommen dass „Für alle Fälle Amy“ den Kern besser getroffen hätte und Lawrence Ferlinghetti, der für seine Idee von Freiheit in der Kunst schließlich auch seinen Kopf hinhielt, unfassbar ungerecht werden.

Wenn es nämlich dokumentarisch zugehen soll, dann gibt es viel empfehlenswertere Dokumentationen: „No More To Say and Nothing To Weep For“ beispielsweise ist eine wunderschöne Doku über Ginsberg, die ihn bis ans Sterbebett begleitet, bei „The Source“ kommt der ganze Zirkel zu Wort, unter anderem auch der unglaublich charismatische Michael McClure, und „Howl“ wird unter anderem von Johnny Depp wunderbar rezitiert. Für Kerouac-Zwecke sei „Whatever happened to Jack Kerouac“ empfohlen.

Empfehlenswert ist die Verfilmung von Howl, mit Sicherheit eines der wichtigsten US-amerikanischen Gedichte des letzten Jahrhunderts, nur bedingt. Ohne Einschränkung empfehlenswert ist es aber, sich am besten die gesammelten Gedichte Ginsbergs herzunehmen und sich wieder einmal durch all die großartigen Gedichte zu lesen, „Howl“, „Kaddish“, „A Supermarket in California“ und wie sie alle heißen.

My books piled up before me for my use waiting in space where I placed them, they haven’t disappeared, time’s left its remnants and qualities for me to use — my words piled up, my texts, my manuscripts, my loves. – Allen Ginsberg.

Markus Brandstetter

3 Kommentare

  1. Erich

    23. März 2011

    .
    Guter Beitrag!

    Reply
  2. Clara

    23. März 2011

    @Erich
    dir kann ich nur zustimmen!

    Reply
  3. Rüdi

    23. März 2011

    Kerouac
    Bin auch schon ziemlich gespannt auf die Verfilmung von "On the Road".

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