25. November 2011

Die neue Perle am Westbahnhof

Alles, was toll ist, heisst irgendwas mit City. Der Westbahnhof deshalb jetzt auch: seit kurzem gibts die neue Bahnhofscity. Neben der alten Halle des Wiener Westbahnhofs ziert nun ein dreistöckiges Einkaufszentrum den öffentlichen Raum. Endlich kann man in der Gegend einkaufen! Auch der Langeweile beim Warten auf den Zug ist effizient ein Ende bereitet worden.

Versunken in die Welt der schönen Produkte kann es dann schon mal passieren, dass man sich wundert, was die blauen Bildschirme da machen, die die Zugzeiten ankündigen. Die sind aber ohnehin dezent gehalten, um das Kauferlebnis in der neuesten Shopping Mall nicht durch ein Bahnhofsflair zu stören.

Wer geht in einen Bahnhof einkaufen?

Der Konsumtempel hat am 23. November zur Eröffnung gerufen, und die Jünger sind in Scharen gekommen. Mindestens so viele Leute wie Werner Faymann Freunde auf Facebook hat haben sich zu Schnitzel, Cola und schlechter Musik eingefunden, und die Frage liegt nahe, ob auch die bezahlt sind? Wer macht denn sonst sowas, außer Peter Rapp? Der war wirklich da.

Moderne = Beton?

Auch architektonisch ist die neue Anlage nicht unbedingt eine Bereicherung: was man an der Außenansicht aus Denkmalschutzgründen alt belassen musste, wurde im Inneren an Stahlglasbeton nachgeholt. In der reduzierten und schallreflektierenden Halle könnte man nun aber dank der Möglichkeiten wohl einen atomaren Supergau überleben. So sieht die Zukunft aus! Die Zukunft ist übrigens auch Sandler-frei. Durch eine nächtliche Sperre versucht man wohl der permanenten Erregung, die von Obdachlosen auszugehen scheint, elegant aus dem Weg zu gehen. Wer nachts mit dem Zug am Westbahnhof ankommt, macht sogleich Bekanntschaft mit nicht weniger als zehn Securities, die sicherstellen, dass man den Weg nach draussen auch sicher findet. Entleerung gibt’s sowieso nur gegen Bezahlung.

Schön ist das nicht

In der Betonsahara von Innenhof kann man währenddessen im grellen Schein von metallen in den Himmel ragenden Straßenlampen auf einer besonders unbequemen Version der populären neuen Sandler-Abwehr-Bank sitzen. Konzipiert als Nicht-Bank hält diese aufgrund von Mangel an Lehne neben Sandlern auch jeden anderen Sitzen-Wollenden vom tatsächlichen Sitzen ab. Die Privatisierung des öffentlichen Raums: wer hier sitzen will, muss duschen und einer geregelten Erwerbstätigkeit nachkommen.

Gasometer, die Hundertste

Behausung findet Wiens neueste City in einer merkwürdigen Wolkenspange, die wie ein Tor in den Himmel ragt. Durch das praktische Loch in der Mitte wird der Blick auf das Firmengebäude von Admiral Sportwetten und den Kurier freigelegt. In Hongkong gibt es ein ähnliches Haus: damit will man einen, dem Aberglauben entsprechend, dahinter lebenden Drachen zufrieden stellen, der das Meer vor dem Haus sehen will. Kann er das nicht, wird er zornig. Man fragt sich, wen man mit diesem Gebäude zufrieden stellen wollte? Es steht zu befürchten, oder vielleicht auch zu hoffen, dass der Bahnhofscity ein ähnliches Schicksal zuteil werden wird wie schon dem Gasometer: ausbleibende Kunden und leere Geschäftsflächen, die von immer fragwürdigeren Geschäften übernommen werden: ein Teufelskreis. Weil der gemeine Stadtmensch entgegen stadtplanerischen Erwartungen doch nicht immer nur einkaufen will.

Maxi Lengger


1 Kommentar

  1. Sororos

    25. November 2011

    Schön auf den Punkt gebracht.
    Das gefällt.

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